"Land, Land, endlich Land!", ging als Jubelruf in die Geschichte ein. Ausgestoßen hat ihn die Besatzung der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition unter Julius Payer und Carl Weyprecht, als sie die Inselgruppe Franz-Josef-Land entdeckte. Die Euphorie der Mannschaft wird nachvollziehbar, wenn man die abenteuerliche Expedition Revue passieren lässt. Möglich ist das in einer neuen Ausstellung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Dabei bietet sich die seltene Gelegenheit, Einblick in eine der wohl kuriosesten Geschichten der Entdeckungsfahrten zu nehmen.

Die Inselkette Franz-Josef-Land
Franz-Josef-Land ist für die Öffentlichkeit nicht betretbar, selbst die Forschung erhält nur begrenzt Zugang zu dem Archipel, das von einer K.-u.-k.-Expedition entdeckt wurde.
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Eingeschlossen im Packeis

Am 13. Juni 1872 sticht das Schiff Admiral Tegetthoff mit 24 Mann Besatzung von Bremerhaven aus in See. Ziel der Reise ist neben der Erkundung des Nordpolarmeeres die Suche nach einer möglichen Nordostpassage. Doch äußerst ungünstige Wetter- und Eisverhältnisse durchkreuzen den Plan – wenige Wochen nach Abreise wird das Schiff im Packeis vor der Insel Nowaja Semlja eingeschlossen. Manövrierunfähig driftet es auf einer Eisscholle nach Norden.

Das Schiff der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition
Ein Gemälde zeigt das im Packeis festsitzende Expeditionsschiff Admiral Tegetthoff der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition.
ÖAW

Ein Jahr fristet die Besatzung in beengten Verhältnissen, begleitet vom beängstigenden Knacken des Holzes. Die Gefahr, vom sie umgebenden Eis erdrückt zu werden, besteht konstant. Auch die bald einsetzende Polarnacht lastete schwer auf den Männern, wie Payer festhält: "Der Lichtkreis einer Lampe ist für den Menschen dann die ganze Welt." Der Drift durch unbekannte Gewässer endet am 30. August 1873, als die Besatzung endlich Land sichtet.

Blick vom Meer auf Franz-Josef-Land
Ein Blick auf die Inselkette Franz-Josef-Land, deren Sichtung so geschichtsträchtig bejubelt wurde. Obwohl sie verlockend nahe liegt, kann die Besatzung der Tegetthoff aufgrund der Eis- und Witterungsverhältnisse lange nicht von Bord gehen.
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840 Kilometer durch die Kälte

Die rettende Inselkette sollte für die Crew jedoch zum eisigen Gefängnis werden. Vor dem Archipel verbringen die Männer ihren zweiten Winter an Bord des Dreimasters. Im Frühling 1874 wird das neu entdeckte Land schließlich erkundet. Mit acht Schlittenhunden führen die Männer drei Schlittenreisen durch, legen dabei mehr als 840 Kilometer zurück und kartieren unter widrigen Bedingungen. Bei Kap Fligely erreichen sie den nördlichsten Punkt Eurasiens.

Während dieser Erkundungen fertigt die Mannschaft die erste Spezialkarte des Polarkreises im Maßstab 1:100.000 an. Diese Pionierarbeit leidet jedoch unter den herrschenden Wetterbedingungen. Qualitätsverluste der Karte ergeben sich, da die Expeditionsteilnehmer ab einer Höhe von 60 Metern mit derart starkem Wind zu kämpfen haben, dass der Messtisch konstant ins Wanken gerät und exakte Aufnahmen unmöglich sind. Hinzu kommt die Feuchtigkeit des Nebels, die das Papier angreift und die Aufzeichnungen verzerrt.

Illustration der Erkundung Franz-Josef-Lands
Die Erkundung und Kartierung des neu entdeckten Archipels Franz-Josef-Land im hohen Norden, dargestellt in einer Illustration aus dem Jahr 1880. Erschienen ist diese in der mexikanischen Wochenzeitung "El Mundo Ilustrado".
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Der Proviant wird knapp

Ausgerüstet mit Dosenfleisch, Zwieback und Sauerkraut ist die Versorgung der Mannschaft vorerst gesichert. Die Besatzung zu verpflegen bringt den Koch dennoch nah an den Nervenzusammenbruch. Er verzweifelt angesichts des nicht auftauen wollenden Dosenfleischs, wie Payer notiert: "Stundenlang stehen die Büchsen mit Konservenfleisch im kochenden Wasser um aufzuthauen, was in der Regel nur mangelhaft gelingt." Den mitgebrachten Schinken vergleicht er mit dem nie auftauenden Boden der sibirischen Tundra.

Nach zwei Jahren an Bord gehen die Vorräte jedoch zur Neige, zudem verschlechtert sich der Gesundheitszustand einiger Besatzungsmitglieder. Am 16. März 1874 verstirbt der Maschinist Otto Krisch an einer bestehenden Tuberkuloseinfektion. Drei Tage später findet er auf der Wilczek-Insel seine letzte Ruhestätte – sie gilt als die nördlichste Grabstätte der Welt. Die widriger werdenden Umstände bewegen die Expeditionsleiter zu einer Entscheidung, die der verbliebenen Mannschaft das Leben retten wird – doch wiederum unter immensen Strapazen.

Gemälde des Begräbnisses von Maschinisten Otto Krisch
Am 16. März 1874 verstirbt der Maschinist Otto Krisch, er wird am 19. März auf der Wilczek-Insel beigesetzt. Er war das einzige Todesopfer der strapaziösen Expedition.
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Aufbruch mit ernüchterndem Ausgang

Am 20. Mai 1874 verlassen die Männer das nach wie vor festsitzende Schiff und treten den Weg gen Süden an. Payer und Weyprecht wissen, dass sie die Gunst der Stunde und den Frühsommer nutzen müssen. Ein weiteres Jahr im Eis würden sie nicht überleben. Die drei Beiboote der Tegetthoff werden mit allen nötigen Utensilien beladen und für die Heimreise mit Kufen versehen. Sechs Wochen lang bahnt sich die Mannschaft ihren Weg durch eine unwirtliche und trostlose Landschaft.

Dann die schockierende Ernüchterung: Am Horizont taucht die Tegetthoff auf – die Männer sind im Kreis gelaufen. "Im Sommer geht die Sonne nicht unter, es gibt kaum markante Punkte in der Landschaft, die Orientierung ist extrem schwierig", erklärt Gerhard Holzer, einer der vier Kuratierenden. Was außerdem nicht zu vergessen sei: Mit dem rechten Bein mache man größere Schritte. Wird das nicht durch eine bewusste Richtungskorrektur ausgeglichen, gehe man eine Schleife.

Die erste gedruckte Karte von Franz-Josef-Land
Nach den Berichten der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition fertigte der k. u. k. Oberleutnant Franz Schett die erste gedruckte Karte des Franz-Josef-Lands an. Sie zeigt die Route der Mannschaft mit Datumsangaben und die neu entdeckten Inseln.
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Es gibt kein Zurück

Nachdem das Expeditionsschiff wieder in Sicht ist, wollen einige Besatzungsmitglieder wieder an Bord gehen. Mit der Bibel in Händen und einer glühenden Rede auf den Lippen soll Weyprecht die Männer überzeugt haben, nochmals die Reise nach Süden zu wagen. Diesen schicksalhaften Moment hielt Payer im Gemälde "Nie zurück!" fest. Das Monumentalwerk, das rund 330 mal 460 Zentimeter misst, hängt heute im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien.

Das Monumentalgemälde
Carl Weyprecht überzeugt die erschöpfte Mannschaft, ihr Expeditionsschiff aufzugeben und abermals den Weg nach Süden anzutreten. Diesen Moment hat Julius Payer in dem Gemälde "Nie zurück!" festgehalten. Das 1892 entstandene Werk sollte Payers berühmtestes Gemälde werden.
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Die Ansprache Weyprechts verfehlt ihre Wirkung nicht, die Mannschaft bricht erneut auf. Diesmal steht das Unterfangen unter einem besseren Stern: Gut drei Monate später erreichen die Expeditionsteilnehmer die Insel Nowaja Semlja. Russische Transchoner nehmen die Männer an Bord und bringen sie zum norwegischen Hafen Vardø.

Abschiedsbrief als Erinnerung

Unsicher, ob sie je wieder in die Heimat zurückkommen würden, verfasst Weyprecht eine Botschaft für die Nachwelt. Es sollte zumindest dieses Schriftstück übrig bleiben und Zeugnis von der Expedition und der Anstrengung der Männer ablegen. In wenigen Zeilen schildert er die Odyssee der Gruppe und bittet in einem Absatz darum, die Nachricht an die "österreichische Admiralität oder das nächste österreichische Konsulat" weiterzuleiten. Diese Bitte wird auf Englisch, Serbokroatisch und Norwegisch wiederholt.

Flaschenpost der K.-u.-k.-Nordpolexpedition
Eine untypische Flaschenpost: Die Nachricht an die Nachwelt wurde 1874 von Carl Weyprecht auf der Inselgruppe Franz-Josef-Land verfasst und 1978 auf der Insel Lamont von einem russischen Forscher entdeckt.
ÖAW

Obgleich von einer Flaschenpost die Rede ist, "handelt es sich mehr um eine Döschenpost", sagt Holzer. Das Schreiben wurde in ein ausgehöhltes Tischbein gesteckt, dieses wiederum in Butterpapier und ein Glasgefäß, verlötet wurde alles mit Blei. Weyprecht fixierte dieses Behältnis auf einer kleinen Steinpyramide auf der Franz-Josef-Land-Insel Lamont. Mehr als 100 Jahre schlummerte die Nachricht, bis der russische Forschende Wladimir Serow sie im August 1978 entdeckte. Zwei Jahre später kam sie nach Wien, wo sie noch heute an der ÖAW aufbewahrt wird.

Rückkehr als Superstars

Um das Schicksal der Nordpolfahrer wusste während ihrer zweijährigen Abwesenheit niemand. Zwar war es zu dieser Zeit normal, dass Expeditionen lange unterwegs waren und es kein Lebenszeichen gab. Monatelang nichts von Forschungsreisenden zu hören sei nicht ungewöhnlich gewesen. "Man hatte einen längeren Atem als heute, aber dennoch war man bereits in Sorge um die Gruppe", sagt Kuratorin Sibylle Wentker. Die Mannschaft der Admiral Tegetthoff galt als verschollen.

Niemand wusste, ob man Weyprecht, Payer und Konsorten je wieder zu Gesicht bekommen würde. So wurden die Mannschaft im September 1874 auch unter frenetischem Jubel begeisterter Massen am Wiener Nordbahnhof begrüßt. Ihr Ruf war ihnen vorausgeeilt, auch hatten die Forscher bei ihrer Ankunft in Wien bereits eine Tour der Empfänge und Bankette durch Europa hinter sich. Ihre Rückkehr wurde von einem unvorstellbaren Medienrummel begleitet, die Männer wurden wie Superstars gefeiert.

Heimkehr der Expeditionsmannschaft
Am 25. September 1874 trifft die weitgereiste Besatzung der Tegetthoff am Nordbahnhof in Wien ein und wird von tausenden Menschen begeistert begrüßt.
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1.000 Gulden für die Expedition

Finanziert wurde die Nordpolexpedition übrigens von dem betuchten Polarforscher und Mäzen Johann Nepomuk Graf Wilczek. Eine Anfrage zur Förderung wurde auch an die Akademie der Wissenschaften gestellt, die hitzig über die Finanzierung diskutierte. "Reine Entdeckungsreisen wollte man nicht fördern, gleichzeitig wollte man die Forschenden nicht ganz im Stich lassen", erklärt Wentker.

Letztlich stellte die Akademie die symbolische Summe von 1.000 Gulden bereit. An der Aufarbeitung der Ergebnisse und Dokumente beteiligte sie sich in der Folge mit großem Engagement. Wer übrigens annimmt, dass die abenteuerliche Expedition allen Teilnehmenden die Lust an der Erforschung der Polarregion verdorben hatte, irrt. 

Revolution der Forschung

Dokumente der Forschungsinitiative Internationales Polarjahr
Eine der Vitrinen in der Ausstellung zeigt Bilder und das originale Reisetagebuch von Graf Jozef Pálffy (1853–1920). Es entstand während der österreichischen Expedition zur Vulkaninsel Jan Mayen (1882–1883). Die Forschungsreise wurde im Rahmen des von Carl Weyprecht initiierten Internationalen Polarjahrs (1882–1883) veranstaltet.
ÖAW

Die österreichisch-ungarische Nordpolexpedition ebnete durch die Initiative von Carl Weyprecht den Weg für die vernetzte Polarforschung. Das Internationale Polarjahr – ein länderübergreifendes Programm zur Erforschung der Polarregionen – fand in der Saison 1882 und 1883 erstmals statt. Es beendete eine Episode des Wettlaufs und der konkurrierenden Expeditionen und führte die Forschung ins Zeitalter internationaler Kooperationen.

Das Internationale Polarjahr läutet allerdings noch eine weitere Phase ein: Die Intensivierung kolonialer Bestrebungen und die zunehmende Beeinflussung der Arktis durch den Menschen. Was folgte, waren die Unterdrückung der indigenen Bevölkerung, die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und die damit einhergehende Zerstörung der Umwelt. Auch auf diese Punkte legt die Ausstellung an der ÖAW einen Fokus. (Marlene Erhart, 4.6.2023)