Gezeichnete Dortmunder
APA/AFP/INA FASSBENDER

Dortmund - Schier endloses Grauen der Stille dominierte nach dem Ende des Spiels. Als hätten die Seelen ihre Körper verlassen, waren die Spieler von Borussia Dortmund nach dem Abpfiff umgefallen, sie lagen auf dem Rasen inmitten ihrer aufgelösten Träume. 10, 15 Minuten lang. Mats Hummels, fassungslos, Marco Reus, aufgelöst, weinend - wie sein Trainer Edin Terzic.

Und dann: diese Südtribüne. "Aufstehen, aufstehen!", riefen sie.

Körperlich hatten sich alle nach einer halben Stunde wieder aufgerappelt, aber der Schmerz saß tief. "Die nächsten Tage werden brutal", ahnte Hummels. Sportdirektor Sebastian Kehl sprach nach dem 2:2 (0:2) gegen den FSV Mainz 05 halbwegs gefasst von der erschütternden inneren Leere: "Ich weiß nicht, warum das genau heute passiert ist. Vielleicht werde ich es nie erfahren. Wir hatten es in der Hand."

Sie wollten, wie Edin Terzic zu Saisonbeginn pathetisch gesagt hatte, "laut sein wie nie". Am Ende waren sie nicht Meister, sie waren still wie nie, alle 80.000 zusammen. Es war eine Szenerie, die an die großen Dramen der deutschen Bundesliga-Geschichte erinnerte: Schalkes vier Minuten von 2001, Bayer Leverkusen 2000 in Unterhaching - der BVB 2023.

BVB-Spieler beim Verarbeiten einer bitteren Enttäuschung.
REUTERS/Wolfgang Rattay

"Wir werden aufstehen"

"Die Menschen haben hier ein ganz starkes Gefühl für solche schwierigen Momente", betonte Kehl. "Es ist so, wie die Jungs es draußen gesungen haben: Borussia Dortmund wird niemals untergehen! Wir werden aufstehen und irgendwann wieder angreifen." Die Fans, auch die Mainzer, die auf jede Häme verzichteten, ermöglichten ein Scheitern in Würde. "Was im Innenraum des Stadions passiert ist, ist aller Ehren wert", sagte Julian Brandt, "da zieht jeder von uns den Hut."

Am Borsigplatz-Kreisel, an der Keimzelle des Vereins, wo Hunderttausende Menschen feiern wollten, passierte am Sonntagmorgen hingegen nichts. Am Alten Markt mit dem Bläserbrunnen öffneten zaghaft die Cafes, ein paar Leute trotteten zum Bäcker, der Friedensplatz vor dem Rathaus war verwaist. Der Kontrast zwischen dem, was war, und dem, was hätte sein können, war der größte Schmerz.

Beginn der Aufarbeitung

"Es tut extrem weh und fühlt sich komplett beschissen an. Das Stadion, die gesamte Mannschaft, die ganze Stadt hat dran geglaubt", sagte Terzic. "Aber nach den Gegentoren, da sah man, wie schwer der Ball plötzlich wird, wie schwer die Beine werden. Dieser Sport, in den wir uns alle verliebt haben, kann so hart sein." Am Sonntag trafen sich Mannschaft und Vereinsführung zu ersten Ansätzen von Verarbeitung.

Zu einer Tragödie gehört seit den alten Griechen die Fallhöhe. Als sich also am Samstag der Ausgleich der Kölner gegen den ewigen Meister FC Bayern herumsprach, der Stadionsprecher Norbert Dickel "1:1 in Köln!" ins laufende Spiel hinein brüllte, brach riesiger Jubel aus. Der BVB war virtuell Meister - für wenige Minuten, bis der Stecker gezogen wurde.

Es war erstaunlich: Die Fans waren derart schockiert vom Bayern-Tor, dass es nach dem 2:2 durch Niklas Süle in der Nachspielzeit sehr ruhig blieb. Da war kein Ruck mehr, nichts, dabei kamen noch 90 Sekunden! Es hätte nun ein Tor gereicht. Es fiel nicht.

Wenn der Schrecken die Glieder verlassen hat, werden sie bei Borussia Dortmund an die unendlich vielen Chancen denken. Den historischen Kollaps gegen Werder Bremen, das absurde 3:3 in Stuttgart, den Elfmeterklau von Bochum. Aber letztendlich bleibt: Ein Heimsieg gegen Mainz hätte die ganze Stadt in Massen-Ekstase versetzt. Sie hatten die Schale in der Hand. Sie haben sie den Bayern in den Schoß geworfen. (sid, 28.5.2023)