Bis zum Vorjahr nahmen die meisten Menschen in Österreich die monatlichen Inflationsdaten höchstens mit einem Schulterzucken zur Kenntnis – sofern dies überhaupt der Fall war. Schließlich dümpelte die Teuerung jahrelang rund um die Ein-Prozent-Marke, bevor sie Ende 2021 zu ihrem aktuellen Höhenflug ansetzte und die Finanzplanung vieler Haushalte durcheinanderwirbelte. Im Auge des Sturms steht die Statistik Austria. Sie ermittelt jeden Monat die aktuellen Inflationsdaten – 8,8 Prozent sind es demnach laut Schnellschätzung im Mai nach 9,7 Prozent im Vormonat gewesen. Für den Rückgang der Teuerung waren Generaldirektor Tobias Thomas zufolge günstigere Treibstoffe sowie ein nachlassender Preisdruck bei Lebensmitteln verantwortlich.

Preise Erhebung Statistik Inflation
Monat für Monat erhebt die Statistik Austria etwa 20.000 Preisdaten vor Ort in Geschäften und Lokalen oder per Onlinerecherche.
Heribert Corn

Damit ist es im Mai zu einem merklichen Rückgang der Teuerung gekommen, der sie auf den tiefsten Stand seit Juli 2022 gedrückt hat. Eine ähnliche Entwicklung gab es in Deutschland, wo der Preisauftrieb bei Waren und Dienstleistungen von 7,2 Prozent im April auf 6,1 Prozent im Mai gesunken ist. In der gesamten Eurozone hat sich die Inflation laut der Statistikbehörde Eurostat von sieben auf 6,1 Prozent verringert.

Trotz des Rückgangs im Mai stellt die Teuerung eine enorme Belastung für viele Menschen dar. Im Vergleich zu 2021 muss ein Ein-Personen-Haushalt heuer im Schnitt 405 Euro mehr pro Monat aufwenden, um den Lebensstandard zu erhalten, geht aus einer Berechnung des gewerkschaftsnahen Momentum-Instituts hervor. Am stärksten sind die Kosten für Wohnen und Energie mit 117 Euro monatlich gestiegen, gefolgt von Verkehr mit 81 Euro und Lebensmitteln mit zusätzlichen Kosten von 71 Euro pro Monat. Das Problem: Diesen Mehrkosten steht durchschnittlich nur ein Einkommenszuwachs von 260 Euro gegenüber, es fehlen also 145 Euro pro Monat, um den Lebensstandard von 2021 zu erhalten.

Feinmaschige Preiserfassung

Aber wie kommt es überhaupt zu den monatlichen Inflationsdaten, und wie werden sie ermittelt? "Es ist schon eine Herausforderung, die Preise genau zu erfassen und die Entwicklung gut darzustellen", sagt Michaela Maier, die den Bereich Verbraucherpreisindex (VPI) bei der Statistik Austria leitet. Dort sind in Wien 20 Personen ausschließlich mit der Teuerung beschäftigt, dazu kommen weitere 60 bis 70 Gemeindebedienstete in anderen Städten, die sie dabei eine Woche pro Monat unterstützen. Warum? Viele Preise werden noch immer vor Ort, also in gut besuchten Geschäften, Werkstätten oder Lokalen, persönlich erhoben – und das in insgesamt 19 Regionen, um die Entwicklung in Österreich möglichst feinmaschig zu erfassen.

Dazu wird das Angebot an Waren und Dienstleistungen in insgesamt 750 Einzelprodukte aufgeteilt, bei denen die Preisentwicklung verfolgt wird. Eine davon lautet etwa auf sportliche Herrenschuhe, Größe 40 bis 44. Für diese werden Maier zufolge etwa 90 Preise je Monat erhoben, daraus ein Durchschnittspreis für jede Stadt ermittelt und in weiterer Folge für ganz Österreich – wobei die Hauptstadt Wien am stärksten ins Gewicht fällt, weil dort am meisten Herrenschuhe in Umlauf sind und gekauft werden.

Index umfasst 750 Produkte

Letztendlich wird aus den 750 Produkten der VPI inklusive Untergruppen, in diesem Fall etwa Bekleidung und Schuhe, errechnet. Vergleicht man diese mit den Vorjahreswerten, erhält man die Gesamtinflation und sieht, wo die Teuerung am stärksten ausgefallen ist. Mode und Schuhwerk waren es übrigens nicht, dafür war im März bloß um 5,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor zu bezahlen. Vielmehr waren Wohnung, Wasser und Energie mit 14,7 Prozent, Restaurants und Hotels mit 14,2 sowie Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke mit 13,2 Prozent die Preistreiber im April.

Preise Geschäft Erhebung Inflation
Mode und Schuhe waren bisher nicht die Haupttreiber der Inflation.
Heribert Corn

Aber welche Produkte und Dienstleistungen sind überhaupt im VPI vertreten? Um in diesem Warenkorb vertreten zu sein, muss Maier zufolge gemäß der Konsumerhebung, die alle fünf Jahre durchgeführt wird, zumindest ein Promille, also ein Tausendstel, der Gesamtausgaben darauf entfallen. Alle anderen Waren und Dienstleistungen bleiben unter dem Radar. Ebenso etwa die Preise an Märkten, da dort verglichen mit Supermärkten zu wenig umgesetzt wird.

Angebote und Rabatte

"Es ist immer der Preis am Schild ausschlaggebend", sagt Maier über die Erhebungen vor Ort. Es wird also nicht in Geschäften um Preise gefeilscht, aber reduzierte Ware, etwa wegen eines Abverkaufs, oder andere Angebote wie Mittagsmenüs in Restaurants werden sehr wohl im VPI erfasst. Sogar die Rabattmarken großer Handelsketten werden berücksichtigt, wobei in diesem Bereich die Preise auf Basis von Scannerdaten automatisch geliefert werden. Etwa 20.000 Daten werden pro Monat in Geschäften vor Ort oder per Onlinerecherche, E-Mail oder Telefon persönlich erhoben. Dazu kommen weitere 800.000 Einzelprodukte, deren Preise automatisch an die Statistik Austria übermittelt werden.

Mitunter versuchen Anbieter, Verteuerungen dadurch zu verschleiern, dass sie die Inhaltsmenge verringern – ein Vorgehen, das zuletzt unter dem Schlagwort Shrinkflation bekannt wurde. Dies mag bei Konsumenten zumindest teilweise funktionieren, bei der Statistik Austria beißen sie damit auf Granit: "Wenn sich die Packungsgrößen ändern, merken wird das sofort", sagt Maier. Nicht erfasst werden jedoch Änderungen in Rezepturen, wenn plötzlich weniger Käse in einer bestimmten Marke Käsekrainer ist, oder bei der Lebensdauer von Geräten, wenn günstigere Komponenten verbaut werden.

Schätzung zu Monatsbeginn

Aus diesem Wust an Preisdaten extrahiert die Statistik Austria zunächst zu Beginn des Folgemonats die Schnellschätzung der Inflation, in die 80 bis 90 Prozent der für die Berechnung nötigen Preise einfließen. Dabei wird der Preisauftrieb in der Regel bis auf eine Abweichung von 0,1 Prozentpunkte korrekt ermittelt, berichtet Maier. Die endgültigen Inflationsdaten inklusive der Teuerung für einzelne Produktgruppen folgen später im Monat, konkret diesmal am 16. Juni für Mai 2023.

Hat Maier, die seit 2006 bei der Statistik Austria im Bereich VPI tätig ist, schon vorab geahnt, dass eine Inflationswelle auf das Land zurollt? Sie verweist auf die Indizes für Import- oder Erzeugerpreise, die gegenüber dem VPI ein paar Monate Vorlauf haben, und sagt: "Daran hat man schon gesehen, dass da etwas kommen wird." Aktuell stehen die Vorzeichen aber anders: Die Erzeugerpreise sind im April nur um 4,6 Prozent gestiegen, was auch auf einen künftig nachlassenden Inflationsdruck für Verbrauchende hindeutet. Aber wie geht die Expertin selbst als Konsumentin mit dem Preisschub um? "Ich bin auch grantig, wenn Waren plötzlich viel teurer werden", sagt Maier. (Alexander Hahn, 1.6.2023)