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Greenpeace-Aktivisten protestierten vergangene Woche am EU-Ratsgebäude in Brüssel gegen das Mercosur-Abkommen. Gegenüber, in der EU-Kommission, warb Valdis Dombrovskis bei einem Treffen mit Journalisten dafür.
EPA/Olivier Hoslet

Valdis Dombrovskis sieht das Momentum auf seiner Seite. Jetzt, da die Pandemie vorüber ist und der russische Krieg in der Ukraine die geopolitische Situation nachhaltig verändert habe, müsse die Europäische Union ihre Handelspolitik vorantreiben, erklärte der Vizepräsident der Europäischen Kommission vergangene Woche bei einem Gespräch mit Journalistinnen und Journalisten in Brüssel. Nach jahrelangen Verhandlungen will Dombrovskis das Abkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten endgültig auf Schiene bringen.

Jetzt oder nie?

Das erste Mal hatte die EU das geplante Handelsabkommen mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay vor knapp 25 Jahren verhandelt. 2020 stand der Deal dann kurz vor dem Abschluss. Doch mehrere Mitgliedsstaaten, darunter auch Österreich, legten Vetos ein – vor allem aus Sorge vor billigen, umweltschädlichen Agrarimporten.

Knapp drei Jahre später sieht die weltpolitische Lage völlig anders aus: Der Krieg in der Ukraine und die Spannungen mit China machen neue Allianzen notwendig. Europa will seine Lieferketten diversifizieren – und Südamerika lockt mit seltenen Erden, fruchtbaren Böden und einem großen Absatzmarkt für Industriegüter.

Auch der rechtsextreme Jair Bolsonaro wurde als brasilianischer Präsident mittlerweile vom linken Lula da Silva abgelöst. Gleichzeitig dehnt China seinen Handel mit den Mercosur-Staaten Monat für Monat weiter aus. Die Uhr tickt, sagen EU-Insider. Der Tenor lautet: "Jetzt oder nie." Denn auch Südamerika lasse sich nicht ewig hinhalten.

Streit über Umweltauflagen

Damals wie heute lobbyiert vor allem die Landwirtschaft gegen das Abkommen und fürchtet billigere, minderwertige Ware von Übersee. Mit in den Chor der Kritiker stimmten zahlreiche Umweltorganisationen ein. Die zusätzlichen Exporte von Soja, Rindfleisch und Co nach Europa könnten die Abholzung des Regenwalds befeuern, so die Befürchtung. Zudem könnten die Agrarimporte mithilfe von Pestiziden produziert werden, die in Europa längst verboten sind.

Zwar ist unter Fachleuten praktisch unumstritten, dass das Abkommen wirtschaftliche Vorteile für beiden Seiten bringen würde. Genauso unumstritten ist allerdings, dass es innerhalb der jeweiligen Volkswirtschaften Gewinner und Verlierer gäbe: In der EU würden Hersteller von Maschinen, Autos und Chemie profitieren; in den Mercosur-Staaten die Landwirtschaft und Exporteure von seltenen Erden.

Gipfel im Juli

"Nachhaltigkeit und die Vermeidung von Abholzung haben für die EU Priorität", betont der EU-Handelskommissar. Das Abkommen könne eine Plattform für Verhandlungen bieten, um diese Themenbereiche weiter voranzubringen. Die EU habe sich kürzlich auf eine Verordnung gegen Abholzung geeinigt. Sie soll verhindern, dass Produkte, die aus gerodete Wäldern stammen, in die EU exportiert werden.

Um Kritikerinnen und Kritiker zu besänftigen, wird derzeit ein Vertragszusatz verhandelt. Die EU hat den Vorschlag bereits an die Mercosur-Staaten übermittelt; eine Antwort ist noch ausständig. Ab 17. Juli kommen die Mercosur-Staaten und die Europäische Union dann zu einem Gipfeltreffen zusammen.

Dombrovskis optimistisch

Bleiben Staaten wie Frankreich und Österreich bei ihrem Veto, könnte die EU-Kommission das Abkommen theoretisch erzwingen, was Umweltorganisationen wie Greenpeace zuletzt stark kritisierten. Mit einem sogenannten Splitting könnte die Kommission den politischen Teil des Abkommens, der Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten erfordert, aus dem Vertragswerk herauslösen. Für den übriggebliebenen wirtschaftlichen Teil würde dann eine qualifizierte Mehrheit reichen. Politisch ist das derzeit aber unwahrscheinlich, glauben EU-Insider. Die Kommission würde damit Frankreich vor den Kopf stoßen. Zudem wollen auch die Mercosur-Staaten ein umfassendes Abkommen beschließen.

Dombrovskis ist jedenfalls optimistisch, kritische Staaten wie Frankreich, die Niederlande und Österreich doch noch überzeugen zu können. "Die Regierungen der EU-Staaten zeigen sich in Handelsfragen zuletzt zunehmend aufgeschlossen", sagt Dombrovskis. "Das war vor der Pandemie und dem Ukrainekrieg nicht der Fall." (Jakob Pflügl aus Brüssel, 29.5.2023)