Im Gastblog analysiert Michaela Pfundner von der Österreichischen Nationalbibliothek die Darstellungen von Bertha von Suttner und ordnet diese im historischen Kontext ein.

Bertha von Suttner gilt als die historische Symbolfigur für eine weltweite Friedensbewegung. Sie war die erste Frau, die 1905 den Friedensnobelpreis zugesprochen bekam. Wenn die Generation "Schilling" die Augen schließt und sich den 1.000-Schilling-Schein vergegenwärtigt, dann erscheint unweigerlich das Porträt Bertha von Suttners. Dieses Bild hat unsere Vorstellung der österreichischen Nobelpreisträgerin geprägt. 

Österreichische Nationalbibliothek - Das besondere Objekt: "Porträtstudie Bertha von Suttners"
Österreichische Nationalbibliothek
1.000-Schilling-Schein mit Bertha von Suttner.
Foto: OenB

Für die Generation "Euro" wird es schon schwieriger, da ihr Porträt auf der Zwei-Euro-Münze naturgemäß weniger fein ausgeführt ist und ihre Gesichtszüge nicht so markant erscheinen. Erhalten bleibt der typische Witwenschleier auf dem Haar. Gestaltet wurden beide Geldstücke nach der gleichen Vorlage, einem Foto aus dem Atelier Pietzner in Wien. Auf der Banknote wirkt Bertha von Suttner noch weitaus strenger und erhabener als auf der fotografischen Vorlage.

Bertha von Suttner mit Witwenschleier, vermutlich 1905.
Foto: Atelier Pietzner, Wien

Eine sehr prägnante Schilderung ihres Aussehens ist uns von Alfred Hermann Fried, dem zweiten österreichischen Friedensnobelpreisträger (1911), überliefert:

Keine Idee von einer Aufwieglerin, keine Idee von einer Volksgestalt. Langsam und schwerfällig schreitet sie auf das Podium hinauf, von hilfreich herbeieilenden Freunden unterstützt. Dann steht sie da, eine hochgewachsene Erscheinung, deren Embonpoint1 durch den langen, vom graugelockten Haupte herabwallenden Witwenschleier wirksam retouchiert wird. So dass sie fast schlank erscheint. Das Haupt ist stolz zurückgeworfen; ihr Blick scheint verachtend über die Menge hinwegzusehen. Das ist natürlich eine Täuschung, hervorgerufen durch die übergrosse Kurzsichtigkeit der Baronin. Sie sieht "hinweg", weil das Auge eben nichts zu fixieren mag.2

Diese Beschreibung entspricht exakt dem Pietzner-Foto, das als Prototyp für die Schilling-Banknote diente. Auf den Fotografien Bertha von Suttners in Trauerkleidung, die nach dem Tod ihres Mannes 1902 aufgenommen wurden, kann man insgesamt drei unterschiedliche Modelle von Witwenschleiern identifizieren. Allerdings tritt sie nicht ausschließlich in schwarzer Kleidung und mit dem markanten Schleier vor die Kamera. Es gibt auch andere Fotos aus ihrer Witwenzeit, auf denen sie einen auffälligen Hut mit prächtigem Federbesatz und helle Kleider trägt. Die Wirkung dieser Bilder könnte nicht unterschiedlicher zu denen in Trauerkleidung mit Schleier sein. Auf den ersten Blick würde man sie für zwei verschiedene Personen halten. 

Bertha von Suttner, 1908.
Foto: Atelier Erdelyi, Budapest

Es existieren Fotografien aus den verschiedenen Lebensphasen Bertha von Suttners. Vom scheuen "Backfisch" Bertha Gräfin Kinsky wandelt sie sich zur selbstbewusst in die Kamera blickenden jungen Frau. Diese beiden frühen Fotografien stammen übrigens aus Ateliers, die von Frauen geführt wurden. 

Bertha von Suttner, undatiert.
Foto: Camilla v. Rainer, Wien
Bertha von Suttner, undatiert.
Foto: Atelier Adèle, Wien

Die erfolgreiche Schriftstellerin und Friedensaktivistin lässt sich 1892 von Ludwig Grillich in stilvollem Ambiente ihres Wohn- und Arbeitsumfelds auf Schloss Harmannsdorf in Niederösterreich ablichten, wo sie unter anderem ihren berühmten Roman "Die Waffen nieder" verfasste. Auch von ihrem Mann wurde dabei eine Aufnahme gemacht, es wurde aber die Gelegenheit verpasst, das Ehepaar zusammen auf einem Foto festzuhalten. Es ist bemerkenswert, dass es – zumindest nach derzeitigen Wissensstand – kein gemeinsames Foto des Ehepaares gibt. 

Bertha von Suttner in Schloss Harmannsdorf, 1892.
Foto: Ludwig Grillich, Wien, Franzensbad
Arthur Gundaccar von Suttner in Schloss Harmannsdorf, 1892.
Foto: Ludwig Grillich, Wien, Franzensbad

Wie schon erwähnt, folgen nach dem Tod ihres Mannes Fotos mit Witwenschleier und schwarzer Kleidung, darunter das berühmte Foto aus dem Atelier Pietzner. Eine Fotoserie von Karl Winkler zeigt sie 1910 in ihrer Wohnung in der Wiener Zedlitzgasse. 

Bertha von Suttner in ihrer Wiener Wohnung, 1910.
Foto: Karl Winkler, Wien

Der gleiche Fotograf fertigt auch das allerletzte Foto Bertha von Suttners im offenen Sarg an, das auch Eingang in die zeitgenössische Presse gefunden hat.3

Widmen wir uns nun näher einer außergewöhnlichen und weniger bekannten Porträtaufnahme Bertha von Suttners. 

Bertha von Suttner, 1905.
Foto: Atelier Mertens, Mai & Cie, Wien

Auf einem Sessel im Atelier sitzend, blickt sie frontal in die Kamera. Ihre Gesichtszüge sind weich und freundlich. Ins Auge fallen die dunklen, langen Lederhandschuhe. Auch hier trägt sie einen Witwenschleier und Trauerkleidung. Auf dem Foto wurde die Jahreszahl 1908 vermerkt, was scheinbar das Aufnahmedatum angibt. Recherchen im Zeitungsportal Anno ergaben jedoch, dass ein sehr ähnliches, bei der gleichen Sitzung entstandenes Foto bereits im September 1905 im "Wiener Salonblatt" abgedruckt wurde.4 Bei dieser Variante blickt Suttner ebenfalls frontal in die Kamera, hat aber im Unterschied zum anderen Foto die behandschuhten Hände übereinandergelegt, sie ruhen auf der seitlichen Sessellehne.

Wiener Salonblatt, 8. September 1905.
Foto: Wiener Salonblatt, 8. September 1905, S.5

In ihren Tagebucheinträgen hadert Bertha von Suttner immer wieder mit ihrem fortschreitenden Alter und der ihrer Meinung nach damit verbundenen abnehmenden Attraktivität: "Das Häßlichwerden nimmt schon bedeutende Proportionen an … Doppelkinn… Es wäre für mich besser, nicht allzulang in Ruinen zu zerfallen."5 Ein Problem, das sich auch auf dem Porträtfoto manifestiert, ist das vermeintliche Aussehen ihrer Hände: "Jetzt verläßt mich auch eine Schönheit, auf die ich immer stolz war: die Hände. Nach der Hand wird man eingeschätzt, Und so rote, dicke, ordinäre Hände, wie die meinen jetzt zu werden sich anschicken, würden mich falsch einschätzen machen."6 Möglicherweise ist dies der Grund, warum sie im Atelier recht auffällige lange dunkle Lederhandschuhe trägt und damit ein vermeintliches Manko kaschieren möchte. Ihr Gesicht hingegen strahlt trotz einiger grauer Haarsträhnen eine einnehmende Jugendlichkeit aus.

Ihre Einschätzung über die unterschiedliche Wahrnehmung von Männern und Frauen fortgeschrittenen Alters in der Öffentlichkeit bringt sie auch sehr pointiert zu Papier:

Mein Häßlichwerden, mein Schwachwerden darf der Welt nicht gezeigt werden. Ja, es ist wahr, Minister und Staatsmänner und Gelehrte wirken bis über die siebzig. Das ist man aber gewohnt, während die Frau im öffentlichen Leben noch etwas Neues ist – und der Begriff "altes Weib", der ja ganz etwas anderes ausdrückt als der durchaus nicht äquivalente "alte Mann" kommt noch dazu.7

Das Foto wurde vor ihrer Teilnahme am Welt-Friedenskongress in Luzern und der daran anschließenden Vortragsreise nach Deutschland im Wiener Fotostudio Mertens, Mai & Cie aufgenommen. Das Atelier besteht seit 1903 und hat seinen Sitz im sogenannten Heinrichhof, vis-à-vis der damaligen Hofoper.

Das gut geführte Atelier der Fotografen Josef beziehungsweise Ludwig Székely an der Kärntnerstraßenfront des Heinrichhofs wurde 1903 von Eduard Ritter von Mertens, Emanuel Mai und Anton Duffek übernommen und firmierte unter dem Namen Mertens, Mai & Cie. Im Oktober 1910 eröffnen Carl Pietzner und Eduard von Mertens an gleicher Stelle ein neues Atelier.

Der imposante Heinrichhof, beauftragt vom Ziegelindustriellen Heinrich Drasche und nach Plänen des Architekten Theophil Hansen in den Jahren 1861 bis 1863 errichtet, war ein vornehmes Zinshaus auf der neu angelegten Ringstraße. Im Erdgeschoß waren großzügige Geschäftslokale wie das Textilunternehmen Backhausen oder der Besteckhersteller Christofle sowie das beliebte "Café Heinrichhof" untergebracht. Bei einem Bombenangriff im Frühjahr 1945 beschädigt, wurde das Gebäude schließlich nach längeren Diskussionen über eine mögliche Instandsetzung abgerissen. Heute steht an der Stelle des Heinrichhofs der 1955/56 errichtete Opernringhof.

Heinrichhof, gesamte Ringstraßenfront um 1900.
Fotograf unbekannt

Mertens, Mai & Cie schaltete regelmäßig Werbung in Zeitungen, unter anderem im "Wiener Salonblatt" und in "Sport & Salon", das vom bevorzugten Publikum des Ateliers gelesen wurde. In den Annoncen empfiehlt sich das Fotostudio als besonders für Kinderfotografie und für "künstlerisch aufgefaßte Aufnahmen" geeignet. Die "Neue Freie Presse" schwärmt: "Durch das mit vollendetem Geschmack in dezent-modernem Stil ausgeführte Comptoir Kärntnerstraße 42, gelangen wir mittelst Lift in die eleganten Salons und Empfangs-Interieurs. (…) Die Einführung elektrischer Beleuchtung ermöglicht es, die besten Aufnahmen unabhängig vom Tageslicht zu machen."8 Das "Wiener Salonblatt" geht ins Detail: "Ein bequemer Lift entführt die Besucher des Ateliers in die obersten Regionen des Heinrichshofs, wo drei Wartesalons, einer ist in erbsengrün, einer in braunrot und einer in forellenblau stilvollst gehalten und diverse An- und Umkleideräume die Kunden erwarten."9

Bedeutende Persönlichkeiten wie Gustav Mahler, Marie von Ebner-Eschenbach oder Enrico Caruso zählten zum Kundenkreis dieses renommierten Wiener Porträtstudios, das vom Kaiserhaus 1908 gemeinsam mit anderen Wiener Fotografen auch den Auftrag erhielt, den sogenannten "Kaiser-Huldigungsfestzug" zum 60-jährigen Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph auf der Wiener Ringstraße umfassend fotografisch zu dokumentieren.10

Gustav Mahler, undatiert.
Foto: Atelier Mertens, Mai & Cie, Wien
Enrico Caruso, 1906/1907.
Foto: Atelier Mertens, Mai & Cie, Wien

Auch Gruppenfotos beziehungsweise Rollenbildnisse von damals prominenten Schauspielerinnen und Schauspielern wurden im Atelier Mertens, Mai & Cie angefertigt. Die Aufnahme des Schah von Persien, umgeben von seinen Söhnen, war sogar eine Pressemeldung wert.11

Mozaffar ad-Din Schah, 1905.
Foto: Atelier Mertens, Mai & Cie, Wien

Es war also ein sehr exklusives Atelier an prominenter Adresse, in dem sich Bertha von Suttner für diese Porträtstudie fotografieren ließ. (Michaela Pfundner, 6.6.2023)