Kemal Kılıçdaroğlu
Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu bei der Stimmabgabe.
IMAGO/SNA/Pavel Bednyakov

Istanbul/Ankara - Bei der Präsidentenwahl in der Türkei hat die größte Oppositionspartei CHP im Südosten des Landes einen Angriff auf ihre Wahlbeobachter beklagt. In der Provinz Sanliurfa seien die Wahlbeobachter der Partei geschlagen und ihre Telefone kaputt gemacht worden, weil sie gegen Unregelmäßigkeiten Einspruch erhoben hätten, schrieb der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Özgür Özel am Sonntag auf Twitter.

Der Vorfall habe sich in einem Dorf der Provinz ereignet, der CHP-Abgeordnete Ali Seker sei an Ort und Stelle. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden. Özel kritisierte zudem, dass nicht genügen Sicherheitskräfte vor Ort seien und forderte die Behörden auf, für die Sicherheit der Wahl zu sorgen.

Kılıçdaroğlu will "Unterdrückung und autoritäre Führung" abschaffen

Im Kampf um das Präsidentenamt in der Türkei gaben Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan und sein Kontrahent Kemal Kılıçdaroğlu unterdessen ihre Stimmen ab. Kilicdaroglu wählte am Sonntag in einer Schule in der Hauptstadt Ankara, Erdogan in der Metropole Istanbul. Der 74-jährige Herausforderer rief seine Anhänger unter anderem dazu auf, die Wahlurnen zu schützen, "denn diese Wahl findet unter sehr schweren Bedingungen statt." Die Opposition sei etwa diffamiert worden.

Es gelte, die Herrschaft von Amtsinhaber Erdoğan zu beenden. "Ich lade alle Bürger dazu ein, an die Urne zu gehen, um die Unterdrückung und die autoritäre Führung abzuschaffen und diesem Land echte Freiheit und Demokratie zu bringen." Erdoğan sagte bei seiner Stimmabgabe in Istanbul, dass es sich um die erste Stichwahl in der Geschichte der Türkei handle. Er lobte die hohe Wahlbeteiligung in der ersten Runde am 14. Mai und sagte, er rechne erneut mit einer hohen Teilnahme.

Wahllokale schließen um 16 Uhr

Die Wahllokale öffneten Sonntag früh um sieben Uhr und schließen um 16 Uhr (MESZ). Der 69-jährige Erdoğan gilt als Favorit. Er hatte bei der ersten Runde vor zwei Wochen die meisten Stimmen erhalten, verpasste die nötige absolute Mehrheit aber knapp. Zwischen Erdoğan und seinem 74-jährigen Gegner lagen rund 2,5 Millionen Stimmen, die die Opposition nun aufholen will.

Die Ergebnisse der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei sollen früher verfügbar sein als die Ergebnisse der ersten Runde. Weil es nur eine Abstimmung mit zwei Kandidaten sei, werde die Auszählung voraussichtlich schneller gehen, erklärte der Leiter der türkischen Wahlbehörde, Ahmet Yener, am Sonntagvormittag. Eine Zeit nannte er nicht. Die Abstimmung laufe bisher störungsfrei ab, so Yener. An sich darf offiziell erst ab 20 Uhr über Ergebnisse berichtet werden. Die Wahlkommission hat diese Regel in der Vergangenheit aber meist außer Kraft gesetzt und eine frühere Berichterstattung zugelassen.

Migration und Inflation bestimmten Wahlkampf

Die Abstimmung fällt auf ein für die Opposition symbolisches Datum: Am Sonntag jähren sich auch die regierungskritischen Gezi-Proteste zum zehnten Mal. Die Demonstrationen im Frühjahr 2013 hatten sich zunächst gegen die Bebauung des zentralen Istanbuler Gezi-Parks gerichtet. Sie weiteten sich zu landesweiten Demonstrationen gegen die immer autoritärere Politik Erdogans aus, der damals noch Ministerpräsident war. Dieser ließ die weitestgehend friedlichen Proteste brutal niederschlagen.

Bestimmendes Thema vor der zweiten Runde war das Thema Migration. Sowohl Erdogan als auch Kilicdaroglu sicherten sich die Unterstützung von rechtsnationalen Politikern. Vor allem Kilicdaroglu machte die Rückführung von Flüchtlingen nach Syrien zu seinem Hauptwahlkampfthema und verschärfte seinen Ton gegenüber der ersten Runde deutlich.

Die Türkei beherbergt rund 3,4 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien. Für Europa spielt sie in der Migrationspolitik eine große Rolle. Weiteres Thema im Wahlkampf war die schlechte wirtschaftliche Lage mit einer massiven Inflation. Erdogan beschimpfte die Opposition immer wieder als "Terroristen". Der Amtsinhaber trat zudem mit der Ansage an, bei einer Wiederwahl stärker gegen lesbische, schwule, bisexuelle und transidente Menschen vorgehen zu wollen.

67.726 Türkinnen und Türken wählten in Österreich

Im Parlament konnte sich Erdoğans Regierungsbündnis bereits bei den Wahlen vor zwei Wochen erneut die absolute Mehrheit sichern. Sollte Kilicdaroglu am Sonntag gewinnen, könnte er die für eine Abschaffung des Präsidialsystems nötige Verfassungsänderung nicht im Alleingang erreichen.

Rund 61 Millionen Menschen sind zur Stimmabgabe aufgerufen. Türkische Staatsbürger in Österreich haben bereits abgestimmt. Es war hierzulande erneut eine Rekordbeteiligung verbucht worden. Wie die türkische Botschaft in Wien mitteilte, wurden insgesamt 67.726 Stimmen gezählt. Dies entspreche einer Beteiligung von 60,47 Prozent der 112.000 Stimmberechtigten oder um 4,3 Prozentpunkte mehr als in der ersten Wahlrunde. Im ersten Durchgang hatten 72 Prozent der türkischen Wählerinnen und Wähler in Österreich für Erdogan gestimmt. Das war im internationalen Vergleich ein hoher Prozentsatz. (APA, red, 28.5.2023)