Im Gastblog zeigt der Jurist Florian Graber, wieso die Interessen von Kindern im Kontext der Klimakrise besonders schützenswert sind.

Am 1. Juni wird weltweit der Internationale Kindertag begangen, ein Tag, der den Bedürfnissen und dem Wohlergehen von Kindern gewidmet ist. An einem Tag wie diesem ist es einerseits angebracht, die Errungenschaften im Bereich der Kinderrechte zu feiern, aber auch auf die drängenden Probleme und Herausforderungen aufmerksam zu machen, die sich im Angesicht multipler Krisen, allen voran der Klimakrise, stellen.

Die vielfältigen Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels sind bekannt: Steigende Temperaturen, Dürren, ansteigende Meeresspiegel, Extremwetterereignisse wie Stürme, Starkregen oder Hagelschauer zählen ebenso zu ihnen wie der rasante Verlust von Artenvielfalt, die Ausbreitung invasiver Arten und Krankheiten, Massenmigration, soziale Unruhen und die damit einhergehende Destabilisierung politischer Systeme. Die meisten dieser Folgen sind bereits aktuell spürbar und werden sich künftig noch häufen und drastisch verstärken. Dass die Klimakrise dadurch die Lebensgrundlagen unzähliger Menschen weltweit gefährdet, ist offenkundig.

Junges Kind hält eine Erdkugel in seinen Händen
Auch wenn sie nicht oft mitgedacht werden: Kinder wird die Klimakrise besonders betreffen.
Foto: IMAGO/imagebroker/Paul Hartl

In der bisherigen Diskussion – wenn überhaupt – nur am Rande mitgedacht wurde jedoch eine Personengruppe, die zwar so gut wie gar nichts zur aktuellen Situation beigetragen hat, jedoch in Zukunft die Hauptlast der Folgen der Klimakrise zu tragen haben wird: die Kinder. Zwölf Kinder und Jugendliche greifen diese Ungerechtigkeit nun erstmals auf und bekämpfen die systematische Verletzung ihrer Kinderrechte durch das Fehlen wirksamer Klimaschutzmaßnahmen vor dem Verfassungsgerichtshof.

Kinder als schutzbedürftige Gruppe

Kinder, also Personen unter 18 Jahren, gelten gemeinhin als besonders schutzbedürftige, vulnerable Personengruppe. Ihre Schutzbedürftigkeit gründet sich einerseits auf den Umstand, dass sie bis zum Erreichen des Erwachsenenalters eine Vielzahl an körperlichen als auch geistigen Entwicklungsschritten durchlaufen, in denen sie in besonders intensiver Weise durch Umweltfaktoren beeinträchtigt werden. Andererseits haben Kinder äußerst beschränkte Möglichkeiten, ihren Interessen rechtlich Ausdruck zu verleihen, sei es aufgrund ihrer fehlenden Wahlberechtigung oder der vielfältigen Hindernisse bei der Durchsetzung von Rechtsansprüchen vor Gericht. Diese besondere Schutzbedürftigkeit wurde von der internationalen Staatengemeinschaft bereits im Jahr 1989 erkannt und in Form der völkerrechtlichen UN-Kinderrechtskonvention (KRK) adressiert.

Die KRK enthält unterschiedlichste Rechte von Kindern, wie zum Beispiel das Recht auf (Über-)Leben, auf Berücksichtigung des Kindeswillens, auf Schutz vor Gewaltanwendung, Misshandlung und Verwahrlosung, auf Gesundheitsvorsorge oder auf soziale Sicherheit. Als umfassendstes Recht sticht jedoch das Recht auf "Wahrung des Kindeswohls" hervor, das nahezu jeden Lebensbereich erfasst und das Wohlergehen von Kindern als vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt verankert. Als völkerrechtlicher Vertrag ist die KRK allerdings nicht unmittelbar in den Nationalstaaten anwendbar.

Um Kinderrechte in Österreich tatsächlich wirksam werden zu lassen, wurde im Jahr 2011 das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (BVG Kinderrechte) geschaffen. Dadurch wurden die Kinderrechte zu einem Teil des österreichischen Verfassungsrechts, was bedeutet, dass sich Kinder auch vor Gericht unmittelbar auf sie berufen können. Obgleich die im BVG enthaltenen Kinderrechte im Verfassungsrang – und damit im höchsten Rang unserer Rechtsordnung – stehen und stark ausformuliert sind, fristeten sie bisher einen "Dornröschenschlaf" und kamen nur vereinzelt zur Anwendung.

Die besonderen Schutzpflichten des BVG Kinderrechte

Die für die Kinder zentralste Bestimmung findet sich in Artikel 1 des BVG Kinderrechte, der festlegt:

"Jedes Kind hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind, auf bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf die Wahrung seiner Interessen auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein."

Kinder haben demnach ein Recht auf Schutz und Fürsorge, bestmögliche Entwicklung und Entfaltung und Wahrung ihrer Interessen unter besonderer Berücksichtigung der Generationengerechtigkeit. Das Recht auf Wahrung des Kindeswohls beinhaltet somit einen besonderen Schutzaspekt, der in dieser Form in der österreichischen Grundrechtslandschaft wohl einzigartig ist. Anders als alle anderen Grundrechte der österreichischen Rechtsordnung enthält es nämlich einen genuinen Schutzanspruch von Kindern gegenüber dem Staat. Dies muss zwangläufig bedeuten, dass der Staat bestehende beziehungsweise unmittelbar absehbare Gefahren, die das Wohlergehen von Kindern beeinträchtigen (können), aktiv und bestmöglich zu verhindern hat. Unterlässt er dies, verletzt er durch dieses "Nichtstun" die Rechte der Kinder.

Nichts anderes kann im Zusammenhang mit der Klimakrise gelten. Bereits aktuell beeinträchtigen die Folgen der Klimakrise das Wohlergehen von Kindern, sei es durch ausgedehnte Hitzewellen, die Kinder an ihrer Gesundheit schädigen, oder durch die psychischen Auswirkungen, die der Ausblick auf drohende Katastrophen und Extremereignisse besonders im Kindesalter hervorruft. Schon jetzt ist es außerdem absehbar, dass solche Katastrophenzustände künftig gehäuft und verstärkt auftreten werden, sofern dem nicht schnellstmöglich durch entsprechende Treibhausgas-Reduktions- sowie Adaptionsmaßnahmen entgegengewirkt wird. Die Klimakrise stellt damit sowohl eine bereits bestehende als auch eine absehbare, unmittelbar drohende Gefahr für das Kindeswohl dar. Den Staat trifft daher gemäß Art 1 BVG Kinderrechte die Verpflichtung, diese Gefahren im Rahmen der ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bestmöglich abzuwenden und die Kinder auf wirksame Weise davor zu schützen.

Verletzung von Gleichheitsrechten

Auf ähnliche Art und Weise beeinträchtigt die Untätigkeit des Staates in Sachen Klimaschutz Kinder in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art 2 StGG bzw. Art. 7 Abs. 1 B-VG). Aufgrund ihres geringeren Lebensalters sowie ihrer beschränkten Selbstbestimmungsfähigkeit haben Kinder zur übermäßigen Konzentration von Treibhausgasen in der Erdatmosphäre wenig bis gar nichts beigetragen. Gleichzeitig leben Kinder aber im Durchschnitt noch – zum Teil um ein Vielfaches – länger auf diesem Planeten als (ältere) Erwachsene. Für heute lebende Erwachsene gilt das genaue Gegenteil: Sie haben durch ihren Lebensstil einen vergleichsweise großen Beitrag zum übermäßigen Ausstoß von Treibhausgasen und damit zur Klimakrise geleistet, während ihre verbleibende Lebenszeit (viel) kürzer ist als jene von Kindern. Das bedeutet, dass der Hauptteil der Folgen der Klimakrise in Zukunft von – heute bereits lebenden – Kindern getragen werden muss, während Erwachsene diese aufgrund des natürlichen Alterungsprozesses oft nicht mehr erleben.

Blickt man auf die Treibhausgas-Entwicklung Österreichs, wird klar, dass die jährlichen Gesamtemissionen seit 1990 nur minimal gesunken sind und sich im Großen und Ganzen nach wie vor auf fast demselben Niveau wie vor 33 Jahren befinden. Das bedeutet, dass es der Staat bisher verabsäumt hat, wirksame Klimaschutzmaßnahmen im erforderlichen Ausmaß und der notwendigen Intensität zu ergreifen.

Auf Grundlage des allgemeinen Gleichheitssatzes hätte der Staat im Rahmen der Rechtsordnung grundsätzlich Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Vor diesem Hintergrund müssen daher Lasten unter den Generationen gleichmäßig verteilt werden. Das Ergreifen zu schwacher beziehungsweise unwirksamer Klimaschutzmaßnahmen, das letztlich nichts anderes als ein Ignorieren wissenschaftlicher Erkenntnisse und Prognosen ist, bewirkt jedoch genau das Gegenteil: Kindern wird letztlich die Tragung des Großteils der Lasten der Klimakrise aufgebürdet. Eine legitime Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung existiert nicht. Stellt man sich das verbleibende Treibhausgas-Budget als Kuchen vor, bedingt es der allgemeine Gleichheitssatz, dass dieser nicht von älteren Generationen auf Kosten jüngerer Generationen restlos aufgegessen werden darf. Das Unterlassen der Ergreifung wirksamer Klimaschutzmaßnahmen seitens des Staates würde demnach auch eine Verletzung von Kindern in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz bedeuten.

Klimakrise als Kinderkrise

All dies macht klar, dass die Klimakrise vor allem eines ist: eine Kinderkrise. Das staatliche Unterlassen der Ergreifung wirksamer Klimaschutzmaßnahmen im gebotenen Ausmaß verletzt Kinder in ihren Grundrechten, wobei die eigentliche Tragik darin besteht, dass sie diese Grundrechtsverletzungen aufgrund ihres jungen Alters zumeist nicht erfolgsversprechend geltend machen können. Zwölf mutige Kinder und Jugendliche haben es dennoch versucht und haben im Februar 2023 einen Antrag gegen einzelne Passagen des – mehr oder minder wirkungslosen – Klimaschutzgesetzes beim Verfassungsgerichtshof eingebracht. Im Rahmen dieses Verfahrens wird sich erstmalig klären, ob die angesprochenen Verfassungsrechte tatsächlich können, was sie auf dem Papier versprechen: unseren Kindern Schutz zu bieten und ein generationengerechtes Handeln des Staates sicherzustellen. (Florian Graber, 1.6.2023)