Lueger Denkmal Kunst im öffentlichen Raum Debatte Denkmaldebatte
Lueger in Schieflage: Das Denkmal wird einem Entwurf von Klemens Wihlidal nach um 3,5 Grad gekippt.
APA/GEORG HOCHMUTH

Im Wettbewerb um eine künstlerische Umgestaltung des umstrittenen Wiener Karl-Lueger-Denkmals gibt es einen Siegerentwurf, und es ist überraschenderweise ein altbekannter: Klemens Wihlidals Konzept von 2010 soll ganze 13 Jahre später doch noch zur Umsetzung gelangen. Der Entwurf sieht vor, das Denkmal, von vorne betrachtet, um exakt 3,5 Grad nach rechts zu kippen. Karl Lueger, Begründer der Christlichsozialen Partei und prägender Bürgermeister der Stadt Wien von 1897 bis 1910, soll dadurch in seiner problematischen historischen Bedeutung kenntlich gemacht werden: Er gilt als ein Miterfinder des politischen Antisemitismus sowie Populismus und hat Hitler in jungen Jahren beeinflusst.

Am Mittwoch präsentierte die Stadt die künftige künstlerische Kontextualisierung des Karl-Lueger-Denkmals.
APA

Wihlidals Entwurf ging 2010 aus einem internen Wettbewerb der Wiener Universität für angewandte Kunst hervor, der unabhängig von offiziellen politischen Gremien stattfand. Umgesetzt wurde dieser nie, wohl aber stets als leuchtendes Beispiel hervorgeholt, wenn es darum ging, über Möglichkeiten der Umgestaltung nachzudenken. Als "Denkmalsturz, unvollendet" betitelte der damals involvierte Künstler Martin Krenn, ein Unterstützer Wihlidals, den Entwurf treffend. Damals stieß man auch auf Widerwillen vonseiten des Denkmalamts, dieses gab nun doch grünes Licht. Für die Umsetzung sind insgesamt 500.000 Euro veranschlagt.

Eine Fotomontage des Entwurfs: Der Sockel muss für die Umsetzung statisch verstärkt werden.
Klemens Wihlidal

Den Kult, den Lueger im infrastrukturellen Modernisierungsschub um 1900 rund um seine Person betrieb, thematisiert seit einem Jahr eine andere künstlerische Installation am Dr.-Karl-Lueger-Platz, an dem das Denkmal steht: Nicole Six und Paul Petritsch versahen den Platz zwischenzeitlich mit Silhouetten zahlreicher weiterer Lueger-Huldigungsobjekte, die in der Stadt verteilt sind und bisher kaum beachtet wurden.

Luegerplatz Karl Lueger Installation Kunst
Nicole Six und Paul Petritsch thematisierten mit ihrer temporären Installation zwischenzeitlich den Lueger-Kult in der Stadt.
Iris Ranzinger/KÖR

Die Diskussion über Lueger ist freilich bereits jahrzehntealt: 2012 wurde der Dr.-Karl-Lueger-Ring auf maßgebliches Betreiben der Uni Wien in Universitätsring umbenannt. Der Lueger-Platz soll seinen Namen aber vorerst behalten. Dies sei nicht Auftrag des jetzigen Wettbewerbs gewesen, sagte die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) bei der Präsentation des Entwurfs. Mehrfach betonte sie ihre Auffassung, wonach sie keine Tilgung historisch belasteter Objekte und Orte wolle, weil Geschichte dadurch unsichtbar und verdrängt werde: "Ich möchte keine Stadt, die geschichtspolitisch 'clean' ist."

Rufe nach Entfernung

Ihr ÖVP-Kollege Markus Figl, Bezirksvorsteher der Inneren Stadt, in der das Lueger-Denkmal verortet ist, schlug in dieselbe Kerbe: Er sei gegen eine "Cancel-Culture" und für eine offene Auseinandersetzung mit der Geschichte. Figl zitierte auch den SP-nahen Historiker Oliver Rathkolb, der seit vielen Jahren wissenschaftlich mit Lueger befasst ist und sich ebenfalls gegen eine Verräumung des Denkmals ausspricht, weil dies "eine heile Welt suggerieren" würde.

Einen Abriss des Denkmals forderten immer wieder die Jüdische Hochschüler:innenschaft und Teile der jüdischen Gemeinde. Seit 2019 war das Lueger-Denkmal Ziel von Protestaktionen: Es wurde mit Farbe überschüttet, mit "Schande"-Schriftzügen besprayt oder aktionistisch mit sogenannten "Schandwachen" bedacht. Zwischenzeitlich rückten auch die rechtsextremen Identitären aus, um ihrerseits Aktionen zu setzen, die Lueger verteidigten. Der Stadt dämmerte allmählich, dass mit dem Denkmal etwas passieren muss.

Lueger Graffiti Beschmierung Intervention protest
Das Lueger-Denkmal wird seit Jahren immer wieder Ziel von Protestaktionen und politischen Auseinandersetzungen.
APA/EVA MANHART

Kaup-Hasler berief zunächst eine Gesprächsrunde mit verschiedenen involvierten Stimmen ein. Um Druck aus der Debatte zu nehmen, entschied man sich im letzten Jahr zur temporären Installation von Nicole Six und Paul Petrisch. Parallel dazu fiel der Entschluss, einen künstlerischen Wettbewerb für eine permanente "Kontextualisierung", wie derlei im Fachjargon heißt, auszuloben.

Eine Jury unter der Leitung von Kunst im Öffentlichen Raum (KÖR) wurde eingerichtet, der 14 Personen aus Wissenschaft und Kunst angehörten, darunter die renommierte Expertin für Erinnerungskultur, Aleida Assmann, Hanno Loewy (Direktor des Jüdischen Museums Hohenems), Felicitas Heimann-Jelinek (langjährige Chefkuratorin des Jüdischen Museums Wien) oder die Kunstschaffenden Iris Andraschek und Heimo Zobernig. Die Politik war mit Bezirksvorsteher Figl vertreten, Kaup-Hasler sei lediglich dem Beschluss der Jury, der wohlüberlegt und intensiv diskutiert worden sei, gefolgt.

Der Künstler Klemens Wihlidal bei der Präsentation des Siegerentwurfs.
APA/GEORG HOCHMUTH

15 Künstlerinnen und Künstler wurden von KÖR für den Wettbewerb geladen, 13 Projekte wurden eingereicht, Wihlidahls Entwurf habe dabei "nichts an Aktualität eingebüßt", so die Jury in ihrer Begründung. Durch die Schieflage werde der Anspruch auf Monumentalität gebrochen, der Entwurf vermag "die öffentliche Debatte lebendig zu halten" und solle so zu einer "Bewusstseinsschärfung in der Zivilgesellschaft führen". Wihlidahl (Jahrgang 1982) hat seinen Vorschlag damals noch als Student an der Angewandten eingereicht, mittlerweile ist er mehr im musikalischen Bereich unterwegs, unter anderem als Teil des Survival-Pop-Duos Mickey. Seinem Entwurf habe er seither nichts hinzufügen müssen, sagte er. Zu den 3,5 Grad sei er gelangt, weil dies aus seiner Sicht jener Kipppunkt sei, an dem das Auge eine merkbare Irritation wahrnehme. 

Dass jenen, die einen Abriss des Denkmals fordern, die Kontextualisierung wohl nicht weit genug gehen wird (die Jüdischen Hochschüler:innen sprachen in einer Aussendung bereits von einem "Schlag ins Gesicht"), scheint allen Beteiligten bewusst. "Wenn Kunst zu 100-prozentigem Konsens führt, ist sie entweder keine Kunst oder nicht gut", sagte Kaup-Hasler dazu. 

Das Denkmal, derzeit bereits zum Graffiti-Hotspot geworden, wird nun abgebaut, statisch verstärkt und bei dieser Gelegenheit auch um bis zu 150.000 Euro gereinigt. Bis 2024 soll das fertige, dann allerdings schiefe Denkmal wieder stehen. Und wenn es erneut mit Farbe beschüttet wird? "Die Stadt Wien wird damit gelassen umgehen. Denn das sagt ja auch etwas über die Diskussion aus", meinte Kaup-Hasler. Und Wihlidahl ließ anklingen, dass er nichts dagegen hätte, wenn Graffiti Teil der Intervention würden. Das klang dann schon fast wie eine Einladung. (Stefan Weiss, 31.5.2023)