Lena wird, seit sie 17 ist, online von einem ihr Unbekannten mit Nachrichten bombardiert. Ihre Anzeigen gingen ins Leere.
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Ich will mein Leben nicht mit jemand anderen verbringen. Das ist so eine Strafe. Ich will es nur mit dir verbringen, selbst wenn du mich hasst." Oder: "Ich werde mir in den Winterschulferien ein realistisches Porträt von dir tätowieren lassen. Wir 2 sind seelenverwandt,..." Lena (Name geändert, Anm.) hat hunderte solcher Nachrichten bekommen. Ein Teil davon liegt ausgedruckt und in Klarsichtfolie in einer dicken Mappe. Dazwischen befinden sich Bescheide über einstweilige Verfügungen und Anzeigebestätigungen der Polizei. "Ich schau hier nicht viel rein", sagt Lena. Sie sei froh, wenn sie nicht "an diesen Typ" denken müsse. Aber fast fünf Jahre nachdem sie die erste Nachricht erhielt, will sie ihre Geschichte öffentlich machen.

Es ist die Geschichte eines Mädchens, mittlerweile eine junge Frau, die von einem nur wenig älteren Mann verfolgt wird und nicht mehr weiß, wie sie sich wehren soll. Und es ist eine Geschichte davon, wie allein und ausgeliefert sich die junge Frau in ihrer Situation fühlt.

Im Stich gelassen

Zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Frauen in Österreich waren laut einer Befragung der Statistik Austria schon einmal von Stalking betroffen. Lena ist eine davon. Ihre Leidensgeschichte begann 2018 mit einer Nachricht auf Snapchat, im Laufe der Jahre folgten hunderte weitere. Den Absender kannte sie damals nicht. Es gab auch keine Verbindung zu Bekannten oder Freundinnen. Wie er auf sie kam, kann sich Lena nicht erklären.

"Ich kämpfe seit fünf Jahren gegen meinen Stalker an. Das Gesetz in Österreich hat mich aber im Stich gelassen, auch heute noch", sagt die 21-jährige Studentin aus Wien. Sie ortet Gesetzeslücken. "Viele denken, es sei nicht so schlimm, wenn man nur online beschimpft oder verfolgt wird. Aber gerade meine Generation verbringt viel Zeit auf Tiktok, Instagram und Co. Das ist für uns die reale Welt."

Aussichtslose Situation

Beim Online-Stalking werden das Internet oder andere Kommunikationstechnologien wie das Handy benutzt, um andere "beharrlich zu verfolgen", wie es im Gesetz heißt.

Lena beschloss 2018 relativ schnell, die Behörden einzuschalten. Mit ihren Eltern suchte die damals 17-jährige Schülerin die Polizei auf. Die Hoffnung, dass die Belästigung wieder aufhört, wurde aber schnell zerstört. Von einer Anzeige sei ihr zunächst abgeraten worden. Laut dem Polizisten hätte nicht wirklich etwas unternommen werden können, erzählt Lena. "Außer, ich versuche Selbstmord zu begehen und erwähne explizit irgendwo, dass es wegen meines Stalkers ist. Oder wenn der Stalker mir körperlich etwas antut", erinnert sie sich an die Ausführungen des Beamten.

Der Verweis auf Suizid kommt nicht von ungefähr, so ist es im Gesetz tatsächlich formuliert. Allerdings betrifft das die Strafandrohung, die in so einem Fall bis zu drei Jahre betragen kann – und nicht die Frage, ob das Delikt erfüllt ist oder nicht. Das gilt sowohl für die "beharrliche Verfolgung" als auch für das Cyber-Mobbing.

Einstweilige Verfügung

Für Lena sei der Erstkontakt mit der Polizei ein Schock gewesen. Schon davor sei es ihr psychisch nicht gut gegangen, danach noch schlechter. Nachdem der Mann, der ihr online all die Nachrichten schrieb, sie vor ihrer Schule ansprach und ihr auf dem Nachhauseweg folgte, war sie vollkommen verängstigt – und zeigte ihn schließlich doch wegen beharrlicher Verfolgung an. Kurz wurde es ruhig, der Mann meldete sich nicht mehr. Aber wenige Wochen später tauchte er auf Lenas Schulball auf, stand auf einmal hinter ihr. "Ich wurde völlig panisch, konnte nicht mehr atmen. Irgendwer hat die Polizei gerufen. Die haben ihn dann mitgenommen." Das Bezirksgericht hält später fest: Lena erlitt einen Nervenzusammenbruch, war kurze Zeit ohnmächtig.

Einen Monat später wurde die erste einstweilige Verfügung gegen den Mann erlassen. Lena hat sich für den Antrag Unterstützung bei der Wiener Interventionsstelle geholt, wo sie sich zum ersten Mal verstanden und gut beraten gefühlt habe. Ein Jahr lang durfte der Mann Lena nicht kontaktieren. Hält sich der Täter nicht an eine solche Anordnung des Gerichts, kann dies mit einer Geldstrafe von bis zu 2500 Euro – bei wiederholter Missachtung sogar mit Festnahme – bestraft werden.

Er hielt sich nicht daran, schrieb ihr zwei Mal von unterschiedlichen Nummern auf Whatsapp, die Lena sofort blockierte. Sie erzählte ihrer Beraterin von den Verstößen – mit für sie ernüchterndem Ausgang. "Solange es nur vereinzelte Nachrichten seien, könne man nichts machen. Das sei zu wenig", erzählt die Studentin. Das Gericht hielt im Antrag zu einer späteren einstweiligen Verfügung fest: "Er schrieb ihr verschiedene, wirre Liebesnachrichten, wobei die Antragstellerin Nachrichten, in denen er schrieb, dass er Kinder mit ihr möchte, als Hinweis auf eine mögliche Vergewaltigung auffasste."

Kritik von Gewaltschützern

Bei der Interventionsstelle wird betont: Verstoß sei Verstoß. Man unterstütze Betroffene in jedem Fall, Verstöße bei Gericht zu melden. Diese werden dort erfahrungsgemäß auch geahndet.

Knapp 200 Frauen seien im letzten Jahr wegen beharrlicher Verfolgung bei der Interventionsstelle beraten worden. Die Zahl nehme jährlich zu, die Leidensgeschichten der betroffenen Mädchen und Frauen seien groß. Übergriffe im virtuellen Raum seien generell ein Thema, "das uns überrollen wird", wie Jasmina Gründler, Teamleiterin bei der Interventionsstelle, sagt. Der Gesetzgeber, aber auch die Exekutive erkenne das noch zu wenig.

Dokumentation wichtig

So gebe es beispielsweise oft Probleme wegen der Unterscheidung, ob ein Fall jetzt nach Paragraf 107 a, beharrliche Verfolgung, oder 107 c, Cyber-Mobbing, angezeigt werden soll. Außerdem werde die überwiegende Zahl an Anzeigen nicht weiter verfolgt. Eine Entwicklung, wie man sie auch bei Anzeigen wegen sexueller Übergriffe beobachten könne, sagt Gründler. Für Betroffene sei es deswegen wichtig, alle Kontaktaufnahmen zu speichern und Übergriffe gut zu dokumentieren.

Genau das tat Lena. Nach Ablauf der einstweiligen Verfügung nahmen die Nachrichten wieder zu. Lena blockierte, sammelte, druckte aus – und verlangte eine weitere einstweilige Verfügung. Jahr für Jahr.

Einmal schickte der Mann ihr ein Paket und ihrer Mutter Blumen. Auf der beiliegenden Karte bedankte er sich bei ihr für die gute Erziehung von Lena. "Die Adresse hat er von den Anzeigen, die ihm zugestellt wurden. Ich verstehe wirklich nicht, wieso da meine Adresse draufsteht." Lena hat nun noch mehr Angst – der Mann könnte nun ja einfach vor der Tür stehen. Sie bleibt viel zu Hause, hat auch Panik davor, Beziehungen einzugehen. Die Wienerin ist immer wieder in psychiatrischer Behandlung, nimmt Antidepressiva. Das Gericht hält fest, dass das Verhalten des Mannes Lena in ihrem Leben "maßgeblich" beeinträchtige.

Reformbedarf

Auch in der Justiz und von Gewaltschutzeinrichtungen wird bzw. wurde Reformbedarf erkannt, etwa im Bericht der Kommission Strafrecht 2019. Hier wurde bezüglich der Qualifizierung für längere Haftstrafen bei beiden Delikten in einer Ergänzung festgehalten: Nicht mehr nur ein Suizid(versuch), sondern auch die Dauer der Verfolgung, genauer: wenn diese ein Jahr übersteigt, können zu einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren führen. – Lena ist das zu wenig. Keine der Anzeigen führte zu einer Gerichtsverhandlung, geschweige denn zu einer Strafe. Eine angebotene Aussprache, eine Diversion, lehnte Lena ab.

Sie sei oft gefragt worden, warum sie nicht einfach ihre Social-Media-Accounts deaktiviere, wenn sie keine Nachrichten mehr bekommen wolle. "Wieso muss ich nachgeben und mich einschränken?", fragt sie zurück. Seit Anfang des Jahres macht sie wieder Psychotherapie. Sie habe im Frühjahr außerdem Kontakt zur Schwester des Mannes aufgenommen und sie auf sein Verhalten hingewiesen. Seither seien keine Nachrichten mehr gekommen. Lena hofft, dass das nun auch so bleibt. (Lara Hagen, 31.5.2023)