Am Mittwoch um elf Uhr soll sie beginnen, die Vorverhandlung zum nächsten Prozess gegen den inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny. Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen, die Öffentlichkeit ist nicht zugelassen. Fraglich ist, ob Nawalny selbst vorgeführt oder ob er per Video zugeschaltet wird. Fraglich ist auch, ob am ersten Gerichtstag bereits die Anklage verlesen wird.

Im Straflager hat sich Nawalnys Gesundheit massiv verschlechtert.
Reuters / Yulia Morozova

Diese hat es in sich: 3800 Blatt Material und 196 Aktenordner hat die Staatsanwaltschaft zusammengetragen. Gegen Nawalny wird in sechs Punkten Anklage erhoben, darunter Gründung, Finanzierung und Beteiligung an einer extremistischen Organisation, Aufruf zum Extremismus und Verharmlosung des Nazismus.

"Extremistische Organisation"

Mit "extremistischer Organisation" ist der von Nawalny gegründeten Fonds für die Bekämpfung der Korruption (FBK) gemeint. Dieser hat eine Reihe von Indizien für Korruption auf höchster politischer Ebene bis hin zu Präsident Wladimir Putin veröffentlicht. Vor zwei Jahren wurde der Fonds für extremistisch erklärt – vom selben Moskauer Stadtgericht, vor dem der Prozess gegen ihn selbst nun stattfindet. Bei einer Verurteilung drohen Nawalny nach eigenen Angaben 30 weitere Jahre Haft.

Bereits zu neun Jahren verurteilt ist Nawalny, die er in einem Straflager in der Region Wladimir absitzt. Unter "strengem Regime", das bedeutet weniger Besuche, weniger Briefe und Pakete und Verkürzung der täglichen Spaziergänge im Freien.

Doch damit nicht genug, immer wieder kommt Nawalny, der international als politischer Gefangener gilt, in die Strafzelle. Dort gibt es gar keine Besuche, und das Mitbringen von Lebensmitteln und persönlichen Gegenständen ist verboten. Seine Unterstützer beklagen seit längerem seinen stark verschlechterten Gesundheitszustand. Seit April soll er weitere acht Kilo Gewicht verloren haben.

Vergiftung mit Nowitschok

Nawalny wurde 2020 bei einer Reise nach Sibirien mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet. Er wurde damals im Koma liegend nach Deutschland ausgeflogen und dort behandelt. Nawalny wirft dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB vor, hinter der Vergiftung zu stecken. Der Kreml weist das zurück. Nach seiner Rückkehr nach Russland wurde Nawalny bei seiner Ankunft auf dem Moskauer Flughafen festgenommen.

Der Prozess vor dem Stadtgericht ist wohl nicht das einzige Verfahren, das gegen Nawalny läuft. Nach Angaben seines Teams droht ihm auch ein Prozess vor einem Militärgericht. Was ihm genau vorgeworfen wird, ist geheim. Es könnte aber mit dem tödlichen Anschlag auf den Militärblogger Wladlen Tatarskij im April in Sankt Petersburg zusammenhängen, so Nawalnys Lager, das die Vorwürfe bestreitet.

Nawalny erhält Unterstützung aus aller Welt. Im April forderten etliche internationale Prominente seine Freilassung. Nun schließen sich auch Österreicherinnen und Österreicher dieser Forderung an. In einem offenen Brief an Putin verlangen unter anderem die Publizistin Barbara Coudenhove-Kalergi, Ex-EU-Kommissar Franz Fischler, der Schriftsteller Karl-Markus Gauß, die Ex-Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Irmgard Griss und der Kabarettist Josef Hader die Freiheit für den Oppositionspolitiker. Zu Nawalnys Geburtstag am 4. Juni haben seine Mitstreiter im Exil zu weltweiten Protesten aufgerufen. (Jo Angerer aus Moskau, 31.5.2023)