Ein halbes Jahr lang arbeiteten die Klimarätinnen und Klimaräte an einem Plan, wie Österreich die Klimaneutralität erreichen kann.
Ein halbes Jahr lang arbeiteten die Klimarätinnen und Klimaräte an einem Plan, wie Österreich die Klimaneutralität erreichen kann.
DER STANDARD

Die österreichische Klimapolitik kommt nicht vom Fleck. Selbst für die Kompromisse, zu denen sich ÖVP und Grüne durchringen können, fehlt momentan die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament – sowohl SPÖ als auch FPÖ blockieren. "Für unsere Empfehlungen sieht es derzeit schlecht aus", sagt Edith Siebenstich, Obfrau des Klimarat-Vereins. Umso mehr glaubt sie: Die Arbeit des Klimarates muss weitergehen.

Der Verein, dem Siebenstich vorsitzt, ist das Ergebnis eines großen demokratiepolitischen Experiments, welches das österreichische Parlament im vergangenen Jahr beschlossen hat. 100 zufällig ausgewählte Menschen wurden eingeladen, am österreichischen Klimarat teilzunehmen. An sechs Wochenenden im ersten Halbjahr 2022 trafen sich schließlich die 84 Menschen, die zusagten, und erarbeiteten zusammen Empfehlungen an die Politik. Begleitet von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, formulierten sie 93 Empfehlungen. Von einem Stopp der Bodenversiegelung ist in dem Abschlussbericht etwa zu lesen sowie von der Erhöhung der CO2-Steuer und einem Werbeverbot für besonders klimaschädliche Produkte.

Feierlich präsentierten Vertreterinnen und Vertreter des Klimarates im vergangenen Juli das Papier. Hände wurden geschüttelt, Klimaministerin Leonore Gewessler versicherte, die Empfehlungen sehr ernst zu nehmen. Wirtschaftsminister Martin Kocher lobte das zivilgesellschaftliche Engagement und sagte, die Empfehlungen würden dazu beitragen, dass Österreich bis 2040 klimaneutral werden könne.

Das war es dann mit dem organisierten Teil des Experiments. Und jetzt? Knapp ein Jahr später ist nur wenig von den Empfehlungen des Klimarates umgesetzt. Von dem großen Umbruch, den der Klimarat für viele Bereiche forderte, ist wenig zu spüren. Viele Klimarätinnen und Klimaräte sehen ihre Aufgabe deshalb als noch nicht erledigt an. "Wir hatten alle viel Zeit investiert und waren uns sofort nach unserer letzten offiziellen Sitzung einig: Das kann es noch nicht gewesen sein", erinnert sich Siebenstich.

Edith Siebenstich übergibt die Empfehlungen des Klimarates an den Wirtschaftsminister Martin Kocher und die Klimaministerin Leonore Gewessler.
Edith Siebenstich übergibt die Empfehlungen des Klimarates an den Wirtschaftsminister Martin Kocher und den Klimaministerin Leonore Gewessler.
IMAGO/SEPA.Media

Um also Druck zu machen, gründete Siebenstich gemeinsam mit 44 weiteren Personen einen Verein. Dazu kamen 15 externe Mitglieder, die zwar nicht im offiziellen Klimarat saßen, aber ebenfalls mitarbeiten wollten. Verteilt sind die Vereinsmitglieder heute über ganz Österreich. Regelmäßig gibt es Online-Treffen im Kernteam, Besprechungen mit Politikerinnen und Politikern, Podiumsdiskussionen und Stammtische.

"Wir wollen eine Anlaufstelle bieten für alle, die sich im Klimabereich engagieren möchten", sagt Siebenstich. Die 57-Jährige arbeitet als Filialleiterin des Modegeschäfts Ulla Popken im Wiener Auhof Center und erzählt in einer Pause bei Kaffee und Eisbecher von ihrer Vereinsarbeit. Neben ihr sitzt Werner Fischer, der sich um die Öffentlichkeitsarbeit des Klimarat-Vereins kümmert. "ÖVP und SPÖ stecken den Kopf in den Sand", kritisiert der pensionierte Betriebswirt. "Wir sehen, dass die Grünen viel versuchen, aber für die wichtigen Gesetze für die Klimapolitik ist eine Zweidrittelmehrheit nötig." 

Edith Siebenstich und Werner Fischer vom Klimarat-Verein bei einem Treffen im Auhof Center im Westen von Wien.
Edith Siebenstich und Werner Fischer vom Klimarat-Verein bei einem Treffen im Auhof Center im Westen von Wien.

Dabei wären die Bürgerinnen und Bürger bereit, sehr viel ambitioniertere Klimapolitik mitzutragen, sind die beiden überzeugt. "Das Experiment mit dem Klimarat hat gezeigt, dass Wählerinnen und Wähler aller Parteien wirksamen Klimaschutz befürworten, wenn sie sich eingehend mit den Folgen der Klimakrise beschäftigen und an Entscheidungen beteiligt sind", sagt Fischer. Siebenstich ergänzt: "Mich hat erschreckt, wie sehr das Thema davor an mir selbst vorbeigegangen war."

Als Klimarat-Verein wollen sie jetzt möglichst viele Menschen von ihren Empfehlungen überzeugen – vor allem auch all jene, die nicht ohnehin schon zu Klimademos gehen, erklärt Fischer.

Bislang wenig Konkretes umgesetzt

Zwar sind noch kaum Empfehlungen umgesetzt, vollkommen in einer Schublade verschwunden sind die 93 Empfehlungen aber auch nicht. Immer wieder verweist etwa das Klimaministerium bei der Vorstellung neuer Initiativen auf die Empfehlungen des Klimarates – wie etwa bei der Eröffnung eines neuen Zentrums, das die Entwicklung in Richtung Kreislaufwirtschaft vorwärtsbringen soll oder dem Vernichtungsverbot für Neuwaren. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag befindet sich derzeit in der Regierungsabstimmung.

In einer 132-seitigen Antwort erklärte das Klimaministerium zusammen mit anderen zuständigen Ministerien, wie die Vorschläge umgesetzt werden sollen beziehungsweise was im Weg steht. "Viele der Ideen des Klimarates fließen in unsere laufenden Arbeiten ein – von der Novelle der Deponienverordnung über den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Stromversorgung bis zum Erneuerbaren-Wärme-Gesetz“, so Klimaministerin Gewessler.

Dennoch sei das Ergebnis bislang überaus ernüchternd, erklärt der Klimarat Franz Zlanabitnig, der sich ebenfalls im Verein weiterhin engagiert.

"Das Format hat sich bewährt"

Für Patrick Scherhaufer von der Universität für Bodenkultur Wien ist klar: Der Klimarat müsste sehr viel stärker in politische Prozesse eingebunden werden. Scherhaufer hat die Arbeit des Klimarates begleitet und war Teil eines Forscherteams, das die Resultate evaluierte.

"Das Format hat sich bewährt. Für nächste Male lernen wir vor allem, dass es eine breitere politische Unterstützung braucht", sagt er. Es müsse für die Teilnehmenden klar sein, was mit den Empfehlungen passiere und wer die Umsetzung der Maßnahmen nach Abschluss der Arbeit vorantreibe. Auch in dem ausstehenden neuen Klimaschutzgesetz war die Ausweitung und Institutionalisierung von partizipativer Entscheidungsfindung wie im Klimarat angedacht.

"Es ist ein großartiges Instrument für gesellschaftlich schwierige Situationen", so Scherhaufer weiter. Bürgerinnenräte könnten Beschlüsse legitimieren, Akzeptanz und Bewusstsein schaffen sowie kreative Ideen bringen. Auch für die Regierung könne das Format damit von großem Vorteil sein. "Das als Entscheidungstragende nicht zu sehen ist fatal", kritisiert der Politikwissenschafter.

Nicht zuletzt riskiere die Politik ja auch, die Menschen, die sich für den Klimarat so viel Zeit genommen haben, zu frustrieren. "Engagierte Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie etwas umsetzen können. Das Schlimmste wäre, wenn stattdessen der Frust stiege", sagt Scherhaufer.

Ähnliche Räte in anderen Staaten

Ähnliche, aber viel stärker im politischen System verankerte Bürgerinnenräte gibt es auch in anderen Regionen Europas bereits – zum Beispiel in Ostbelgien. Ein ständiges Bürgerinnengremium kann dort Versammlungen einberufen und ist öffentlich finanziert. Bräuchte es auch in Österreich ein ähnliches Modell, etwa indem eine durchgehende Finanzierung für das Gremium geschaffen wird?

Edith Siebenstein und Werner Fischer finden: Im Falle ihres Vereins sei das nicht nötig. Ihnen sind private Spenden lieber. "Uns ist die Unabhängigkeit wichtig", erklärt Siebenstein. Sie glaubt: Die Veränderung muss jetzt von unten kommen. (Alicia Prager, 5.6.2023)