Vor dem Hintergrund des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine vergisst man allzu leicht, dass es zwei potenziell explosive Krisenherde auch auf dem Balkan gibt: Kosovo und Bosnien. In beiden Fällen spielt Aleksandar Vučić, der autokratische Präsident Serbiens, eine Schlüsselrolle.

Angesichts der Serie von Massenprotesten gegen seine Regierung wegen des Versagens der Behörden bei zwei Amokläufen mit 18 Todesopfern versucht er die neuen Spannungen zwischen der Kosovo-Regierung und der serbischen Minderheit durch Säbelrasseln hochzuspielen und so von der internen Krise nach bewährter Manier abzulenken.

Der wendige Vučić vertritt zwar eine prorussische Linie, trotzdem gelingt ihm, sich als "Stabilitätsfaktor" in Brüssel und auch in Washington zu verkaufen.
APA/AFP/POOL/HANNAH MCKAY

Besonders auffallend war bei der von der Belgrader Regierung organisierten Sympathiekundgebung am Freitag der Auftritt des bosnischen Serbenführers Milorad Dodik und des ungarischen Außenministers Péter Szijjártó.

Prorussische Linie

Dodik, der starke Mann der Republika Srpska in der bosnischen Föderation, gilt als enger Freund Wladimir Putins, den er vor wenigen Tagen zum siebenten Mal seit 2014 in Moskau getroffen hat, um "geopolitische Fragen" zu besprechen. Der wendige Vučić vertritt zwar auch eine prorussische Linie, trotzdem gelingt ihm, sich als "Stabilitätsfaktor" in Brüssel und auch in Washington zu verkaufen. Zu Recht warnt der kenntnisreiche Balkanexperte Vedran Džihić: "Der Westen kuschelt zu sehr mit Vučić" (26. 5., Die Presse).

Angesichts der prorussischen Stimmung in Serbien und im serbischen Teilstaat der bosnischen Föderation könnte Putin sowohl im Kosovo als auch in Bosnien indirekt eine zweite Front gegen die Nato eröffnen. Neben Dodik setzte sich der (wie Dodik) auch mit dem höchsten russischen Orden ausgezeichnete ungarische Außenminister Szijjártó in einer auf Serbisch gehaltenen Rede geradezu leidenschaftlich völlig für die Person und für den Kurs von Vučić ein. Weniger freundlich wies der sprachkundige langjährige Sprecher Viktor Orbáns die österreichischen Beschwerden wegen der Freilassung von 606 ausländischen Schleppern (mit Ausreisepflicht in 72 Stunden) zurück.

Zynischer Friedensstifter

Als zynischer Friedensstifter verlieh auch sein Chef, Ministerpräsident Viktor Orbán, vor einigen Tagen der russischen Ukraine-Politik volle Rückendeckung beim internationalen Wirtschaftsforum in Katar. In einem Bloomberg-TV-Interview vermied er jede Kritik an Putin, kritisierte die EU und die ukrainische Regierung, lobte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und sprach sich für Donald Trump und die Republikaner aus. Zugleich hat Putins bester Freund in der EU die Blockade des 500-Millionen-Euro-Zuschusses für die Aufrüstung der Ukraine, die völlige Abhängigkeit Ungarns von der russischen Nuklearindustrie und die fehlende Zustimmung für die Aufnahme Schwedens in die Nato gerechtfertigt.

Am Vorabend des 60. Geburtstages Viktor Orbáns, des Zerstörers der liberalen Demokratie in Ungarn, wirkt nicht nur in den Augen der Opposition die Debatte, ob ihr Land geeignet sei, in der zweiten Jahreshälfte 2024 die EU-Präsidentschaft zu übernehmen, als systematische Heuchelei.

Wie der frühere belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt kürzlich formulierte: Das Ungarn von heute würde man nicht einmal in die EU aufnehmen. (Paul Lendvai, 29.5.2023)