Mittel-Alter Ronald Pohl
Wer die Sprache der einfachen Leute zu gebrauchen versteht, kann ruhig auch leise sprechen: Hans Peter Doskozil, amtierender Landeshauptmann des Burgenlands.
APA/ROBERT JAEGER

Es dauert nur noch wenige Tage, bis sich die Sozialdemokraten hinter ihrem neuen, erst noch zu ermittelnden Parteivorsitzenden versammeln werden. Und egal, wer von den beiden Kandidaten am Linzer Parteitag obsiegt: Er wird, in durchaus unterschiedlicher Betonung, die Sprache des Volkes sprechen – den rauen, vorwitzigen, gegen die Prahlsucht der Mächtigen gerichteten Dialekt. Der eine klingt mehr nach der fruchtbaren Erde Traiskirchens, der andere nach dem Wispern des Schilfs hinter Mörbisch.

Als ich ein pummeliger Babyboomer war, lebten Kleinbürger wie meine geliebten Eltern in einer Art Dauerangst, die ihnen den Genuss ihres täglichen Brots vergällte. Sie fürchteten, die proletarische Weltrevolution könne, von Kreiskys Reformen begünstigt, jeden Augenblick ausbrechen. Schon das kernige Idiom eines Meidlinger Rauchfangkehrers - echt nur mit starkem "L" - stürzte sie in Verlegenheit. Dabei besaß der schwarze Mann einen ehrfurchtgebietenden Besen, mit dem er grazil zu hantieren verstand.

Salz in der Suppe

Selbst der Samstagslärm, der vom Hütteldorfer Rapid-Stadion in Schwaden durchs Wiental herüberflog, bedrückte meine Erzeuger: so als ob sie Elias Canettis Masse und Macht eingehend studiert hätten. Gewerkschafter, deren Mitwirkung das Salz in jeder Regierungssuppe bildete, erregten allein durch ihre volksnahe Ausdrucksweise zuhause Misstrauen. Regelmäßige Besuche des Hanappi-Stadions schulten allmählich das Ohr, ich selbst versuchte mich immer erfolgreicher in der Handhabung des Dialekts. Schließlich begann ich selbst so zu sprechen, wie anderen, die deutlich unbefangener waren als ich, der Schnabel gewachsen schien.

Auf der Uni, am Germanistikinstitut, folgte die Erleichterung. Dialekt („restringierter Code“) konnte wirklichkeitsnah sein, gefühlvoll, ausdrucksstark. Nur die Revolutionären Marxisten agitierten wie weiland der große Vorsitzende Mao, indem sie Papier sprachen. Dieses raschelte heftig, aber niemals so verzaubernd wie das Mörbischer Schilf. (Ronald Pohl, 31.5.2023)