Während sich viele Menschen in Österreich ein sonniges Pfingswochenende gönnten, brach in der türkis-grünen Koalition wieder einmal ein Streit aus – in Sachen Klimaschutz, konkret betreffend das bevorstehende Aus für Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren. Dieses hat die EU ja für das Jahr 2035 beschlossen (mit Ausnahme der sogenannten E-Fuels). Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) jedoch wolle den Ausstieg vorziehen, behauptete die ÖVP am Sonntag per Aussendung. Statt 2035 denke sie das Aus bereits für das Jahr 2027 an, meinte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. "Ein Überrumpeln der Menschen" sei das.

Was spricht für und was spricht gegen E-Fuels?
DER STANDARD

Die Grünen schlugen prompt zurück. Die ÖVP wechsle politisches Kleingeld, reagierte Grünen-Umweltsprecher Lukas Hammer auf den Vorwurf des Koalitionspartners. Die ÖVP wisse, dass die Behauptung nicht stimmt.

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Kommt das Verbrenner-Aus in Österreich früher?
imago/Michael Weber

Was ist wirklich dran? Den Vorschlag, die Verbrenner-Neuzulassung im Wege eines österreichischen Alleingangs schon früher zu verbieten als in der gesamten EU, nämlich im Jahr 2027, gibt es tatsächlich. Allerdings – er kommt nicht von Gewessler, sondern vom sogenannten Klimarat, einem Gremium von 84 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern, das unverbindliche Vorschläge ausgearbeitet hat, damit Österreich bis 2040 der Schritt hin zur Klimaneutralität gelingt. Der Klimarat entstand im Jahr 2021 aus einem Entschließungsantrag des Parlaments und mit dem Sanktus der (gesamten) türkis-grünen Regierung – und er agierte unabhängig von Gewesslers Klimaschutzministerium.

Eine von 93 Empfehlungen

Im Frühsommer 2022 legte der Klimarat 93 Empfehlungen vor. Eine davon: "Neuzulassungen (Erstzulassungen) von Pkws und einspurigen Kraftfahrzeugen mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren sollen schrittweise verringert werden und mit spätestens 1. Jänner 2027 vollständig auslaufen. Dazu braucht es eine gesetzliche Umsetzung, die möglichst schnell klare Rahmenbedingungen bereitstellt und dadurch die Planbarkeit ermöglicht."

Österreich würde mit einem derart frühen Zeitpunkt für die Maßnahme eine Pionierrolle in der EU einnehmen – und wäre dennoch nicht ganz allein damit. Auch Schweden, Dänemark, Irland und die Niederlande haben sich laut der Mobilitätsorganisation Verkehrsclub Österreich (VCÖ) bereits zu einem früheren Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor als die gesamte EU bekannt, konkret im Jahr 2030. Besonders rasch geht das Nicht-EU-Mitglied Norwegen vor: Hier wird der Ausstieg bereits 2025 erfolgen. Allerdings liegt in Norwegen der Anteil der Pkws mit reinem Elektromotor schon heute bei rund 80 Prozent, an einsamer Spitze in Europa. Zum Vergleich: In Österreich sind es rund 20 Prozent.

Was aber sagt die österreichische Politik zum früheren Verbrenner-Aus? Will Gewessler den Vorschlag des Klimarats wirklich in die Tat umsetzen? Ein Rundruf des STANDARD zeigt, dass keine einzige Partei ein früheres Verbrenner-Aus im Jahr 2027 befürwortet – nicht einmal die Grünen.

Vielleicht doch schon 2030?

Dennoch ist dem kleinen Koalitionspartner das Jahr 2035 etwas zu spät. Im "Mobilitäts-Masterplan 2030" des Klimaschutzministeriums – einem Strategiepapier mit Vorschlägen zum Erreichen der Klimaziele im Verkehrssektor aus dem Jahr 2021, verfasst also vor dem EU-Beschluss vom heurigen Februar – ist vom Ausstiegsjahr 2030 die Rede. "100 Prozent aller Pkw- und Zweirad-Neuzulassungen" sollten "spätestens ab 2030 emissionsfrei" sein, liest man in diesem Bericht. Dieses Ziel sei trotz EU-Beschlusses nach wie vor aufrecht, heißt es von einem Sprecher Gewesslers zum STANDARD. "Wir wollen, dass es in Österreich schneller geht als in der gesamten EU." Allerdings räumt der Sprecher ein, dass keine große rechtliche Handhabe bestehe: Neuzulassungen würden für die gesamte EU gelten, und hier habe man sich eben auf das Jahr 2035 verständigt. Auch handelt es sich beim Mobilitäts-Masterplan um ein reines Vorschlagspapier. Er hat weder den Charakter von Gesetzesvorschlägen, noch wurde er koalitionsintern akkordiert.

Fazit: Die Grünen würden das Verbrenner-Aus tatsächlich gerne vorziehen, allerdings ist selbst ihnen das Jahr 2027 zu früh. Und was das Jahr 2030 betrifft, existiert zwar eine reichlich laxe und zahnlose Zielvorstellung, jedoch rechnet man sich wenig Chancen aus. Mit äußerst großer Wahrscheinlichkeit wird das Verbot daher im Jahr 2035 kommen, im Gleichklang mit der gesamten EU. Vom Jahr 2027 jedenfalls, wie die ÖVP behauptet, ist seitens Gewesslers nicht die Rede. (Joseph Gepp, Alicia Prager, 30.5.2035)