Gaskonferenz Wien
Der Polizeieinsatz am Rande der Europäischen Gaskonferenz in Wien Ende März sorgte für herbe Kritik, unter anderem auch von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.
APA/TOBIAS STEINMAURER

Wien – Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat den umstrittenen Polizeieinsatz während der Europäischen Gaskonferenz von 27. bis 29. März in Wien in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage des Grüne-Abgeordneten Georg Bürstmayr gerechtfertigt. Die Polizistinnen und Polizisten hätten "nach Erkennen, dass die reine Anwendung von Körperkraft nicht ausreichte, um die Widerstandshandlungen der Aktivistinnen und Aktivisten gegen die Sperrkette zu unterbinden", Pfefferspray eingesetzt.

Besonders das harsche Vorgehen der Exekutive mit Pfefferspray und Schlagstöcken am ersten Tag des Meetings war in die Kritik geraten. Karner hielt dazu nun fest, dass der Einsatz aktuell evaluiert werde, aber aus Sicht des Innenministers, der sich bei dieser Einschätzung auf die Wiener Landespolizeidirektion beruft, war "keine überschießende Polizeigewalt" gegeben. Im Vorfeld hätten das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) und die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) vor "gewaltbereiten Aktivisten aus dem In- sowie Ausland" gewarnt, betont der Minister. Darüber hinaus lagen laut Karner "Hinweise vor, dass allenfalls auch unter Gewaltanwendung versucht werde, in die Veranstaltungsörtlichkeit einzudringen" und "Aktionen, wie spontane Versammlungen und Blockadeaktionen, gesetzt werden".

Schläge in Nierengegend laut Minister nicht überschießend

Damals kam es zu einer nicht angemeldeten Spontandemonstration in der Johannesgasse sowie Protesten vor dem nur 250 Meter entfernten Marriot-Hotel am Wiener Parkring, das als Tagungsort fungierte. In der Johannesgasse hatte laut Polizei eine Gruppe von rund 166 Aktivistinnen und Aktivisten versucht, die Sperrkette der Polizei und somit das im Vorfeld verhängte Platzverbot rund um den Veranstaltungsort zu durchbrechen. Die Polizei reagierte darauf mit großflächigem Pfefferspray- und Schlagstockeinsatz.

Für Kritik sorgte auch ein Video auf Twitter, auf dem zu sehen ist, wie ein Beamter mehrere Protestierende in die Nierengegend boxt. Man habe die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung unterzogen und den Beamten identifiziert, hieß es in der Anfragebeantwortung vom Freitag. Von der Landespolizeidirektion Wien sei jedoch "keine überschießende Polizeigewalt erkannt" worden. Auch der Betroffene habe keinen Misshandlungsvorwurf geäußert.

Offizier: "Geht schon Attacke"

Weitere Aufnahmen zeigten den Einsatz von Pfefferspray, als der Demozug bereits von der Polizei zum Stehen gebracht werden konnte – unter anderem aus nächster Nähe. In Bedrängnis brachten die Polizei auch Aufnahmen des STANDARD-Journalisten Markus Sulzbacher auf dem Kurznachrichtendienst. Darauf ist ein Offizier in der Nähe des Protestes zu sehen, der das Kommando "Geht schon Attacke" ausgibt. Dazu räumt Karner ein, bei dieser Diktion handle es sich "um keine übliche Kommunikationsform. Allerdings kann sich situationsbezogen bei Gefahr im Verzug die Notwendigkeit eines prägnanten Kommandos zur Verhinderung eines Schadenseintritts ergeben". Auf das Kommando hin war ein Großaufgebot von Polizisten in Richtung der Sperrkette gestürmt.

Karner erklärte in der Antwort auf die Grünen-Anfrage weiters, die Abschnittskommandanten hätten ihre zugeteilten Kräfte jedenfalls "über die behördlichen Vorgaben informiert". Auch die "3-D-Philosophie - Dialog, Deeskalation, Durchgreifen" sei Thema gewesen. Im Normalfall gebe es einen Mindestabstand für den Einsatz des Reizgases, teilte Karner in der Beantwortung mit. "Ungeachtet dessen kann es in Notwehrsituationen zur Unterschreitung dieses Mindestabstands kommen, wobei sich der Beamte dann selbst der Gefahr aussetzt, durch das Reizmittel beeinträchtigt zu werden", heißt es darin. Insgesamt kam es laut Ministerium am 27. März zu 18 Pfefferspray-Einsätzen gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten.

Bürstmayr "verwundert" über Anfragebeantwortung

Bürstmayr selbst übte am Dienstag Kritik. Das Ministerium gebe hier schlicht die Position der Landespolizeidirektion Wien wieder "und die erinnert stark an das berühmte 'Alles richtig gemacht'- Zitat aus Ischgl", sagte Bürstmayr. Er habe den Einsatz damals selbst beobachtet und sei verwundert über die Anfragebeantwortung vom Freitag. "Dass hier in mehreren Aussagen weiterhin versucht wird, eine Aktion der Klimabewegung zu kriminalisieren, ganz so als wären hier schwer gewaltbereite Hooligans am Werk gewesen", sei bedenklich. "Das entspricht einfach nicht dem, was ich vor Ort – gemeinsam mit vielen anderen Beobachtern und Beobachterinnen – wahrgenommen habe." Er verwies zudem auch auf Maßnahmenbeschwerden, die noch anhängig seien.

Die Polizei zog laut Ministerium für den ersten Tag der Konferenz 1.326 Beamtinnen und Beamten aus Wien und sechs weiteren Bundesländern zusammen.

Deutliche Kritik am Polizeieinsatz kam im März von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die die Proteste eigenen Angaben zufolge an Ort und Stelle verfolgt hatte. Die Behauptung der Polizei, Demonstrierende hätten strafbare Handlungen gegen den öffentlichen Frieden gesetzt, könne "von uns nicht nachvollzogen werden", hieß es damals. Die NGO sei "besorgt über die Kriminalisierung friedlicher Proteste", der Staat habe "die Pflicht, friedliche Proteste zu ermöglichen und nicht zu verhindern, wie wir es heute gesehen haben". (APA, 30.5.2023)