Vor einer Woche hat der Schöffensenat des Wiener Straflandesgerichts die ehemalige Familienministerin Sophie Karmasin der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen nicht rechtskräftig für schuldig erkannt. Vom Vorwurf des schweren Betrugs hingegen wurde sie freigesprochen, obwohl der vorsitzende Richter "eindeutig Betrug mit Vorsatz" verortete. Doch wie kam es dazu?

Ministerinnen und Minister, die aus ihrem Amt ausscheiden und nicht unmittelbar wieder in das Berufsleben eintreten, haben Anspruch auf eine Entgeltfortzahlung. Diese steht nur zu, wenn sie keine sonstigen Einkünfte haben. Laut dem Vorwurf der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) habe die ehemalige Familienministerin sehr wohl solche Einkünfte gehabt, diese aber verschwiegen und die Entgeltfortzahlung dennoch beantragt und erhalten. Dadurch habe sie die Republik getäuscht und geschädigt, um sich selbst ungerechtfertigt zu bereichern.

Zu diesem Ergebnis ist der vorsitzende Richter ebenfalls gekommen. Sowohl die Täuschung als auch der entsprechende Vorsatz seien laut ihm so eindeutig, wie er "es nur selten habe". Er hat jedoch gleichzeitig auch festgestellt, dass Karmasin wirksam sogenannte tätige Reue geleistet habe, weshalb sie dennoch von diesem Vorwurf freizusprechen war.

Ex-Ministerin Sophie Karmasin
Vom Vorwurf des Betrugs wurde Ex-Ministerin Sophie Karmasin freigesprochen. Sie hatte das Geld rechtzeitig zurückgezahlt.
APA /Georg Hochmuth

Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Staaten bestehen in Österreich unterschiedliche Reuebestimmungen, die zur Straffreiheit führen. Die praktisch wesentlichste Reuebestimmung ist in § 167 StGB enthalten und ermöglicht Straffreiheit bei den meisten gängigen Vermögensdelikten, insbesondere bei Betrug und Untreue. Zweck der tätigen Reue ist es, Täterinnen und Tätern dazu zu motivieren, ihren Opfern den zugefügten Schaden proaktiv zu ersetzen. Dadurch wird ihnen die Rückkehr in die Legalität ermöglicht, während die Opfer so gestellt werden, als wäre die Tat nie passiert. Die Interessen des Opfers werden daher im Gesetz höher gewichtet als die staatlichen Strafverfolgungsinteressen.

Damit man trotz Tatbegehung straffrei bleibt, muss der Schaden rechtzeitig, freiwillig und vollständig wiedergutgemacht werden. Die tätige Reue ist in der Praxis hochrelevant und führt beispielsweise dazu, dass Unternehmen ein großes Interesse daran haben, eigene Strafrechtsverstöße proaktiv aufzuarbeiten, um so trotz vorgefallener Verfehlungen Strafverfahren zu verhindern.

Die Information ist eingegangen

Erfolgt die Schadenswiedergutmachung, bevor die Strafverfolgungsbehörden – darunter fallen Staatsanwaltschaften, Kriminalpolizei und Strafgerichte – vom Verschulden des Täters oder der Täterin erfahren, dann ist sie "rechtzeitig". Dabei kommt es nicht darauf an, dass Mitarbeiter der Behörde bereits konkret von einem möglicherweise strafbaren Vorfall wissen. Vielmehr ist es ausreichend, dass die Information bei der Behörde eingegangen ist – meist in Form einer Anzeige. Selbst wenn diese noch in der Einlaufstelle liegt und von niemandem gelesen worden ist, wäre eine tätige Reue zu spät.

Die der Behörde vorliegende Information muss sich auch auf die konkreten reuewilligen Täter beziehen – sind an einer Tat mehrere Personen beteiligt gewesen, kann es vorkommen, dass die Behörde noch nicht von allen Beteiligten weiß. Der Behörde noch unbekannte Beteiligte können in diesem Stadium noch wirksam tätige Reue leisten.

Andererseits ist aber konkretes Wissen einer Behördenmitarbeiterin dann nicht schädlich für die tätige Reue, wenn es sich um privates Wissen handelt. Wird daher über einen Vorfall bereits – wie im Fall Karmasin – medial berichtet und dies von einer Staatsanwältin mitverfolgt, ist dieses Wissen noch nicht automatisch der Behörde zuzurechnen. Erst wenn dieses private Wissen "veraktet" wird – also beispielsweise ein Verfahren eröffnet und der Medienbericht in den Verfahrensakt aufgenommen wird –, ist die tätige Reue zu spät. Dies war im Fall Karmasin im Zeitpunkt der Zahlung noch nicht geschehen.

Kein Cent zu wenig

"Vollständig" ist die Schadensgutmachung dann, wenn der Zustand vor der Tat wiederhergestellt wird. Es muss somit der ganze aus der Tat entstandene Schaden gutgemacht werden, wobei es auch möglich ist, eine entsprechende vertragliche Verpflichtung einzugehen, zum Beispiel eine Ratenzahlung. Wird nicht sofort bezahlt und die Zahlungsverpflichtung in weiterer Folge verletzt, lebt die Strafbarkeit wieder auf. Die Praxis ist hinsichtlich der vollständigen Gutmachung sehr streng: Selbst wenn von einem Millionenbetrag nur ein Cent fehlt und dieser Cent nur fehlt, weil das Opfer sich selbst verrechnet hat, wäre die tätige Reue nicht wirksam.

Bei Karmasin kam eine neue Komponente ins Spiel: Obwohl die Republik ihr circa 80.000 Euro ausbezahlt hat, hat sie nur 62.000 Euro zurückbezahlt. Das Gericht hat die Vollständigkeit dennoch bejaht, weil es der Verteidigung gelungen ist, den Fehlbetrag zu erklären: Karmasin hatte die erhaltenen Beträge nämlich versteuert, weshalb es wirtschaftlich bereits einen Rückfluss und damit einen geringeren Schaden bei der Republik gegeben hat. Der noch verbleibende Schaden wurde durch die 62.000 Euro ausgeglichen. Für andere Fälle gilt weiterhin: Es ist jedenfalls der Bruttoschaden und nicht die Nettobereicherung bei der Täterin auszugleichen.

Bei der Freiwilligkeit ist die Praxis hingegen sehr großzügig: Eine tätige Reue ist selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn sie nur deshalb geleistet wird, weil von der baldigen Tatentdeckung auszugehen ist. Eine "innere Umkehr" ist nicht erforderlich. (Alexander Stücklberger, Franz Ramsbacher,  31.5.2023)