Gut 18 Hektar Wald in Ohlsdorf in Oberösterreich sind Geschichte. Was bis vor kurzem Erholungsgebiet war, soll zu Gewerbeflächen und Parkplätzen werden.

In Grafenwörth in Niederösterreich weichen 14 Hektar Freiland einem von Häusern umringten künstlich angelegten Badeteich. An neuer Begrünung fehlt es aus Sicht seiner Kritiker ebenso wie an einem Anschluss an den öffentlichen Verkehr.

Ausgefranste Ortsränder ohne Verkehrsanbindung, verödete Innenstädte: Nicht jeder Bürgermeister kann Raumplanung.
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Fast bis an die Gemeindegrenzen verbaut ist Wiener Neustadt. Es ist die Stadt mit dem höchsten Bodenverbrauch pro Kopf in Österreich. Zugleich verödet ihr Zentrum – was die Stadtpolitik veranlasst, die Leerstandsquote von 20 Prozent mit Ansiedelungsprämien zu bekämpfen.

In der Steiermark schlängelt sich künftig über 28 Kilometer vierspurig die Fürstenfelder Schnellstraße. In den vergangenen Jahren wurden dafür rund 50 Hektar Wald gerodet.

Tirol zählt 960 Wasserkraftwerke. Nun soll jenes im Kaunertal ausgebaut werden. Hinter einem Staudamm würde dafür ein weitgehend unberührtes Hochtal mit sechs Hektar Moorflächen geflutet werden.

Es sind Projekte wie diese, die für Franz Essl Sinnbild für ungezügelten Bodenverbrauch sind. Der Biodiversitätsforscher der Universität Wien ist Wissenschafter des Jahres 2022. Er warnt davor, Österreichs ökologisches Rückgrat zu zerstören.

Szenarien, die er entwickelte, zeigen: Dämmt die Regierung den Flächenfraß nicht drastisch ein, steigt der Bodenverbrauch bis 2050 um 48 Prozent. Durch die Versiegelung mit Beton und Asphalt gingen wichtige Bodenfunktionen verloren. Der Boden könne kein Kohlendioxid mehr binden und kein Wasser aufnehmen.

Die Verbauung von Grünraum befeuere die Klimakrise und das Artensterben, zieht Essl Bilanz. Das Risiko für lokale Überschwemmungen wachse, der Grundwasservorrat sinke. Langfristig sei dadurch auch die Versorgungssicherheit bedroht, da sich viele Böden für die Lebensmittelproduktion nicht mehr eigneten.

Dabei setzte sich Österreich 2002 ehrgeizige Ziele: Auf 2,5 Hektar pro Tag sollte der Bodenverbrauch eingedämmt werden. Doch dieser Wert wird um das Vierfache übertroffen.

Dreimal Wien verbaut

Seit dem Jahr 2000 wurden 1300 Quadratkilometer verbaut, was der dreifachen Fläche Wiens entspricht, rechnet Simon Pories von der Naturschutzorganisation WWF vor. Jede Minute verschwanden damit gut 120 Quadratmeter Boden unter Straßen, Einkaufszentren, Gewerbegebieten und Parkplätzen unter Beton.

Allein von 2019 bis 2021 gingen im Schnitt 11,3 Hektar biologisch produktiver Boden verloren, erhob ein aktueller WWF-Report. Die Steiermark ist mit 3,1 Hektar negativer Spitzenreiter, gefolgt von Ober- und Niederösterreich. Selbst Gemeinden mit sinkenden Bevölkerungszahlen weiteten Siedlungsflächen aus, sagt Pories. Zwar habe sich der Flächenfraß verlangsamt, alarmierend sei aber, dass der Grad der Versiegelung mit wasserundurchlässigen Schichten bei Neubauten von 40 Prozent vor einigen Jahren auf nunmehr 60 Prozent zugenommen habe.

Mit Donuts werden Orte verglichen, deren Ränder verbaut werden, in deren Zentren sich aber ein Loch auftut - anstelle süßer Füllung wie bei Krapfen. Als weitgehend naturbelassen gelten nur sieben Prozent der österreichischen Staatsfläche.

Pories pocht auf verbindliche Bodenverbrauch-Reduktionsziele von maximal einem Hektar pro Tag.

VP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig will im Laufe des Juni eine Bodenstrategie bis 2030 vorlegen. Basis dafür sei ein "partizipativer Ansatz", betont man auf Nachfrage in seinem Büro einmal mehr. Denn die Raumordnung sei in der Kompetenz der Länder. Man sitze daher mit ihnen wie mit Interessensvertretern "auf Augenhöhe am Verhandlungstisch". (Verena Kainrath, 30.5.2023)