Linda Yaccarino hat eine Menge Arbeit vor sich, wenn sie – wahrscheinlich im Juli – den Chefsessel von Elon Musk bei Twitter übernimmt. Die vormalige Leiterin der Werbeabteilung von NBC Universal soll nicht nur den Umbau des Netzwerks zur "App für alles" fortführen, sondern damit auch den Marktwert des Unternehmens erhöhen.

Dieser befindet sich schon länger im freien Fall. Vergangenes Jahr hatte Musk zugesagt, die Plattform für 44 Milliarden Dollar zu kaufen, nur um dann später zu versuchen, wieder aus dem Deal auszusteigen oder zumindest den Kaufpreis zu drücken – erfolglos. Dabei hatte er Twitter unter anderem vorgeworfen, geschönte Zahlen hinsichtlich des Aufkommens von gefälschten Konten präsentiert zu haben, blieb den Nachweis dafür aber schuldig.

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DER STANDARD

Talfahrt

Seit sieben Monaten ist Musk nun Eigentümer und Chef von Twitter. An Kontroversen hat es seitdem – zwischen Massenentlassungen, öffentlichen Entgleisungen gegenüber Ex-Mitarbeitern und der Perpetuierung von Verschwörungserzählungen – nicht gemangelt. Die Plattform ist zwar Dauergast in den Schlagzeilen, doch auf geschäftlicher Seite läuft es nicht rund.

Zahlreiche Werber, bislang die Haupteinnahmequelle, haben sich zumindest vorerst von Twitter abgewandt. Das Premiumabo Twitter Blue konnte das bisher auch bei weitem nicht kompensieren. Als Konsequenz befindet sich der Marktwert von Twitter auf Talfahrt. Erst im März gestand Musk selbst ein, dass die Firma nur noch etwa die Hälfte des damaligen Kaufpreises wert sei.

Musk ist derzeit auf Besuch in China.
Elon Musk ist derzeit auf Besuch in China.
REUTERS/TINGSHU WANG

15 statt 44 Milliarden

Mittlerweile ist man bei circa einem Drittel angekommen. Diese Einschätzung kommt aber nicht von Musk, sondern von Fidelity Investments. Dort dürfte man mit solchen Aussagen nicht leichtfertig umgehen, denn über den eigenen Blue Chip Growth Fund hat man selbst Kapital für die Twitter-Übernahme beigesteuert. 15 Milliarden Dollar sei Twitter nach aktuellem Stand wert, so die Schätzung.

Es ist auch nicht das erste Mal, dass Fidelity den Gesamtwert in der eigenen Einschätzung – und damit auch jenen des eigenen Investments – nach unten korrigiert hat. Es ist mittlerweile die vierte Abstufung.

Musk auf China-Trip

Der Noch-Twitter-CEO, der nach der Ablöse nicht nur Eigentümer, sondern auch Vorstandschef und Chief Technology Officer bleibt, ist derweil in China zu Arbeitsbesuchen eingetroffen. Hier allerdings in seiner Rolle als Chef des E-Auto-Herstellers Tesla.

Bei seinem ersten Trip in die Volksrepublik seit drei Jahren wurde er von chinesischen Nutzern wie ein Star gefeiert. "Er ist ein Idol", jubelte ein User in den sozialen Medien. "Wenn es in China nur jemanden wie Elon Musk gäbe." Andere wünschen sich den exzentrischen Milliardär als US-Präsidenten.

Eigentlich ist der Tesla-Chef aber zu einem Arbeitsbesuch in der Volksrepublik. Auf dem Terminplan standen Treffen mit dem chinesischem Außen-, dem Handels- und dem Industrieminister sowie ein Abendessen mit Zeng Yuqun, dem Chef des wichtigen Batterieanbieters CATL. In den kommenden Tagen will Musk Insidern zufolge im Tesla-Werk in Schanghai vorbeischauen.

In den vergangenen Monaten gaben sich trotz der politischen Spannungen zahlreiche US-Topmanager in Peking die Klinke in die Hand. An die Popularität Musks in der chinesischen Bevölkerung kam allerdings keiner heran: weder Tim Cook von Apple noch Jamie Dimon von JP Morgan oder Laxman Narasimhan von Starbucks.

Musk hat sich bisher noch nicht öffentlich geäußert, obwohl er auf Twitter sonst sehr aktiv ist. Der Kurznachrichtendienst, der ihm auch gehört, ist in China verboten. Das chinesische Außenministerium zitierte den Milliardär mit den Worten, dass die Volkswirtschaften der USA und Chinas "siamesische Zwillinge" seien und er daher eine Abkoppelung ablehne.

Tesla leidet unter wachsendem Konkurrenzdruck chinesischer Anbieter wie BYD. Außerdem ist unklar, ob der US-Konzern sein Werk in Schanghai, in dem 2022 mehr als die Hälfte aller Tesla-Modelle produziert wurden, erweitern kann. Gleichzeitig steht eine Freigabe der Behörden für fortgeschrittene Fahrassistenzsysteme, die Tesla in den USA bereits anbietet, noch aus. Es blieb zunächst unklar, wen Musk bei seinem Schanghai-Besuch treffen wird und welche Themen auf der Tagesordnung stehen. (gpi, APA, 31.5.2023)