Arbeitnehmervertreter Muchitsch hält eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 32 Wochenstunden, wie sie Babler propagiert, für unrealistisch und kann mit dessen brachialer EU-Kritik nichts anfangen. Aber auch gegen Doskozils Pläne hat er Einwände.
GBH-Presse

Die roten Gewerkschafter sind eine große Hoffnung Andreas Bablers. Einst Stütze von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, könnten die Arbeitnehmervertreter aus Abneigung gegen Hans Peter Doskozil bei der entscheidenden Wahl am Parteitag am Samstag nun ins Lager von dessen Rivale wechseln. Oder doch nicht? Josef Muchitsch, der am 20. Juni zum neuen Chef der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG) gekürt wird, verteilt seine Kritik im Interview salomonisch.

STANDARD: Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum: Sind Sie für Doskozil oder Babler als SPÖ-Chef?

Muchitsch: In den Spekulationen wurde ich bereits allen Gruppen zugeordnet. Aber das Klonen ist, glaube ich, noch nicht möglich. Ich bin stolz, in Österreich leben zu dürfen, wo es ein Wahlgeheimnis gibt – und das nehme ich gerne in Anspruch.

STANDARD: Ihr Vorgänger Rainer Wimmer war klar für Rendi-Wagner, Sie haben Doskozil scharf gemaßregelt. Darf ich daraus schließen, dass auch Sie Letzteren verhindern wollen?

Muchitsch: Nein. Wir spielen alle in einem Team namens SPÖ. Egal, wer gewinnt: Wir brauchen endlich wieder Geschlossenheit. Den 609 Delegierten sollte am Parteitag bewusst sein, dass sie am Samstag das Bild der SPÖ nach außen abgeben. Ich appelliere deshalb, Untergriffe zu unterlassen. Es darf keine Zerfleischung geben.

STANDARD: Was Doskozil für viele Gewerkschafter suspekt macht, ist die Debatte um einen Mindestlohn. Sie haben das Ansinnen, diesen notfalls gesetzlich zu verordnen, als "Schuss ins Knie" bezeichnet. Warum?

Muchitsch: Weil die Löhne in allen Ländern, wo Regierungen diese per Gesetz festlegen, zurückbleiben. Österreich ist in der glücklichen Lage, dass für 98 Prozent der Beschäftigten ein von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern ausgehandelter Kollektivvertrag gilt. Damit sind wir gut gefahren. Als Sozialpartner haben wir bewiesen, dass wir selbst in der Inflationskrise in der Lage sind, die Einkommen der Menschen zu erhöhen. Das gilt besonders für die unteren Einkommen: Der Mindesteinstiegslohn für einen Bauarbeiter ist von 2100 auf 2450 Euro gestiegen.

STANDARD: Eine gesetzlich festgelegte Untergrenze würde Sie nicht hindern, per Kollektivvertrag trotzdem ein höheres Niveau auszuverhandeln.

Muchitsch: Wenn wir einmal diese Türe aufmachen, werden die sozialpartnerschaftlich ausgehandelten Vereinbarungen ihren Stellenwert verlieren. Dabei kann niemand eine Branche so gut einschätzen wie jene, die für den Kollektivvertrag verantwortlich zeichnen.

STANDARD: Sehen Sie eine Möglichkeit zum Kompromiss mit Doskozil?

Muchitsch: Miteinander reden hat schon immer zum Erfolg geführt – und das wird auch so sein, falls Doskozil Parteivorsitzender wird.

STANDARD: Gilt das auch für seinen von der Gewerkschaft ebenfalls verschmähten Vorschlag, die Gesundheitskasse abzuschaffen und die Zuständigkeit für die niedergelassenen Ärzte den Ländern zu geben?

Muchitsch: Auch hier gab es bereits ein Gespräch mit Doskozil. Unser Ziel ist, das Gesundheitssystem wieder mehr in die Selbstverwaltung zu bekommen. Das heißt weniger Staat, mehr Sozialpartnerschaft.

STANDARD: Aber eines der größten Probleme ist doch, dass es im Gesundheitswesen wegen der aufgesplitteten Kompetenzen zu wenig gemeinsame Planung gibt. Hat der Doskozil-Vorschlag da nicht seine Logik?

Muchitsch: Wenn man alles in eine Hand geben will, dann können das nicht neun Bundesländer sein.

STANDARD: Babler wiederum propagiert als Ziel eine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Wochenstunden. Das sei aktuell weder machbar noch sinnvoll, hält Doskozil entgegen, zumal viele Unternehmen schon jetzt die Arbeitskräfte ausgingen. Wer hat recht?

Muchitsch: Auf Knopfdruck eine Arbeitszeitverkürzung für alle zu verordnen ist nicht realistisch – da bin ich ein klassischer Real-Sozi. In der Pflege und anderen Gesundheitsberufen etwa müssen wir erst ausreichend Personal finden. Wo die Arbeitszeitverkürzung aber machbar ist, findet sie ohnehin bereits statt – da brauchen wir Sozialpartner keine Empfehlungen von oben, rechts oder links. In vielen Kollektivverträgen ist die Arbeitszeit auf 36 Stunden reduziert, manche Betriebsvereinbarungen sehen längst eine Viertagewoche vor: Weil die Menschen mehr leisten, sollen sie auch mehr Freizeit erhalten.

STANDARD: In einem Video aus dem Jahr 2020 offenbart Babler tiefe Abneigung gegen die EU. Er nennt diese das "aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat". Was halten Sie davon?

Muchitsch: Bablers Aussage von damals ist für mich nicht nachvollziehbar. Wir sind Mitglied der EU, und dazu stehe ich – obwohl von ausländischen Firmen entsandte Arbeiter mangels einer fairen Regelung immer noch ausgebeutet werden.

STANDARD: Wir haben jetzt viel über die Positionen der anderen gesprochen. Was aber wollen Sie als FSG-Chef durchsetzen?

Muchitsch: Mehr Netto vom Brutto für die Beschäftigten ist ein zentrales Ziel. Um das zu erreichen, dürfen wir Vermögen nicht länger beschützen statt besteuern – was das betrifft, sind wir ja die Nackerpatzln Westeuropas. Die Einnahmen aus der Vermögensbesteuerung sollen verwendet werden, um die Steuersätze für die unteren Einkommen zu senken. Das ist gerade in Zeiten nötig, in denen die Regierung bei der Bekämpfung der Teuerung versagt.

STANDARD: Ist dieser Vorwurf nicht völlig überzogen? Schließlich hat die türkis-grüne Koalition zig Milliarden für Antiteuerungshilfen ausgegeben.

Muchitsch: Die Regierung hat ein paar Pflaster in Form von Einmalzahlungen aufgeklebt, doch deswegen sinkt kein einziger Preis. Das wird uns mehr und mehr bestätigt. Die SPÖ steht längst nicht mehr allein da, wenn sie etwa eine Mietpreisbremse fordert.

STANDARD: Kritik an fehlenden Preiseingriffen ist eine Sache. Doch die SPÖ behauptet, die Regierung lasse die Menschen im Stich. Dabei haben die Hilfen die Teuerung im ersten Krisenjahr laut Berechnungen gerade für untere Einkommen kompensiert.

Muchitsch: Nicht für alle – und selbst wenn: auf welche Weise? Durch Einmalzahlungen, durch Almosen, die es nicht auf Dauer gibt. Doch die Teuerung setzt sich fort. Was passiert heuer, was im nächsten Jahr? Das neue Armutspaket der Regierung bringt ja wieder nur befristete Leistungen. Das ist keine nachhaltige Bekämpfung und holt kein Kind aus der Armut.

STANDARD: Immerhin hat die Koalition eine Valorisierung von Familienbeihilfe und anderen Sozialleistungen fixiert. Darauf hat man unter roten Kanzlern lange vergeblich gewartet.

Muchitsch: Ja, diese eine Maßnahme ist zu begrüßen. Aber warum hat die Regierung wieder Bezieher von Notstandshilfe und Arbeitslosengeld zurückgelassen? Diese Gruppe fällt um die Valorisierung um. Das ist keine gerechte Sozialpolitik.

STANDARD: Sie sagen oft, die Regierungshilfen würden "verpuffen". Aber besteht diese Gefahr nicht gerade bei einer zentralen Forderung der SPÖ, der Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel? Schließlich müssen die Supermärkte die Vergünstigung nicht an die Kunden weitergeben.

Muchitsch: Deshalb fordern wir parallel dazu auch eine tagtägliche Kontrolle durch eine Preisdatenbank und eine Preiskommission. Das ist im 21. Jahrhundert alles machbar, wenn man nur will.

STANDARD: Fürchten Sie nicht, dass die SPÖ dann, wenn sie selbst wieder einmal regiert, den Preis der verbalen Eskalation zu spüren bekommt?

Muchitsch: Jede künftige Regierung wird vielmehr darunter leiden, was die amtierende jetzt verabsäumt. Der vom Nichtstun verursachte Schaden verschwindet mit einem politischen Wechsel nicht einfach. Da wartet Schwerarbeit.

STANDARD: Aus Protest gegen die Regierungspolitik verweigert die SPÖ ihre Stimmen für eine bei Verfassungsgesetzen nötige Zweidrittelmehrheit - so geschehen bereits beim für den Klimaschutz wichtigen Energieeffizienzgesetz. Wie passt das zu einer staatstragenden Partei?

Muchitsch: Wie passt es zur ÖVP und zu den Grünen, dass sie seit 16 Monaten Maßnahmen gegen die Teuerung blockieren? Die Koalition hat 31 Anträge der SPÖ abgeschmettert, nicht einer wurde angenommen – und jetzt wollen sie uns plötzlich als Steigbügelhalter. Wenn man zusammenarbeiten will, dann muss man das auch leben – doch das tun ÖVP und Grüne leider nicht. Sie binden die Opposition und die Sozialpartner immer erst dann ein, wenn schon alles zu spät ist.

STANDARD: Selbst wenn man Ihre Kritik an der Regierungslinie teilt: Was kann der Klimaschutz dafür?

Muchitsch: Wir wollen eine Politik, die das Leben billiger macht. Wenn ÖVP und Grüne schon nichts gegen die Teuerung machen wollen, dann sollen sie wenigstens die Anhebung der CO2-Steuer auf das Vierfache auszusetzen – doch Fehlanzeige. Wenn die Regierung immer nur Nein sagt, darf sie auf Knopfdruck kein Ja erwarten. (Gerald John, 1.6.2023)