Mit Trillerpfeifen und orangen Warnwesten machten sich die Demonstrierenden auf den Weg zum Bildungsministerium.
Regine Hendrich

Wien – Es war ein 14 Seiten langer Gesetzesentwurf, der vergangene Woche für reichlich Furore und am Donnerstagnachmittag für großes Aufkommen rund um den Wiener Stephansplatz sorgte. Von allen Seiten strömten Menschen in orangen Warnwesten und Schildern zur Kundgebung. Laut Angaben der Wiener Polizei und der Veranstalter waren es über 2.000. Sie alle machten hier ihrem Unmut über eine befürchtete Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen Luft – mit einem ohrenbetäubenden Trillerpfeifenkonzert.

Hinter der Kundgebungsbühne hatten sich zwei Freizeitpädagoginnen einen Schattenplatz geschnappt. "Sie wollen uns ersetzen", sagt die Betreuerin Dilek M. (Name von der Redaktion geändert) verärgert im STANDARD-Gespräch. "Doch anstatt unseren Beruf abzuschaffen, sollten sie lieber schauen, dass sie mehr Lehrer einstellen." Ähnlich dürften das auch 50 Beschäftigte in Salzburg gesehen haben, die ebenfalls am Donnerstag durch die Innenstadt zogen. Auch in Kärnten ist für Freitag eine Demonstration geplant.  

Strittige Berufsumwandlung

Die Beschäftigten, das geht aus allen Wortmeldungen am Stephansplatz hervor, fürchten um die Zukunft ihres Berufes: Denn laut dem Gesetzesentwurf, der vergangene Woche an die Öffentlichkeit gelangte, soll dieser in einer neuen Berufsgruppe, den sogenannten Assistenzpädagogen, aufgehen. Mehr Arbeit, weniger Gehalt und höhere Einstiegshürden: All das hätte diese Umwandlung laut Bildung im Mittelpunkt (BiM) zur Folge. Das ist jene stadteigene GmbH, bei der die rund 2.300 Nachmittagsbetreuerinnen und -betreuer beschäftigt sind – und die am Donnerstag zur "öffentlichen Betriebsversammlung" aufgerufen hatte.

"Wir sind keine Assistentinnen, wir sind eine eigene Profession!", sagte die BiM-Betriebsratsvorsitzende Selma Schacht auf der Bühne, die weiteren Widerstand gegen die geplante Reform ankündigte.

Demo: Vereinzelt waren auch Eltern mit ihren Kindern am Protestmarsch zu sehen.
Regine Hendrich

Was feststeht: Die Existenz der BiM ist durch die Novelle bedroht. Für zahlreiche Firmen, die derzeit für die Freizeitpädagogik in Österreich zuständig sind, würde die Reform das Aus bedeuten. Laut Entwurf soll das Personal künftig über die Bildungsdirektionen angestellt werden, wie auch herkömmliche Lehrkräfte. Voraussetzung wäre dann aber die Matura, die bislang nicht notwendig war. Eine solche haben aktuell nur dreißig Prozent aller Freizeitpädagoginnen und Freizeitpädagogen.

Beschwichtigungsversuche vorerst gescheitert

Für die Gegenseite scheint mit Blick auf die Demos einiges aus dem Ruder gelaufen zu sein. Bereits vergangene Woche hielt die grüne Bildungssprecherin Sibylle Hamann im STANDARD-Gespräch fest, dass noch gar nichts fix sei – auch nicht, dass die Matura Voraussetzung für das Ausüben des Berufs werde. "Wir werden auch in Zukunft Menschen ohne Matura in dem Beruf brauchen." Möglich sei etwa ein kürzerer Lehrgang für Menschen mit Matura und ein längerer für Menschen ohne Matura. Auch müsse keiner der Beschäftigten um seinen Job bangen – "natürlich sollen auch alle weiterarbeiten können", betont sie erneut im STANDARD-Gespräch.

Solange dies aber nirgendwo schriftlich festgehalten ist, schenkt der langjährige Freizeitpädagoge und Gruppenleiter Andreas Hatzl dem Gesagten keinen Glauben. "Es muss klar sein, dass hier auf diesem Platz 2.300 Mitarbeiter keine Angst haben dürfen, sich morgen ihren Job nicht mehr leisten zu können." Der Betriebsrat hatte ausgerechnet, dass die Beschäftigten mit dem Übertritt in den öffentlichen Dienst mit Gehaltseinbußen von bis zu 19 Prozent zu rechnen hätten. 

Demo: Die Beschäftigten befürchten Gehaltseinbußen von bis zu 19 Prozent.
Regine Hendrich

"Turbo" der Ganztagesschule als Ziel 

Also warum das alles? Hinter der Reform steht für Hamann die Idee, einen "Turbo" in Sachen Ganztagsschule in ganz Österreich zu zünden – ganz nach dem Wiener Vorbild. Im neuen Modell wäre das Personal für ganztägige Schulformen dauerhaft in den Stellenplänen verankert und somit vom Bund finanziert. Doch dafür müssten alle Länder an Bord geholt werden, sagt Hamann. Wien, das Vorbild, steigt hier auf die Bremse.

Denn die Sorge um die Aufrechterhaltung des Betreuungsangebots in der Bundeshauptstadt ist groß: Zwar sei es grundsätzlich zu begrüßen, wenn der Bund mehr Verantwortung für den Ausbau der Tagesbetreuung übernehmen will, heißt es aus dem Büro des pinken Bildungsstadtrats Christoph Wiederkehr zum STANDARD. Aber: "Wenn sich die Arbeitsbedingungen der Freizeitpädagog*innen verschlechtern und der Beruf somit weniger attraktiv wird, dann wäre das ausgezeichnet funktionierende System der Wiener Tagesbetreuung gefährdet." Und das gelte es mit Blick auf den Personalmangel zu verhindern.

In einem Punkt scheinen sich alle Parteien, sogar die Demoveranstalter, einig zu sein: Es gehören einheitliche Regeln im Bund her. "Aber so nicht!", ruft die Betriebsrätin Schacht in die Menge. (Elisa Tomaselli, 1.6.2023)