Maria Happel steht als Institutsleiterin unter Druck. Zwei Drittel ihrer Studierenden vertrauen der Burgschauspielerin nicht mehr.
Maria Happel steht als Institutsleiterin unter Druck. Zwei Drittel ihrer Studierenden vertrauen der Burgschauspielerin nicht mehr.
APA/HANS PUNZ

Mehr als zwei Drittel der Studierenden des Max-Reinhardt-Seminars fordern in einem offenen Brief den Rücktritt von Institutsleiterin Maria Happel und ihrer Stellvertreterin Annett Matzke. Happel nahm am Mittwoch zu den Vorwürfen Stellung. Wie kam es so weit, und welche Vorwürfe werden konkret erhoben? DER STANDARD hat die Geschehnisse der vergangenen Tage aufgearbeitet und eingeordnet:

Frage: Was ist das Max-Reinhardt-Seminar?

Antwort: Das Max-Reinhardt-Seminar ist eine der wichtigsten Schulen für Schauspiel und Schauspielregie im deutschsprachigen Raum. Sie wurde vor fast 100 Jahren von Regisseur Max Reinhardt gegründet. Heute ist sie Teil der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (mdw), die sich insgesamt aus 25 Instituten zusammensetzt. Seit 2020 wird das Reinhardt-Seminar von Burgschauspielerin Maria Happel geleitet. Die Studierenden fordern in einem offenen Brief an die Rektorin der mdw, Ulrike Sych, jetzt ihren Rücktritt.

Frage: Worum geht es in dem offenen Brief der Studierenden?

Antwort: In dem offenen Brief heißt es, dass sich seit dem "#MeToo-Artikel in der Tageszeitung DER STANDARD vom 5. August 2022 hinsichtlich einer Verbesserung der Umstände nichts getan, nichts verändert" habe. DER STANDARD hat damals über Übergriffe, Sexismus und Beleidigungen an verschiedenen mdw-Instituten berichtet, auch das Max-Reinhardt-Seminar war betroffen. Nun haben die Studierenden des Reinhardt-Seminars nach fast einem Jahr Bilanz gezogen: Die Institutsleitung habe in all den Monaten keine Verantwortung und kein Bemühen um Aufklärung gezeigt. Ihr Vertrauen in die Institutsleiterin Maria Happel sei "unwiederbringlich zerrüttet".

Frage: Welche konkreten Vorwürfe gegen das Reinhardt-Seminar stehen im Raum?

Antwort: Die Studierenden beziehen sich in dem offenen Brief nicht nur auf Missstände, die in dem Artikel aufgedeckt wurden, sondern führen eine Liste von eigenen Beobachtungen an. Rollenunterricht finde etwa weiterhin in ungeschützten Räumen abseits der mdw statt, obwohl die Institutsleitung hierüber in Kenntnis gesetzt worden sei. Auch sei eine öffentliche Diplominszenierung nur unter Begleitung einer Sicherheitsfirma möglich gewesen. Mitstudierende seien von der stellvertretenden Institutsleiterin Matzke in Einzelgesprächen zum Weinen gebracht, eine hochschwangere Mitarbeiterin vor anderen Studierenden von Happel angeschrien worden. Letztere sei außerdem "nahezu nie am Institut anzutreffen".

Die Studentinnen und Studenten des Reinhardt-Seminars sehen sich in ihrer Ausbildung mit einem System von "Machtmissbrauch, Nepotismus und Ignoranz" konfrontiert. So würden zum Beispiel Lehraufträge intransparent und nach privaten Vorlieben vergeben.

Frage: Die Studierenden fordern, dass die Leitung des Instituts "nicht berühmt, sondern qualifiziert sein soll". Ist Ansehen oder Prominenz ein Kriterium für eine Professur bzw. einen Lehrauftrag?

Antwort: Bei Professuren nach dem Universitätsgesetz macht eine Berufungskommission mit Professorinnen und Professoren, Mittelbau und auch Studierenden einen Vorschlag auf Basis von Gutachten. Aus einem Dreiervorschlag wählt die Rektorin oder der Rektor aus, wer für den Posten am besten geeignet ist.

Prominenz allein darf aber keine Rolle spielen, sagt Bettina Perthold vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Uni Wien. Auch bei abgekürzten Verfahren, etwa bei befristeten Professuren, darf Prominenz allein keine Rolle spielen. Natürlich könne man aber nie ausschließen, dass einmal eine Person genommen wird, weil man diese "einfach so toll" findet, sagt Perthold. Aber auch hier muss die Eignung der Person berücksichtigt werden. Ebenso ist der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen mit der Auswahlentscheidung zu befassen.

Frage: Wie hat die Universität auf die Vorwürfe reagiert?

Antwort: In einer Stellungnahme an den STANDARD im Namen von Sych, Happel und Matzke hieß es, dass man – bevor man auf konkrete Vorwürfe eingehe – mit den Studierenden das Gespräch suchen wolle. Im Ö1-"Abendjournal" von vergangenem Freitag stellte Sych außerdem klar, dass die Schilderung der Studierenden zu der Diplominszenierung unter Begleitung einer Sicherheitsfirma nicht stimme.

Maria Happel hat am Mittwoch in einem APA-Interview erstmals Stellung bezogen. Der Protest sei für sie "absolut unerwartet" gekommen. Die #MeToo-Vorwürfe aus dem Vorjahr seien "vorbildlich" gelöst worden. Am Burgtheater stehe sie in der neuen Saison nicht mehr für Premieren zu Verfügung. Gegenüber einer schwangeren Mitarbeiterin sei sie "laut geworden – wohl das einzige Mal in der ganzen Zeit". Dass ihre Stellvertreterin Studierende zum Weinen bringe, sieht Happel indes als Teil der Ausbildung. Man könne "Menschen in Ausbildungsstätten wie der unseren nicht immer gut behandeln".

An einen Rücktritt denkt Happel nicht. Sie möchte "mithilfe einer ausgebildeten Person von außen" an einer Veränderung der Strukturen am Max-Reinhardt-Seminar arbeiten. Vonseiten des Bildungsministeriums heißt es, dass die Angelegenheit "im Rahmen der Autonomie der Universität behandelt" werde. Das Ministerium gehe davon aus, dass die Rektorin der mdw "alles daransetzen wird", die Vorwürfe zu klären. Am Mittwoch fand ein Gespräch zwischen den Studierenden und dem Rektorat statt.

Frage: Wie kann man Übergriffe und Machtmissbrauch an der Universität melden?

Antwort: Das Universitätsgesetz verpflichtet jede Uni zur Einrichtung eines sogenannten Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen (AKG). Ein solcher hat Diskriminierung in jeglicher Form entgegenzuwirken und berät Universitätsangehörige etwa im Fall von sexueller Belästigung oder Machtmissbrauch. Auch an der mdw gibt es eine solche Stelle.

Oft gäbe es ein teils berechtigtes Misstrauen gegenüber internen Stellen, sagt Sophie Rendl von der externen Beratungsstelle vera*. Seit vergangenem Jahr steht deshalb vera* Betroffenen von Gewalt, Belästigung und Machtmissbrauch in Kunst, Kultur und Sport offen. "Es soll auch ein Weg aus dem Betrieb führen, ohne dass es als Versagen der Institution gewertet wird", sagt Rendl. Ansetzen müsse man in der Prävention und mit weiteren Maßnahmen neben dem offiziellen Beschwerdeverfahren. Das beginne mit einer Risikoanalyse der konkreten Tätigkeiten an der Universität. In einer Schauspielschule, bei der viel mit Körpern gearbeitet wird, falle diese anders aus als für eine sozialwissenschaftliche Fakultät, sagt Rendl.

Frage: Ist die Kulturbranche daher besonders anfällig?

Antwort: Die österreichische Kulturbranche ist klein. Viele von Machtmissbrauch Betroffene fürchten deshalb negative Folgen für ihre berufliche Zukunft, wenn sie offen über ihre Erfahrungen sprechen. So ein Verhalten sei "typisch für den Kulturbereich", erklärte Ulrike Kuner von der IG Freie Theaterarbeit und vera* in der "ZiB 2" am vergangenen Freitag. Jene, die bestehende Strukturen anprangern, stehen also stark unter Druck.

An Kunsthochschulen wie der mdw wird oft sehr eng zwischen den Studierenden und den Lehrenden zusammengearbeitet. Auch Körperarbeit spielt bei vielen Disziplinen der darstellenden Kunst eine große Rolle. All diese Faktoren begünstigen strukturelle Abhängigkeiten und Machtmissbrauch. (Helene Dallinger, Beate Hausbichler, Laurin Lorenz, Anna Wielander, 31.5.2023)