180 Künstlerinnen und Künstler wie Jan Böhmermann, Josef Hader, Klaas Heufer-Umlauf, Aida Loos und Ursula Strauss fordern die FPÖ Niederösterreich auf, ihre Klage gegen die "Tagespresse" zurückzunehmen. Die Freiheitlichen klagen die Satireplattform wegen ihres Fake-Briefs an niederösterreichische Wirte auf Unterlassung und Widerruf, es geht um 47.500 Euro. 

Künstlerprotest gegen "Tagespresse"-Klage der FPÖ
Tagespresse Screenshot / Foto: APA

"Kritische Stimmen zum Schweigen bringen"

"Vorgehen wie auch Wortwahl zeigen alle Merkmale einer Slapp-Klage", heißt es in dem Protestschreiben gegen die Klage der FPÖ: "Egal, wie das Gericht entscheidet: Die Tatsache, dass diese Klage überhaupt eingebracht wurde, obwohl niemand materiellen oder körperlichen Schaden erlitt und die 'Tagespresse' die Täuschung umgehend aufklärte, lässt Rückschlüsse auf das Motiv der FPÖ zu. Durch das Abfeuern sämtlicher juristischer Geschütze aus allen Rohren sollen kritische Medien, Satire, Kunst und Kultur eingeschüchtert werden. Anstatt den Austausch in der politischen Arena zu suchen, schickt sie lieber ihre Anwälte vor, um kritische Stimmen im Gerichtssaal zum Schweigen zu bringen." Die Protestaktion wird getragen von der IG Autorinnen Autoren, dem Rabenhof Theater, der IG Kabarett und dem Österreichischen Pen-Club.

Den Protestbrief haben bis Mittwoch unterzeichnet (Auswahl): Caro Athanasiadis Caro, Austrofred, Wolf Bachofner, Karin Bergmann, Stefano Bernardin, Jan Böhmermann, Ruth Brauer-Kvam, Werner Brix, Michael Buchinger, Marc Canal, Gabriel Castaneda, Dieter Chmelar, Manfred Chobot, Christoph & Lollo, Birgit Denk, Christian Dolezal, Mercedes Echerer, Klaus Eckel, Monika Eigensperger, Christoph Fälbl, Gerald Fleischhacker, Herbert Föttinger, Christoph Fritz, Michou Friesz, Miriam Fussenegger, Gebrüder Moped, Thomas Gratzer, Roman Gregory, Christoph Grissemann, Walter Gröbchen, Werner Gruber, Nikolaus Habjan, Josef Hader, Angelika Hager, Rupert Henning, Hanna Herbst, Klaas Heufer-Umlauf, Miriam Hie, Elias Hirschl, Georg Hoanzl, Maria Hofstätter, Sigrid Horn, Tereza Hossa, Otto Jaus, Walter Kammerhofer, Flo Kaufmann, Ilse Kilic, Peter Klien, Hubsi Kramar, Kreisky, Marie Kreutzer, Gernot Kulis, Kyrre Kvam, Chris Lohner, Aido Loos, Anna Mabo, Ali Mahlodji, Nadja Maleh, Paulus Manker, Eva Marold, Thomas Maurer, Lucy McEvil, Benedikt Mittmannsgruber, Sabine Mitterecker, Ernst Molden, Catalina Molina, Petra Morzé, Michael Niavarani, Angelika Niedetzky, Reinhard Nowak, Nicholas Ofczarek, Klaus Oppitz, Michael Ostrowski, Alexandra Ötzlinger, Robert Palfrader, Kurt Palm, Ingo Pertramer, Robert Pfaller, Paul Pizzera, Thomas Rabitsch, Hosea Ratschiller, Manuel Rubey, Stefanie Sargnagel, Omar Sarsam, David Schalko, David Scheid, Florian Scheuba, Andreas Schmied, Clemens Maria Schreiner, Simon Schwarz, Gregor Seberg, Gery Seidl, Stefan Slupetzky, Julia Sobieszek, Thomas Spitzer, Eva Spreitzhofer, Erwin Steinhauer, Dirk Stermann, Thomas Stipsits, Katharina Straßer, Ursula Strauss, Marlene Streeruwitz, Toxische Pommes, Andreas Vitasek, Berni Wagner, Monica Weinzettl, Oliver Welter, Fritz Withalm, Herwig Zamernik, Michael Ziegelwagner. 

Schmerzhafte Wettbewerbsklage

"Tagespresse"-Gründer Fritz Jergitsch vermutet, dass die FPÖ damit die "ganze Branche einschüchtern" wolle.  Kabarettist Florian Scheuba spekuliert, dass die FPÖ möglicherweise versuche, in Konkurrenz zum Satireportal zu treten.

Jergitsch betrachtet die Klage zwar gleichsam auch als Auszeichnung, da es Aufgabe von Satire sei, die Mächtigen zu ärgern und ihnen den Spiegel vorzuhalten, doch sei sie keineswegs angenehm. "Wenn die FPÖ damit vor Gericht durchkäme, wäre es ziemlich schmerzhaft", sagt er. Im schlimmsten Fall rechnet der Satiriker mit Kosten in Höhe von ca. 70.000 Euro. Dabei bestreite man den Eingriff ins Namensrecht nicht. Die FPÖ Niederösterreich argumentiere aber auch mit Kreditschädigung und unlauterem Wettbewerb, um potenzielle Nachahmer einzuschüchtern. "Deswegen ist es so wichtig, dass die Branche ein Zeichen der Geschlossenheit abgibt und zeigt, dass diese Art und Weise, gegen Kritik vorzugehen, nicht unbeantwortet bleibt", freut sich Jergitsch über die solidarische Aktion.

Scheuba sieht in der Argumentation der FPÖ Niederösterreich, wonach unlauterer Wettbewerb vorliege, einen Hinweis darauf, dass "die FPÖ möglicherweise wirklich versucht, in Konkurrenz zur 'Tagespresse' zu treten". Der Gedanke, dass die FPÖ ihre Klage ernst meine, erscheint dem Kabarettisten zumindest fraglich. Denn: "Sollte ein Gericht feststellen, dass dieser Text der 'Tagespresse' so nah dran an der Realität ist, dass er genauso gut von der FPÖ stammen könne, dann wäre das eine verheerende Erkenntnis für die FPÖ und die Öffentlichkeit."

Weiterhin Wirtshausprämie

Scheuba erachtet es als wichtig, sich von solchen Klagen nicht einschüchtern zu lassen. "Der Sinn einer Slapp-Klage ist ja, dass etwas aus der Öffentlichkeit verschwinden soll. Man muss das Gegenteil machen und die Öffentlichkeit suchen", so der Kabarettist. "Auf uns haben solche Klagen keinen Effekt. Wir werden weiterhin die Sachen bringen, zu denen wir stehen", sagt Jergitsch. Auch an der Wirtshausprämienaktion halte man fest. "Der FPÖ geht es mit der Prämie darum, in die Speisekartengestaltung und damit in etwas, das durch kulturellen Austausch geprägt ist, einzugreifen. Wenn versucht wird, mit patriotischen, nationalistischen Kriterien eine Wirtshausprämie zu lancieren, gehört das kritisiert", so der "Tagespresse"-Gründer.

Juristisch sieht Jergitsch die Kunstfreiheit im Land mit vielen Gerichtsurteilen gut abgesichert. Auf einer ökonomischen Ebene sei das aber anders. Speziell Medien seien wegen der Förderungs- und Inseratenkultur sehr angreifbar für Slapp-Klagen und Druck aus der Politik. "Journalismus, der sich selbst als vierte Säule der Demokratie sieht, sich dann aber von anderen Säulen der Demokratie stützen lässt, ist keine Säule. Ich würde mir wünschen, dass sich Medien und der Kunstbereich verstärkt Modellen widmen, die es ermöglichen, sich selbst zu finanzieren und nicht vom guten Willen der Politik abhängig zu sein", sagt Jergitsch, der aber gesteht, dass dies einfacher gesagt als getan ist.

Scheuba ortet noch einen weiteren problematischen Punkt: "Es war lange Zeit breiter Konsens, Satire nicht zu klagen, weil es wahnsinnig dumm ist. Offensichtlich ist dieser Grundkonsens der Minimalintelligenz nicht mehr durchsetzbar. Wir haben ein Bildungsproblem, und es wäre erstaunlich, wenn sich das in der Politik nicht widerspiegeln würde."

Die "Tagespresse" hat noch rund eine Woche Zeit, die Klage zu beantworten. Anschließend wird ein Prozesstermin festgesetzt, sofern die Klage von der FPÖ nicht doch noch zurückgezogen wird. Die Unterstützungsinitiative soll fortgesetzt werden, bis die FPÖ von der Klage Abstand nimmt. (red, APA, 31.5.2023)