Der Gewaltausbruch militanter serbischer Aktivisten gegen die Nato-Schutztruppe im Kosovo ist für den serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić eine willkommene Gelegenheit, davon abzulenken, dass im eigenen Land Zehntausende seinen Rücktritt fordern und ihm vorwerfen, mit seiner autokratischen Politik, der Hetze in seinen Medien und den Unterstützern in der organisierten Kriminalität ein Klima der Gewalt zu fördern.

Im Norden des Kosovo ist es abermals zu einer gewaltsamen Konfrontation zwischen serbischen Demonstrierenden und der Polizei gekommen.
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Auch der kosovarische Premier Albin Kurti versucht, aus der Situation Profit zu schlagen, indem er Muskeln zeigt, die er selbst gar nicht hat, weil die Sicherheit Kosovos ganz und gar vom Schutz der Nato und den USA abhängt. Am meisten freute sich am Montag aber wohl der Kreml, als die Bilder von serbischen Nationalisten um die Welt gingen, wie sie Nato-Soldaten halb totprügelten, zumal diese Rechtsradikalen zuvor ein Z – das Zeichen für den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – auf Nato-Fahrzeuge im Kosovo gemalt hatten.

Nato-Soldaten mussten am Dienstag – auch mit Stacheldraht- die Gegend rund um das Rathaus in Zvecan sichern.
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Die Eskalation der Gewalt im Kosovo offenbart das Scheitern der derzeitigen westlichen Politik auf dem Balkan. Der US-Politologe Janusz Bugajski twitterte etwa: "Die Politik der USA und der EU hat Vučić gestärkt, und wir sehen jetzt die Konsequenzen. Es ist Zeit, die demokratische Revolution in Serbien zu unterstützen und den gesamten Balkan vom Moskauer Einfluss zu befreien."

Vučić weiß den Westen gut zu instrumentalisieren, weil er jederzeit mit Gewalt im Kosovo drohen kann. Deshalb wird er auch mithilfe seines Freundes Viktor Orbán in Ungarn von der EU mit viel Geld und freundlichen Worten beschwichtigt, nach dem balkanischen Motto: Füttere vor allem den stärksten Hund im Rudel, denn damit garantierst du, dass er die anderen kontrolliert.

Doch die Appeasement-Politik war bisher völlig erfolglos. Trotz eines intensivierten Dialogs wurde weder erreicht, dass Vučić ein Abkommen mit dem Kosovo unterschreibt, noch dass die serbischen Beamten wieder in die kosovarische Polizei zurückkehren, die sie auf Vučićs Geheiß verlassen haben, noch dass die Serbinnen und Serben im Kosovo wieder an den Wahlen teilnehmen.

Unter dem Deckmantel der EU-Erweiterung auf dem Balkan, die in Wahrheit schon seit Jahren tot ist, üben sich die USA und die EU dennoch weiter in Selbsttäuschung. Sie fürchten nämlich, dass Moskau statt Vučić den noch viel radikaleren Geheimdienstchef Aleksandar Vulin an die Staatsspitze hieven könnte oder dass wieder Krieg ausbricht, wenn Serbien – so wie in den 1990er-Jahren – neue Grenzen nach ethnischen Kriterien zu ziehen versucht. Belgrad soll außerdem laut Pentagon-Leaks auf Wunsch der USA inoffiziell Waffen in die Ukraine liefern.

Deshalb setzt man weiter auf Vučić. Viele Serbinnen und Serben fühlen sich gleichzeitig vom Westen verraten und verlassen, weil dieser mehr an wirtschaftlichen Beziehungen als an Demokratie interessiert ist. Über 60 Prozent der Werbeeinnahmen serbischer Medien, die unter Vučićs Kommando stehen und Kreml-Propaganda betreiben, stammen von westlichen Firmen.

Die EU profitiert auch davon, dass die Gebildeten und Verzweifelten das Land verlassen. Die Quittung für dieses strategielose Vorgehen wird ganz Europa bezahlen müssen. Denn die Sicherheitsbedrohung steigt angesichts des wachsenden Einflusses des Kreml weiter. (Adelheid Wölfl, 30.5.2023)