Giorgia Meloni vergleicht Steuern mit Schutzgeld.
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"Der Kampf gegen die Steuerhinterziehung muss dort geführt werden, wo sie auch wirklich stattfindet: Bei den Big Companys und bei den Banken. Nicht beim kleinen Gewerbetreibenden, von dem man staatliches Schutzgeld verlangt", erklärte Giorgia Meloni jüngst bei dem Wahlkampffinale der Kommunalwahlen im sizilianischen Catania. Das war natürlich Musik in den Ohren für unzählige Kleinunternehmer und Ich-AGs, also einer Kategorie, die laut einer Erhebung des Finanzministeriums bis zu 70 Prozent ihres Umsatzes am Fiskus vorbeiwirtschaftet und in Italien tendenziell rechts wählt.

Das Umgarnen von Schlaumeiern und Steueroptimierern auch eine lange Tradition bei den italienischen Rechtspopulisten: Silvio Berlusconi hatte die Steuerhinterziehung – ebenfalls als Regierungschef – schon vor vielen Jahren als "Notwehr" gegen einen gefräßigen Staat bezeichnet; Lega-Chef Matteo Salvini umgarnt die Wähler schon seit Jahren mit dem Versprechen einer Einheitssteuer ("flat tax") von 15 Prozent. So weit zu gehen, die Erhebung von Steuern mit der Eintreibung von Schutzgeld im Stil der Mafia zu vergleichen, hatte bisher allerdings noch niemand gewagt.

Herz für Steuervermeider

Es ist freilich nicht das erste Mal, dass Giorgia Meloni ein Herz für Steuervermeider zeigt. Schon in ihrem ersten Staatshaushalt war eine kleine Steueramnestie mit der sinnigen Bezeichnung "tregua fiscale" (steuerlicher Waffenstillstand) vorgesehen, außerdem sollte das Limit für Barzahlungen von 1.000 auf 5.000 Euro erhöht und die Pflicht für Gewerbetreibende, elektronische Zahlungsmittel zu akzeptieren, aufgeweicht werden. Nach Protesten der EU-Kommission wurde ein Teil dieser Maßnahmen anschließend zurückgenommen oder zumindest abgeschwächt.

Insgesamt hat sich Brüssel aber mit Kritik an der Rechtsregierung zurückgehalten. Das liegt zum einen daran, dass die "Melonomics", wie die Wirtschafts- und Finanzpolitik Melonis in den italienischen Medien genannt wird, zumindest bisher im Zeichen der Vorsicht stand und nicht allzu sehr vom Kurs des angesehenen Vorgängers an der Regierungsspitze, Mario Draghi, abwich. Zum anderen läuft die Wirtschaft des Landes derzeit verhältnismäßig gut: Für das laufende Jahr ist ein Wachstum von 1,2 Prozent prognostiziert. Das ist besser als der EU-Durchschnitt und erst recht besser als in Deutschland, das gerade in eine Rezession abgerutscht ist.

Stimmung steht auf der Kippe

Doch die Stimmung in Brüssel und auch beim Internationalen Währungsfonds (IWF) gegenüber Rom ist gerade am Kippen. Und dies liegt nicht zuletzt gerade an der Steuerpolitik. Die von Salvini durchgeboxte, wenn auch stark abgeschwächte Einheitssteuer gehe zulasten der Steuereinnahmen und vermindere die Steuergerechtigkeit, heißt es in den letzte Woche veröffentlichten Empfehlungen der EU-Kommission. Ins gleiche Horn stößt der IWF, der am Freitag außerdem "erhebliche Gefahren" bei der Finanzierung der Pensionen aufziehen sieht. Ein Problem für das stark verschuldete Italien seien außerdem die steigenden Zinsen.

Die größten Sorgen bereiten der EU-Kommission und dem IWF aber die Schwierigkeiten der Römer Rechtsregierung bei der Umsetzung der Projekte, die mit dem EU-Wiederaufbaufonds finanziert werden. Italien ist überall im Rückstand, besonders bei den Bildungsinvestitionen und beim ökologischen Umbau. Von den bisher überwiesenen Geldern wurden weniger als 15 Prozent bereits verwendet. Angesichts der Überforderung der italienischen Behörden und der Bürokratie mit dem vielen Geld - Italien erhält im Rahmen der EU-Wiederaufbauhilfe 191 Milliarden Euro aus Brüssel - hat die EU die dritte Rate blockiert, und auch die beiden nächsten Raten sind gefährdet. Insgesamt geht es dabei um immerhin 60 Milliarden Euro.

"Melonomics" für Gutverdiener

Und noch ein anderer Makel kennzeichnet die "Melonomics": Die Chefin der Fratelli d'Italia hatte sich im Wahlkampf als Anwältin der "kleinen Leute" und der Armen angepriesen. Kaum an der Regierung tut sie - wie alle Rechtspopulisten auf dem ganzen Globus - in vielen Punkten das genaue Gegenteil. Meloni hat das von der Fünf-Sterne-Bewegung eingeführte Bürgergeld drastisch reduziert, was mindestens eine Million Familien Not bringen wird. Sie ist gegen die Einführung des Mindestlohns und gegen höhere Steuern für Gutverdiener. Außerdem hat sie die von Draghi eingeführte Übergewinnsteuer für Energiekonzerne um drei Viertel reduziert.

Von hohem Symbolwert- auch klimapolitisch - ist zudem ein weiteres Steuergeschenk, nämlich die geplante Abschaffung der italienischen Extrasteuer auf PS-starken Personenwagen. In der Regel sind es nicht die "kleinen Leute" und die Armen, die Ferraris, Lamborghinis und Maseratis fahren. (Dominik Straub aus Rom, 29.5.2023)