Julia Grabher
Julia Grabher ist eine "toptrainierte Athletin", sagt ihr Trainer Günter Bresnik.
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Im Vergleich zu Günter Bresnik ist Rafael Nadal ein French-Open-Greenhorn. Bien sur, an den 14 Erfolgen des Spaniers kann und will der Österreicher nicht rütteln, aber mehr Paris-Routine hat er in jedem Fall. Die Routine geht no na net mit dem Alter einher, Bresnik (62) war schon gut dreißig Mal als Tenniscoach beim Pariser Grand-Slam-Turnier. Heuer ist es für ihn ein besonderes Turnier, hat er sich doch um eine Landsfrau zu kümmern, die noch dazu erstmals die zweite Runde eines Majors erreichte. Dort trifft Julia Grabher (26) aus Dornbirn in Vorarlberg am Donnerstag (3. Spiel nach 11 Uhr, ServusTV) auf Coco Gauff (19) aus Delray Beach in Florida.

Ein ungleiches Duell, sagt Bresnik im Gespräch mit dem STANDARD. "Von den Voraussetzungen her ist Julia enorm unterlegen. Da ist ein Riesenunterschied, nicht nur im Ranking, auch in der Qualität des Spiels. Und Gauff hat so viel mehr Erfahrung auf diesem Niveau – obwohl sie jünger ist." Der Perchtoldsdorfer verweist auf die drei Turniersiege der US-Amerikanerin, die ihren ersten Titel als 15-Jährige 2019 in Linz geholt hatte, und auf ihr Karrierepreisgeld von knapp 6,8 Millionen US-Dollar. Davon ist Grabher als Nummer 55 im Liveranking mit 700.000 US-Dollar Preisgeld weit entfernt, vor einer Woche erreichte sie in Rabat, Marokko, erstmals das Finale eines WTA-Turniers und verlor es knapp gegen die Italienerin Lucia Bronzetti.

Die große Hoffnung

Gauff gilt als eine, wenn nicht als die größte Hoffnung von Veranstaltern, Sponsoren und TV-Rechteinhabern im Damentennis. Zuletzt hat sich lange keine gefunden, deren Starpotenzial annähernd an jenes der Williams-Schwestern, einer Maria Scharapowa oder Naomi Osaka heranreichen konnte. Auch Bresnik traut Gauff viel zu. "Sie ist keine klassische amerikanische Tennisspielerin", sagt er, "sie ist nicht nur auf Hartplatz daheim, sondern auch auf Sand sehr gut. Sie serviert hervorragend, spielt schnell von der Grundlinie, bewegt sich ausgezeichnet. Gauff ist für jede Spielerin eine äußerst unangenehme Gegnerin. Auch für Julia." Bestätigt hat sich das heuer schon Mitte April beim Billie Jean King Cup in Delray Beach, als Grabher gegen Gauff 1:6, 3:6 verlor.

Günter Bresnik bescheinigt Grabher "viele Möglichkeiten".
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Unkundige mögen entgegnen, dass Grabher auf Sand aber schon einmal einer Top-10-Spielerin zu schaffen machen konnte, als sie vor kurzem in Rom gegen Daria Kasatkina (WRL-9.) erst im Tiebreak des dritten Satzes verlor. Bresnik: "Das sagt gar nichts, da gab es viele lange Ballwechsel. Das wird Gauff sicher nicht zulassen." Grabher, der in Paris schon 97.000 Euro brutto an Preisgeld sicher sind, müsse sich nicht groß überlegen, wie Gauff zu bezwingen sein könnte. Sondern? "Sie muss die Games zählen, von Game zu Game gehen. Sie muss versuchen, es zu genießen – auch wenn ich den Ausdruck nicht mag." Von vornherein verloren sei das Match natürlich nicht, schließlich sei weder bei Grabher ein perfekter Tag noch bei Gauff ein desaströser Tag auszuschließen. Und wenn diese beiden Tage zusammenfallen – wer weiß?

Fit wie nie zuvor

Was nicht täuscht, ist der Eindruck, dass Julia Grabher fit ist wie nie zuvor. "Sie ist eine toptrainierte Athletin und körperlich richtig gut beinand’", bestätigt Bresnik. "Natürlich sind einige Wehwehchen aufgetreten, weil sie viel gespielt hat, und es zwickt da und dort." Aber die Fitness sei eine Grundvoraussetzung und Bedingung dafür, "dass man im Frauentennis mitreden kann". Bresnik bescheinigt Grabher "riesiges Potenzial und viele Möglichkeiten, sich zu verbessern". Top 50, Top 30, Top 20, wohin kann die Reise gehen? Bresnik lässt sich nicht festnageln, hält aber fest, dass es sowieso auch die Top 20 inkludiert, wenn die Top 50 besprochen werden. Am Ende zählt sogar Rang eins zu den Top 50. Aber das sagt Bresnik in dem Zusammenhang nicht. (Fritz Neumann, 1.6.2023)