"Poetik des Partikularen“ ist einer der schönen Begriffe, die sich die vierköpfige neue Leitung am Schauspielhaus Wien für ihr kommendes Programm zurechtgelegt hat. Klingt gut und wird auch prompt erklärt. Gemeint ist, dass wir alle, jeder einzelne Mensch, nur Teil von etwas sind, also nichts Universelles, wiewohl umgekehrt das Universelle zu uns gehört. Das Bewusstsein dafür möchte das Theater stärken. Das Schauspielhaus will also Geschichten erzählen, die den Blick auf Details legen, erklärt Mazlum Nergiz – neben Tobias Herzberg, Marie Bues und Martina Grohmann einer der künftigen vier Leiter in der Porzellangasse. Das Quartett kennt sich aus vorangegangenen Arbeitsverhältnissen und wird gemeinschaftlich entscheiden.
Die Spielzeit wird am 3. November mit der österreichischen Erstaufführung von Sivan Ben Yishais Bühnenbeschimpfung eröffnet, inszeniert von einem Regietrio (Niko Eleftheriadis, Herzberg, Bues) – ein Novum auch an diesem Haus, das durch seinen Teamgeist flache Hierarchien zu gewähren gedenkt.
Sparsameres Produzieren
Das künftige Schauspielhaus steht generell für neue, sparsamere Produktionsweisen, etwa auch im Fall von Die vielen Stimmen meines Bruders, einer in Kooperation mit dem Kunstfest Weimar wie auch dem Wiener Kosmos-Theater entstehenden Arbeit, die zugleich auch von Ö1 und Deutschlandfunk Kultur als Hörspiel produziert wird. Dass innerwienerische Bühnen zusammenarbeiten, ist rar und hier eher ein Zufall, man strebt aber an, Stammpublika mehr zu mischen.
Als spanisch-österreichische Koproduktion hat Enis Macis Wunder in der Regie von Juan Miranda am 9. Dezember Premiere – darin geht es um den Körper als Bühne der Macht. Von Co-Leiter Nergiz selbst stammt das Drama 1000 Eyes, das von der westlichen Romantisierung des kurdischen Widerstands handelt. Die Uraufführung am 13. Jänner inszeniert Sahar Rahimi.
Sein Debüt als Dramatiker gibt Ex-Schauspielhaus-Mime Steffen Link mit dem Sektendrama Der Verein (7. 3. 2024) in der Regie der österreichischen Ernst-Busch-Absolventin Theresa Thomasberger. Valerie Voigt wiederum bringt Anna Gschnitzers Auftragswerk mit dem Arbeitstitel Capri zur Uraufführung (4. 5. 2024).
Zehn Ensemblemitglieder
Künftig wird das Schauspielhaus auch mit der Musik-und-Kunst-Privatuniversität der Stadt Wien (Muk) zusammenarbeiten und mit Im Glashäusl (23. 5. 2024) seine erste Koproduktion präsentieren, die auf Texten von Amir Gudarzi, Thomas Köck / Gerhild Steinbuch, Lisa Wentz und Robert Woelfl basiert. Regie führt Anne Bader.
Auf diese Weise der vielfältigen Zusammenarbeit kann das Haus, das sich weiterhin auch um die Durchführung des Hans-Gratzer-Stipendiums kümmert und zudem Nachbarschaftsprojekte starten will, ganze sieben Produktionen stemmen. Dafür stehen künftig zehn Schauspielerinnen und Schauspieler zur Verfügung, mehr als bisher, allerdings in Teilzeitverträgen, sodass der Stellenplan gleich bleibt: Tala Al-Deen, Iris Becher, Tina Keserović, Florentine Krafft, Kaspar Locher, Sophia Löffler, Nacy Mensah-Offei, Sissi Reich, Ursula Reiter und Maximilian Thienen. In intimen "Solo"-Abenden stellen sie sich ab Februar dem Publikum genauer vor. (Margarete Affenzeller, 2.6.2023)