Morbus Hysteria Aktionstheater Ensemble
Line-Dance als Puffer zwischen den Szenen: Das Ensemble des Aktionstheaters spinnt sein Theater aus Anekdoten.
Gerhard Breitwieser

Wie wiehert ein Pferd, wie muht eine Kuh, und wie balzt ein Fasan? Fragen, auf die jeder Sprachraum andere Antworten gibt. Der Eingangskonflikt im jüngsten Stück von Martin Gruber und dem Aktionstheater Ensemble, Morbus Hysteria, zielt auf das emotionale Gebiet der eigenen Sprachsozialisation. Ergebnis: In Schweden wiehern die Pferde anders als in Ungarn oder Israel.

Ein Streitfall, der sich auf der Bühne vorzüglich ausfechten lässt, sofern man so tolle Balzerinnen und Wieheranten wie die hier im Werk X agierenden hat. Schauspielerin Michaela Bilgeri beispielsweise setzt den Anfangslaut des Huftierschreis in so lichter Höhe an, dass man denkt, Maria Callas reitet ein. Ein Konsens unter den fünf Protagonisten bleibt weiters in puncto Nationalgerichten außer Reichweite. Wurde der Apfelstrudel wirklich in Österreich erfunden, und was meint man mit "normalen österreichischen Speisen"?

Ein lebensnahes Thema, dessen Aktualität sich der Abgrenzungspolitik der neuen niederösterreichischen Regierung verdankt, die bekanntlich gewisse Wirtshausgerichte als förderwürdig erachtet.

Am Beginn Tabula rasa

Diskurse haben sich seit der massenhaften Nutzung digitaler Austauschweisen weltweit erhitzt, Meinungskriege entzündet. Fingerzeigkultur (Daumen rauf und runter) hat in der Kommunikation Fuß gefasst. Ein Theaterstück über das Rechthaben zu entwickeln ist folglich nur gut und wichtig und passt zur Theaterpraxis der Vorarlberger Gruppe, die ihre Stoffe auf Basis der Anliegen und Erfahrungen des eigenen Ensembles anstößt. Am Beginn der Arbeit steht beim Aktionstheater immer Tabula rasa, und das birgt auch Schwierigkeiten.

Wie lässt sich das Thema eingrenzen (gestritten wird schon immer)? Und welche Schilderungen sind aussagekräftig und von Belang? In der Hinsicht stößt dieses Anekdotentheater auch an seine Grenzen. Denn der Parcours bleibt einigermaßen beliebig (vom Hausbau bis zur Furry-Subkultur). Zudem interessiert sich der Abend weniger für die Rhetorik des jeweiligen Justamentstandpunkts, also die Herleitung von Argumenten, sondern treibt die vielen Ich-Meinungen mit stimmlichem und körperlichem Empowerment gegeneinander an.

Vorzügliche Sprechorgane

Zackiger Line-Dance separiert die aufeinanderfolgenden Szenen, die von einer düsteren Waldprojektion (Bühne: Valerie Lutz) eingefasst sind, über die hin und wieder ein Fuchsschatten zieht. Als launische Mitakteure sind schwarze Gymnastikbälle mit von der Partie.

Diese uns verwandten, selbstgerechten Zeitgenossen sind indes nie langweilig, ihr Meeting ist action- und temporeich, und Sprechorgane haben sie vorzügliche. Und doch machen sie große Bögen um das eigentliche Thema. Die Inszenierung lebt folglich mehr von den kleinen menschlichen Scharmützeln als vom Überbauthema. Und von der sprachlichen Akkuratesse: "Und der Oarsch, der is morsch. / Und des Knia was ned wia." Solche Reime können nichts als Zuspruch finden. (Margarete Affenzeller, 1.6.2023)

Morbus Hysteria
Benjamin Vanyek (Mitte) findet "Tut's ned streiten", bleibt aber selber stur.
Gerhard Breitwieser