In seinem Gastkommentar führt der Politikwissenschafter David M. Wineroither drei Strategien an, zwischen denen sich die Partei entscheiden muss.

Mit der SPÖ, jahrzehntelang Kanzlerpartei, ist gegenwärtig kaum ein Staat zu machen. Die Protagonisten bleiben beschädigt zurück, die Führungsfrage und die Strategie der Partei drohen über das Datum der Parteitagsentscheidung hinaus ungeklärt zu bleiben.

Andreas Babler oder Hans Peter Doskozil – wer verspricht bessere Wahlaussichten? Stimmfrage, fehlende Präsenz im Nationalrat oder das Verhältnis zum Marxismus sind höchstens Nebengeräusche. Bablers Unterstützerinnen und Unterstützer gehen nach den KPÖ-Erfolgen in Graz und Salzburg von einem Signalton aus, der ein politisches Gesetz in Erinnerung ruft: dass "linke" Politik in Zeiten sozialer Verwerfungen Auftrieb beim Wähler, bei der Wählerin bekommt. Doch Zweifel sind angebracht. Die großen Leidenschaftswecker der vergangenen Dekade, ein Alexis Tsipras oder Yanis Varoufakis, ein Bernie Sanders, Jeremy Corbyn, Jean-Luc Mélenchon: Sie sind einfach nicht mehrheitsfähig in nationalen Wahlen.

Eher rechts der Mitte

Der Zeitgeist steht eher rechts als links der Mitte. Globales Dorf und globaler Wettbewerb führen bei vielen Menschen zu einer Wahrnehmung von Identitäts- und Verteilungsfragen, die von einem sozialdemokratischen Gerechtigkeitsverständnis und Menschenbild nicht abgedeckt werden. Zu allem Überdruss wirkt die Bewegung nach innen zerrissen, nach außen gegenüber Marktexzessen und transnationalen Unternehmen hilflos.

In Österreich erst recht: Bruno Kreiskys Mehrheiten, die letzten ihrer Art, verdankten sich maßgeblich einer Linksverschiebung von Präferenzen in der Gesellschaft im Verbund mit inhaltlichem Pragmatismus. Nicht einmal angesichts der gescheiterten Kurz-Strache-Bundesregierung und der anhaltenden Verheerungen, die das türkise Erbe in der ÖVP anrichtet, richtet sich das SPÖ-Schiff auf: Die Sozialdemokraten spielen demoskopisch die zweite Oppositionsgeige.

Der jüngste Erfolg der KPÖ? Eher ein Aufflackern. Ein Branding als SPÖ plus mit oder ohne neue Farbgebung? Unglaubwürdig und unnütz.

Die SPÖ muss neben der Vorsitzfrage ihre Haltung in der Migrationsfrage klären, um wieder in die Spur zu kommen.
Foto: Heribert Corn

Blauer Wählerpool

Mit Doskozils sozialexpansivem Kurs im Burgenland wird sich die übergroße Mehrheit in der Partei identifizieren können. Beständige Kritik vor allem an der Linie der Wiener Parteiführung in Zuwanderungsfragen, dafür keine am Nachbarn, Viktor Orbáns Ungarn, trotz einer Vielzahl an Berührungspunkten, lässt allerdings die Wogen hochgehen. Seine öffentlichen Auftritte lassen jenes Fingerspitzengefühl vermissen, ohne das Aussöhnung und Integration nicht gelingen.

Ob die Ausstrahlung in den blauen Wählerpool gelingen mag? Kantig, rau und hineingrätschend – kein Problem für jenen Teil der (möglichen) Wählerschaft, der sich nicht an Herbert Kickls Auftreten stößt; quertreibend und zaudernd – das wird zum Problem für ebenjene Wählerschicht. Führungsstärke sieht anders aus: Doskozil muss im Nachgang zum elendslangen Abarbeiten an Pamela Rendi-Wagner aufpassen, eine stimmige Verknüpfung von Stil, Inhalt und Strategie hinzubekommen.

Beide Kandidaten werben intensiv um FPÖ-Stimmen. Die Arbeiterschaft ist aber geschrumpft und zeichnet sich so wie die Angestellten in neuen Dienstleistungsberufen durch eine höchst heterogene Interessenlage aus: Ein Teil zählt verdienstmäßig zur – gar nicht so kleinen – Mittelschicht. An die FPÖ verlor die Sozialdemokratie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in erster Linie qualifizierte Vor- sowie Facharbeiterinnen und Facharbeiter.

Linksliberaler Kurs?

Diese Gruppe wird man mit einem wirtschaftspolitischen Schwenk nach links nicht überzeugen können: Sie reagiert in Österreich wie anderswo sensibel auf Steuererhöhungen (inklusive Vermögenssteuern) und hat ein ausgeprägtes Sensorium für Standortpolitik und wahrgenommene Verluste an Wettbewerbsfähigkeit.

Bleiben drei mögliche Strategien:

1. Eine breite Entfachung von Leidenschaft für die Sache und die Person, die zu hoher Mobilisierung führt. Das gelänge wohl eher Babler, wäre aber nicht ausreichend, um Mehrheiten zu erringen.

2. Ein linksliberaler Kurs, der vielleicht einen ersten Platz sichert, aber weder Wählerinnen und Wähler von FPÖ noch ÖVP überzeugt. So ließe sich kein Partner für Koalitionsmehrheiten finden. Das wäre wiederum das Modell Babler.

3. Ein Abwerben oder eine Rückholung von FPÖ-Wählerinnen und -Wählern in großer Zahl. Dafür reichte weder ein Anti-Establishment-Image noch ein dezidiert linker Wirtschafts- und Finanzkurs aus: Die Sozialdemokratie müsste ein Angebot im Bereich Zuwanderungspolitik legen. Dafür wäre nur Doskozil zu haben. Das Risiko einer Parteispaltung wäre vorhanden, und man bräuchte die Volkspartei mehr denn je als Regierungspartner.

Offene Fragen

Eines verbindet die verschiedenen Parteiflügel: ein nicht selbstverständlicher Zug in Richtung Regierungsverantwortung, ein kollektives l’État, c’est moi! Tiefe Uneinigkeit herrscht darüber, mit welchen Partnern unter welcher Art des Verzichts dies erreicht werden soll. Völlig abhandengekommen ist die Bereitschaft, geschlossenes Auftreten als Vorbedingung von Wahlerfolgen zu akzeptieren. Fast ausschließlich wurde und wird über Charakter, Stil und Außenseitertum gesprochen; zu wenig über die Programmentwürfe debattiert. Konsequent unterbelichtet bleibt die Gretchenfrage: Wie hältst du es mit Zuwanderung? Bleibt eine Koalition mit den Freiheitlichen ausgeschlossen? Es ist das heißeste aller Eisen, an dem sich niemand die Finger verbrennen möchte, und zugleich der innerparteiliche Konfliktherd schlechthin.

Triell beziehungsweise Duell erinnert an die Abläufe nach der Bildung von Schwarz-Blau I: Abgang des Quereinsteigers Viktor Klima. Zwei Flügel im Wettstreit: der eine repräsentiert durch den Linksliberalen Caspar Einem, der andere durch den "Rechtsverbinder" Karl Schlögl. Es wurde dann Alfred Gusenbauer. Das ist ein Vierteljahrhundert her. (David M. Wineroither, 30.5.2023)