Einsatzkräfte vor einem beschädigten Gebäude in Moskau.
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Bewohner, die von lauten Explosionen aus dem Schlaf gerissen werden. Einsatzkräfte, die einen Tatort abriegeln und die Erstversorgung sicherstellen. Schäden an Wohngebäuden. Es sind Szenen, die für Kiew seit dem russischen Überfall vor mehr als einem Jahr quasi alltäglich geworden sind. Insbesondere seit Sonntagfrüh wird die ukrainische Hauptstadt erneut von russischen Streitkräften massiv aus der Luft angegriffen. Es handelt sich dabei laut Einschätzungen aus der Ukraine um die schwersten Drohnenangriffe auf die Stadt seit Kriegsbeginn.

Die russische Hauptstadt Moskau ist nach offiziellen Angaben Ziel eines Drohnenangriffs geworden.
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Doch Dienstagfrüh waren es nicht nur die Bewohner Kiews, die von Explosionsgeräuschen geweckt wurden – sondern auch die Bewohner Moskaus. In den frühen Morgenstunden sind in den sozialen Medien Videos aufgetaucht, die Rauchspuren über einem Stadtteil und möglicherweise den Abschuss einer Drohne zeigen. Auf anderen Aufnahmen aus der russischen Hauptstadt war das zerstörte Fenster eines beschädigten Gebäudes zu sehen. Was bisher über die Drohnenangriffe auf die russischen Hauptstadt bekannt ist.

Frage: Was genau ist passiert?

Antwort: Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurde Moskau Dienstagfrüh von acht unbemannten Flugobjekten angegriffen. Alle acht Drohnen wurden demnach von der Luftabwehr abgefangen. Drei Drohnen wurden mittels Störsignalen von ihrem Kurs abgebracht, die anderen fünf seien mit dem Pantsir-Flugabwehrsystem in der Region Moskau abgeschossen worden. In russischen Medien schwankten die Angaben zur Zahl der Drohnen zwischen vier und 25, dafür gibt es aber bisher keine Bestätigung. Nach Angaben des Duma-Abgeordneten Alexander Chinschtein wurden drei Drohnen über dem Nobelviertel Rubljowka im Westen Moskaus abgeschossen. Dort besitzen zahlreiche Politiker und auch Kreml-Chef Wladimir Putin ein Haus. Auch Ex-Präsident Dmitri Medwedew und Ministerpräsident Michail Mischustin sowie viele reiche Geschäftsleute sollen Berichten zufolge dort Anwesen haben.

Frage: Sind Personen zu Schaden gekommen?

Antwort: Nach Angaben von Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin wurden bei dem Angriff zwei Personen verletzt. Zudem hätten die Angriffe "geringe Schäden an mehreren Gebäuden verursacht". Konkret seien drei Gebäude betroffen, zwei Wohnblöcke wurden zum Teil vorübergehend evakuiert. Der Betrieb an den Moskauer Flughäfen sei von den Angriffen nicht beeinträchtigt worden.

Frage: Weiß man, wer hinter den Angriffen auf Moskau steht?

Antwort: Es ist bisher nicht klar, wer die Drohnen gestartet hat. Derzeit sind laut russischen Medien Ermittlungen in Gang. Unklar war zunächst auch, um welches Drohnenmodell es sich handelte. Das russische Verteidigungsministerium macht die Ukraine für den Angriff verantwortlich und spricht von einem "Terrorakt". Die ukrainische Staatsspitze hat sich zu den Vorfällen bisher nicht geäußert. Der ukrainische Präsidialberater Mychajlo Podoljak verneinte, dass die Ukraine dafür verantwortlich sei: "Natürlich sind wir über die erwartete Zunahme von Angriffen erfreut. Aber natürlich haben wir damit nichts direkt zu tun." In den sozialen Medien wird erneut viel über eine False-Flag-Aktion gemutmaßt, die der Kreml selbst inszeniert habe. Dafür gibt es aber bisher keinerlei Beweise.

Frage: Wie lauten die Reaktionen in Moskau?

Antwort: Der Duma-Abgeordnete Maxim Iwanow sprach vom schwersten Angriff auf Moskau seit den Nazi-Angriffen im Zweiten Weltkrieg und warb sogleich für den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Kein Bürger könne jetzt der "neuen Realität" entgehen. "Entweder ihr seid bereit, den Feind mit der geeinten Faust des Vaterlands zu besiegen, oder eure Familie wird von der unauslöschliche Schande der Feigheit, der Kollaboration und des Verrats verschlungen", sagte er in Richtung der russischen Bevölkerung. Zudem wurden Stimmen laut, die ein Verbreitungsverbot für Videoaufnahmen von den Drohnenangriffen forderten. Die Moskauer Staatsanwaltschaft sprach von angeblichen Fake-Meldungen in den sozialen Medien, die von offiziellen Informationen abwichen, und warnte: Ihre Verbreitung könne geahndet werden. Russland hat seit Kriegsbeginn eine Reihe von drakonischen Gesetzen verabschiedet, die alle abweichenden Meinungen unterdrücken sollen. Der Chef der Wagner-Söldner, Jewgeni Prigoschin, machte dagegen hochrangige Militärbeamte für die Drohnenangriffe verantwortlich. "Warum zum Teufel lasst ihr zu, dass diese Drohnen nach Moskau fliegen? Wen interessiert es schon, dass sie eure Häuser in Rubljowka anfliegen! Lasst eure Häuser brennen", wetterte Prigoschin, der die Einwohner des von den Drohnen angesteuerten Nobelviertels schon öfters als weltfremde Elite dargestellt hat. Putin äußerte sich zunächst nicht. Kreml-Sprecher Dimitri Peskow sprach dagegen von einem Vergeltungsschlag Kiews für die jüngsten russischen Angriffe auf eine ukrainische Militärbasis.

Frage: Was weiß man über ukrainische Angriffe auf russisches Staatsgebiet?

Antwort: Die Ukraine hat bisher keine Angriffe auf russischem Staatsgebiet bestätigt, und betont regelmäßig, dass sie die russischen Streitkräfte lediglich auf besetztem ukrainischem Gebiet (Cherson, Saporischschja, Luhansk, Donezk, Krim) bekämpft, um sie zu vertreiben. In jüngster Zeit werden aber immer öfter Angriffe auf russisches Staatsgebiet gemeldet – insbesondere in der russischen Grenzregion Belgorod. Zuletzt waren dort rechtsextreme Freiwilligenverbände, die aus russischen Staatsbürgern bestehen und an der Seite der Ukraine kämpfen, eingefallen. Außerdem werden immer wieder Drohnenangriffe auf russische Militär- und Industrieanlagen gemeldet. Anfang Mai war nach russischen Angaben ein Drohnenangriff auf den Senatspalast im Moskauer Kreml vereitelt worden. Moskau beschuldigte die Ukraine, den "Anschlag" ausgeführt zu haben, und wertete diesen als "Terrorangriff". Kiew wies das zurück – doch ein Bericht der "New York Times" stützte in der Vorwoche die These einer ukrainischen Urheberschaft. Zumindest gehen demnach die US-Geheimdienste davon aus.

Frage: Was ist in der Nacht in Kiew passiert?

Antwort: In der ukrainischen Hauptstadt gab es in der Nacht auf Dienstag ebenfalls Luftalarm. Bürgermeister Witali Klitschko sprach von einem "massiven Angriff". Bei einem Hochhausbrand durch herabfallende Trümmer eines zerstörten russischen Flugkörpers kam demnach mindestens eine Person ums Leben. Eine weitere Person lag im Krankenhaus, zwei weitere seien verletzt worden. Die ukrainische Luftwaffe hat nach eigenen Angaben bei dem nächtlichen Luftangriff – dem dritten innerhalb von 24 Stunden – 29 von insgesamt 31 Drohnen abgeschossen. Die Angriffe seien mit Shahed-Drohnen aus iranischer Produktion erfolgt. Schon am Sonntag und am Montag hatte russischer Beschuss für Panik in der ukrainischen Hauptstadt gesorgt. (Flora Mory, 30.5.2023)