Als im 14. Jahrhundert die Pest Europa heimsuchte und als "Schwarzer Tod" annähernd ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte, war es keineswegs ihr erster Auftritt auf dem Kontinent. Mittlerweile weiß man, dass die Pest auch im sechsten und siebenten Jahrhundert im Mittelmeerraum für eine Pandemie mit hohen Opferzahlen gesorgt hat. Aber selbst diese sogenannte Justinianische Pest war offenbar nicht die erste Begegnung der europäischen Bevölkerung mit dem auslösenden Erreger Yersinia pestis.

Bereits am Übergang vom Neolithikum zur Bronzezeit war das Bakterium in Europa präsent, wie DNA-Untersuchungen von Gebeinen aus Gräbern in Nord- und Westeuropa in den vergangenen Jahren gezeigt haben. Demnach hat eine genetisch sehr ursprüngliche Form von Yersinia pestis vor über 5.000 Jahren in Europa gewütet.

Ältester britischer Pestnachweis

Dass die Krankheit damals in Europa schon recht weit verbreitet gewesen sein muss, zeigt ein aktueller Fund: Eine Forschungsgruppe konnte das Pest-Bakterium für diese Zeit nun erstmals auch auf den Britischen Inseln nachweisen. Ein Team vom Francis-Crick-Institut in London hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen anderer wissenschaftlicher Einrichtungen bei den Überresten dreier vor rund 4.000 Jahren verstorbener Menschen Erbinformationen des Bakteriums entdeckt – es ist der bisher älteste Nachweis der Pest in Großbritannien.

Der Ausgrabungsort Charterhouse Warren in Somerset (1972). In dem Massengrab fanden sich die Überreste zweier Kinder mit Yersinia-pestis-DNA.
Der Ausgrabungsort Charterhouse Warren in Somerset (1972). In dem Massengrab fanden sich die Überreste zweier Kinder mit Yersinia-pestis-DNA.
Foto: Tony Audsley

Zwei Fälle einer Yersinia-pestis-Infektion stammen aus einem Massengrab in Charterhouse, Somerset, im Südwesten Englands. Ein weiterer Fall wurde in einem Ringgrab in Levens, Cumbria, in Nordengland nachgewiesen. Für seine Untersuchungen entnahm das Team um Pooja Swali vom Francis-Crick-Institut an den beiden Fundorten Proben von insgesamt 34 Individuen.

Zwei Kinder, eine Frau

Im Zahnmark zweier Kinder aus Charterhouse Warren, die zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen zehn und zwölf Jahre alt waren, und bei einer 35 bis 45 Jahre alten Frau aus Levens wurden die Forschenden schließlich fündig. Anhand von Radiokohlenstoffdatierungen konnte nachgewiesen werden, dass die drei Personen wahrscheinlich etwa zur selben Zeit gelebt haben.

"Dass man Krankheitserreger in jahrtausendealten Proben finden kann, ist eigentlich unglaublich", erklärt Swali. "Diese Erbinformationen können uns Aufschluss über die Ausbreitung und die Evolution von Pathogenen in der Vergangenheit geben. Und sie helfen uns zu verstehen, welche Gene für die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wichtig sind."

Die Karte zeigt die in Eurasien während der Jungsteinzeit und Bronzezeit (LNBA) verbreiteten Yersinia-pestis-Stämme. Die neuen Pesterreger-Genome sind lila dargestellt.
Die Karte zeigt die in Eurasien während der Jungsteinzeit und Bronzezeit (LNBA) verbreiteten Yersinia-pestis-Stämme. Die neuen Pesterreger-Genome sind lila dargestellt.
Grafik: Pooja Swali et al. Nature Communications

Aus der Tatsache, dass die Pest in Asien und in Europa von der späten Jungsteinzeit bis zur Bronzezeit aufgetreten ist und sich über geografisch weite Räume ausgebreitet hat, schließt Swalis Team, dass schon dieser frühe Peststamm leicht übertragen werden konnte. Wahrscheinlich wurde der Bakterienstamm um 4800 vor unserer Zeitrechnung von Menschen aus Asien nach Mittel- und Westeuropa eingeschleppt, wo er sich allmählich ausgebreitet hat, schreiben die Forschenden im Fachjournal "Nature Communications". Die neuen Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass er im Zuge dessen auch Großbritannien erreicht haben dürfte.

Fehlende Gene

Das lässt sich auch aus der Genomsequenzierung der nun in England identifizierten Yersinia-pestis-DNA herauslesen, denn dieser Stamm gleicht weitgehend jenem, der etwa zur selben Zeit in Eurasien umging. Besonders augenfällig in dieser Hinsicht: Dem Pest-Erbgut fehlten die Gene yapC und ymt, die erst in späteren Peststämmen vorkommen. Das Gen ymt spielt vor allem bei der Übertragung des "Schwarzen Todes" durch Flöhe eine entscheidende Rolle – ein Hinweis darauf, dass die Pest der späten Jungsteinzeit und Bronzezeit wohl nicht von diesen Parasiten weitergetragen wurde.

Dass überhaupt so alte Yersinia-pestis-DNA die Zeiten überdauert hat, ist ein großer Glücksfall, denn pathogenes Erbmaterial zersetzt sich üblicherweise ziemlich schnell. Wahrscheinlich, so die Forschenden, dürften auch andere Personen an den untersuchten Grabstätten mit demselben Peststamm infiziert gewesen sein, bei denen sich das Bakterium heute nicht mehr nachweisen lässt.

Die Ringbeisetzung von Levens Park in Cumbria. Rechts von dem einzelnen großen Felsbrocken sind vor rund 4.000 Jahren drei Frauen bestattet worden. In einer davon fanden sich nun DNA-Reste des Pesterregers.
Die Ringbeisetzung von Levens Park in Cumbria. Rechts von dem einzelnen großen Felsbrocken sind vor rund 4.000 Jahren drei Frauen bestattet worden. In einer davon fanden sich nun DNA-Reste des Pesterregers.
Foto: Ian Hodkinson

Evolutionäres Wettrüsten

Ob diese infizierten Menschen auch an der Pest gestorben sind, ist dagegen zumindest fraglich. Besonders am Fundort Charterhouse Warren dürften wohl andere Todesursachen eher infrage kommen: Die dort beigesetzten Menschen zeigten zum Teil auch tödliche Verletzungen. Die Forscher vermuten daher, dass der vielfache Tod und das Massenbegräbnis weniger auf das Konto eines Pestausbruchs gingen als vielmehr gewaltsamen Umständen geschuldet waren. Vielleicht hatte die Pestinfektion also damals weit weniger schwere gesundheitliche Folgen als der spätere "Schwarze Tod".

In jedem Fall liefern diese und künftige DNA-Untersuchungen von jahrtausendealten Krankheitserregern kostbare Informationen, sind die Wissenschafter überzeugt. "Sie helfen uns zu verstehen, wie unsere Genome in der Vergangenheit auf solche Krankheiten reagierten und wie das evolutionäre Wettrüsten mit den Krankheitserregern selbst aussah", meint Swali. "Das kann uns letztlich dabei helfen, auch die Auswirkungen von Krankheiten in der Gegenwart oder in der Zukunft zu verstehen." (Thomas Bergmayr, 31.5.2023)