Für Sexualpädagogik greifen viele Schulen auf externe Vereine zurück. Kritik gibt es nun wieder an der Auswahl dieser Vereine.
imago/HiPi

Sexualpädagogik ist ein heikles und komplexes Feld. Mit Schüler:innen über Sex, Verhütung oder sexuelle Orientierungen zu sprechen ist eine Herausforderung. Externe sind bei intimen und schambesetzen Fragen zu Sexualität oft die bessere Wahl als Lehrer:innen, die die Kinder tagtäglich sehen. Vor einigen Jahren gab es aber große Empörung über den Verein Teenstar, der sexualpädagogische Workshops mit ultrakonservativen Botschaften durchführte. Schulungsdokumente zeigten, dass unter anderem eine "Heilbarkeit" von Homosexualität angedeutet und eine "Ich-Bezogenheit" als mögliche Folge von Selbstbefriedigung behauptet wurde

Auch von politischer Seite wurde das Problem erkannt. In dem Bereich gebe es eine Baustelle, so der damalige Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) im April 2019. Seither gab es Regierungswechsel und Ankündigungen, dieser Baustelle habhaft zu werden. Etwa mit einem Akkreditierungsverfahren und einem Gesetzesentwurf, der allerdings verworfen wurde, weil er gleich alle externen Vereine von Schulen verbannt hätte. 

Religiös oder nicht?

Teenstar konnte allerdings nach eigenen Angaben noch im Schuljahr 2021/22 in drei Bundesländern Workshops durchführen. Irritation gibt es nun auch wegen eines anderen Vereins. Die "Aktion Leben" führte im Mai einen sexualpädagogischen Workshop für eine Wiener Mittelschule durch. Der Verein ist vor allem für die Beratung von Schwangeren bekannt, führt aber auch Seminare und Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zum Thema Sexualität oder "die richtige Anwendung von Verhütungsmethoden" durch, wie es auf der Website des Vereins heißt.

Umstritten ist er allerdings wegen seiner Haltung zu Abtreibung. Der Verein habe einen religiösen Hintergrund, das habe im Sexualkunde- bzw. Aufklärungsunterricht nichts verloren, lautete die Kritik von Eltern. Martina Kronthaler, Generalsekretärin der "Aktion Leben", kann diese Kritik nicht nachvollziehen. "Sexualpädagogik ist immer wieder in der Kritik, vor allem von Menschen, die dieses Angebot nicht kennen. Die einen wollen gar nicht, dass mit ihren Kindern über Sexualität gesprochen wird, andere bemängeln, es gebe zu wenig Angebot. Wer uns kennt, schätzt unsere professionelle Arbeit auch in der Sexualpädagogik", so Kronthaler zum STANDARD. Die Workshops behandeln demnach Verhütung, Zyklus, Fruchtbarkeit, sexuelle Entwicklung, Identität – "alles", erklärt Kronthaler.

Keine Vorurteile

Zum Thema Abtreibung betont sie nachdrücklich, dass der Verein Schwangerenberatungen ergebnisoffen durchführe, das sei selbstverständlich oberstes Qualitätskriterium für eine Beratung, sagt Kronthaler. "Die Frauen werden in keiner Weise bewertet, und die Beratungen sind frei von Vorurteilen – die Entscheidung bleibt immer bei der Frau." Von radikalen Gruppen grenzt sich der Verein auf seiner Website ab, etwa von jenen, die eine Bestrafung von Frauen fordern, die in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten und somit innerhalb der seit 1975 geltenden Fristenregelung abtreiben. Damals, in den 1970er-Jahren, hatte die "Aktion Leben" auch selbst gegen die geplante Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der ersten drei Monate mobilisiert.

Der Verein bezeichnet sich auch heute noch als "Bewegung für den Schutz menschlichen Lebens", bildet auf der Website zahlreiche glückliche Babys ab und kündigt den "Tag des Lebens" am 1. Juni an, der vor 45 Jahren von der "Aktion Leben" initiiert wurde. Es wird auf der Website auch angekündigt, wie die Pfarren der Erzdiözese Wien den Tag begehen, "Bausteine zur Gestaltung eines Gottesdienstes zum Tag des Lebens" können direkt von der Seite des Vereins herunterladen werden. Die Position der katholischen Kirche ist klar gegen liberale Abtreibungsrechte.

Dass dem Verein immer wieder eine religiöse Anbindung nachgesagt wird, kann Kronthaler nicht nachvollziehen. "Die 'Aktion Leben' ist seit 1954 ein unabhängiger Verein", so Kronthaler. 1945 war auch das Jahr der Gründung, die auf eine Initiative von Jesuitenpater Georg Josef Strangfeld zurückgeht, der die Vorläuferorganisation "Schutzgemeinschaft für das ungeborene Leben, rettet das Leben" gründete. 

Feministische Kritik

Der Direktorin der betreffenden Schule wurde nicht wegen Bedenken über sexualpädagogische Workshops kontaktiert und zeigt sich betroffen, dass sich mit Beschwerden niemand an sie gewandt hat. Für sie ist es wichtig, für Sexualpädagogik externe Vereine hinzuzuziehen. Von Elternseite heißt es, es sei schwer einzuschätzen, ob man sich ganz bewusst für den Verein entschieden hat oder ob man einfach die lange Geschichte der feministischen Kritik an dem Verein nicht kannte. Laut der Schule wurde die "Aktion Leben" von jenem Verein empfohlen, der an der Schule in den Vorjahren sexualpädagogische Workshops durchgeführt hatte. Und: "Der Verein hat seine Kriterien in der Bildungsdirektion eingereicht, somit war er für die Direktion als seriöser Verein eingestuft worden." Aus der Bildungsdirektion heißt es hingegen, dass das Bildungsministerium die Qualitätssicherung externer sexualpädagogischer Angebote organisiert.

Nach dem Workshop habe es jedenfalls keine Beschwerden gegeben, heißt es aus der Direktion. Allerdings nimmt man die Kritik ernst, und man werde versuchen, Eltern vorab stärker zu involvieren und ihr Feedback einzuholen. Der Verein "Aktion Leben" orientiert sich nach eigenen Angaben an den WHO-Standards zur Sexualaufklärung in Europa, den Kinderrechten und Menschenrechten sowie dem Grundsatzerlass Sexualpädagogik Österreich.

Qualitätssicherung

Für manche Eltern räumt das Bedenken nicht aus. Eine stärkere Kontrolle von Anbieter:innen sexualpädagogischer Workshops war schon 2018 eine Forderung, als die Inhalte der Teenstar-Workshops bekannt wurden. Das vor ein paar Jahren ursprünglich geplante Akkreditierungsverfahren kam nicht, stattdessen wurde nun eine unabhängige Geschäftsstelle eingerichtet, die die Qualitätssicherung bei sexualpädagogischer Arbeit übernehmen soll, heißt es aus dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Die unabhängige Geschäftsstelle habe bereits ihren Betrieb aufgenommen, die Board-Mitglieder seien bestellt, und eine erste konstituierende Sitzung soll demnächst stattfinden. Nach dieser Sitzung werden die ersten Anträge gesichtet, Gutachten eingefordert und letztendlich die Ergebnisse der Qualitätssicherung auf der Webseite publiziert, so das Ministerium.

Das Rundschreiben aus dem Jahr 2019 sowie der Grundsatzerlass Sexualpädagogik und die Orientierung an WHO-Standards und Menschenrechten reichten offenbar nicht aus, um Zweifel an einer weitgehend ideologiefreien sexualpädagogischen Arbeit auszuräumen. Dass es jedenfalls eine zeitgemäße Sexualpädagogik dringend braucht, darin sind sich alle Beteiligten einig. (Beate Hausbichler, Brigitte Theißl, 31.5.2023)