Der Fortschritt von KI könnte im US-Präsidentschaftswahlkampf für böse Überraschungen sorgen.
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Die einen hat die Vorstellung von ChatGPT in den vergangenen Monaten in Euphorie versetzt, die anderen weisen dagegen immer deutlicher auf die Kehrseite der Medaille hin. Zur Schattenseite der Software zählen Deep Fakes, die praktisch nicht mehr als Fälschungen erkennbar sind. Bei der US-Präsidentschaftswahl 2024 erwarten einige Experten eine Flut solchen Materials, das eine demokratische Entscheidungsfindung zu gefährden droht.

Selbst ChatGPT-Entwickler OpenAI spricht offen über dieses Risiko. "Es wird für die Wähler sehr schwierig sein, Echtes vom Falschem zu unterscheiden", warnt Darrell West, Experte am Center for Technology Innovation der Denkfabrik Brookings Institution. Alle politischen Lager könnten diese Technologie nutzen, um den Gegner schlecht aussehen zu lassen. "Es könnten kurz vor der Wahl Dinge auftauchen, bei denen es keine Chance mehr gibt, sie rechtzeitig einzufangen."

Clinton als DeSantis-Fan

Derzeit geistert beispielsweise ein gefälschtes Video von Hillary Clinton durch das Internet, in dem die ehemalige Präsidentschaftskandidatin der Demokraten den republikanischen Gouverneur Floridas lobt. "Ich mag Ron DeSantis wirklich sehr. Er ist genau die Art von Mann, die dieses Land braucht, und das meine ich wirklich." DeSantis will den amtierenden demokratischen US-Präsidenten Joe Biden als Präsidentschaftskandidat herausfordern.

Bereits im April hatte die Republikanische Partei mit einem - als solchen gekennzeichneten - KI-Wahlspot für Aufsehen gesorgt. Darin wurde ein apokalyptisches Szenario für den Fall einer Wiederwahl Bidens an die Wand gemalt. Zu sehen waren unter anderem mit künstlicher Intelligenz geschaffene Bilder von verrammelten Häuserzeilen, von Sicherheitskräften auf den Straßen und von brennenden Hochhäusern. Die Partei war für einen Kommentar hierzu oder die Verwendung von KI im Wahlkampf insgesamt nicht zu erreichen. Die Demokraten wollten sich zu diesem Thema nicht äußern.

Nach Einschätzung der Analysefirma DeepMedia, die künstlich hergestellte Online-Beiträge zu erkennen versucht, hat sich die Zahl der Video-Deep-Fakes in den vergangenen Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdreifacht. Bei Audio-Fälschungen seien es sogar acht Mal so viele Fälle. Für 2023 sagen die Experten etwa 500.000 Audio- und Video-Fälschungen in Sozialen Medien voraus. Denn die Kosten hierfür seien dank des Aufstiegs Generativer KI binnen eines Jahres von 10.000 auf einige wenige Dollar gefallen.

Gefälschte Fotos und Filme gibt es seit deren Erfindung. Allerdings war der Prozess bislang aufwändig und erforderte Fachwissen. Programme wie Midjourney ermöglichen es inzwischen aber jedermann, mit minimalen Kenntnissen in kurzer Zeit und für wenig Geld solche Fälschungen zu produzieren.

Politik hinkt der Entwicklung hinterher

Gleichzeitig fehlten belastbare juristische Leitplanken, um Desinformationskampagnen zu verhindern, erläutert Aza Raskin, Mitgründer des Center for Human Technology. Die gemeinnützige Organisation erforscht den Einfluss von Technologie auf die Gesellschaft. Einige Firmen verpflichten sich zwar zu freiwilliger Selbstkontrolle. Versuche der Nachrichtenagentur Reuters zeigen aber, dass die Foto-KI Dall-E von OpenAI zwar die Erzeugung von Bildern des US-Präsidenten Joe Biden und seines Vorgängers Donald Trump verweigert. Die Gesichter zahlreicher anderer prominenter US-Politiker baut die Software dagegen in ihre Abbildungen ein.

Die Politik kann mit der stürmischen Entwicklung kaum mithalten. Am weitesten fortgeschritten ist eine Regulierung dieser neuen Technologie in der Europäischen Union (EU), die ihren AI Act im laufenden Jahr verabschieden will. Auf größerer internationaler Ebene wollen die sieben führenden Industriestaaten (G7) in diesen Tagen erstmals über gemeinsame Regeln beraten.

Parallel dazu mahnen führende KI-Experten zur Eile: "Die Minderung des Risikos des Aussterbens der Menschheit durch KI sollte neben anderen Risiken von gesellschaftlichem Ausmaß wie Pandemien und Atomkrieg eine globale Priorität sein", fordern sie in einem offenen Brief. Zu den Unterzeichnern gehören die Chefs der KI-Spezialisten OpenAI, DeepMind und Anthropic sowie Manager von Großkonzernen wie Microsoft und Google. Einige der Mahner, zu denen auch preisgekrönte KI-Forscher zählen, hatten Ende März in einem offenen Brief ein Moratorium für KI-Entwicklung gefordert. (Reuters, 30.5.2023)