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Blinde und sehbehinderte Frauen ertasten doppelt so viele Knoten wie sehende Ärztinnen und Ärzte, zeigt eine im Rahmen von "Discovering Hands" durchgeführte Studie.

2007 hatte der Gynäkologe Frank Hoffmann eine Idee, die die Krebsvorsorge verändern sollte: Mit ihrem ausgeprägten Tastsinn könnten geschulte blinde oder sehbehinderte Frauen eine Veränderung im Brustgewebe vielleicht besonders früh erkennen, womöglich sogar früher als Ärzte oder Ärztinnen. Aus einer Behinderung könnte so eine Begabung werden. Die Krebsvorsorge würde revolutioniert und nebenbei noch eine Berufsmöglichkeit für blinde und sehbehinderte Frauen geschaffen, so der Gedanke.

Seither wurde Hoffmanns Projekt unter dem Namen "Discovering Hands" oft angezweifelt. Heute geben ihm immer mehr Studien in dem Punkt recht, dass die Tastuntersuchung durch Menschen mit Sehbehinderung die Brustkrebsvorsorge deutlich verbessern kann. Wenn ein Gynäkologe oder eine Gynäkologin einen Knoten ertastet, ist dieser häufig bereits ein bis zwei Zentimeter groß. Die ausgebildeten Tasterinnen könnten bereits Veränderungen ab einer Größe von sechs Millimetern erkennen. Eine Studie aus Indien mit mehr als 1.000 teilnehmenden Frauen zeigte, dass Medizinisch-taktile Untersucherinnen, kurz MTUs, nur ein Prozent der bösartigen Gewebsveränderungen in der Brust nicht ertasten konnten. Das sei ein besonders guter Vorhersagewert, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie. Und dieser Vorhersagewert ist entscheidend. Denn wenn Brustkrebs früh erkannt wird, liegen die Heilungschancen bei 80 Prozent. In Österreich erkranken jährlich rund 5.600 Frauen an Brustkrebs, etwa 1.600 sterben an den Folgen der Krankheit. Brustkrebs ist damit die am häufigsten diagnostizierte Krebserkrankung bei Frauen.

Ergänzende Maßnahme

Auch in Österreich hat man schon ähnliche Daten gesammelt. MTUs erkennen doppelt so viele Veränderungen im Gewebe wie sehende Ärztinnen und Ärzte, zeigt eine im Rahmen von Discovering Hands Österreich durchgeführte Studie. Diese Ergebnisse wurden Ende des Jahres 2021 dem Gesundheitsministerium vorgelegt – und sie überzeugten. Seit eineinhalb Jahren ist es nun möglich, diese Tastuntersuchungen als freiwillige ergänzende Maßnahme zur Brustkrebs-Früherkennung durchzuführen.

Bisher gibt es in Österreich drei MTUs, weitere drei Frauen sind noch bis zum Sommer in Ausbildung. Sie sind an sechs Standorten (fünf gynäkologische Praxen und einem Radiologiezentrum) in Wien tätig, künftig möchte man das Angebot auch auf andere Bundesländer ausweiten, sagt Stefanie Bramböck, Geschäftsführerin von Discovering Hands Österreich, zum STANDARD.

Verbesserung bestehender Untersuchungen

Dass die Untersuchung direkt in ärztlichen Praxen stattfindet, ist essenziell, erklärt Bramböck. Denn die taktile Untersuchung ist trotz überzeugender Studiendaten nicht als eigenständige medizinische Vorsorgeuntersuchung klassifiziert, sondern eine Ergänzung für Gynäkologen und Gynäkologinnen, um deren Untersuchung zu verbessern. Die Verantwortung für das weitere Vorgehen – sei das eine Überweisung oder Diagnosestellung – liegt immer beim Arzt oder der Ärztin.

Die taktile Untersuchung dauert 45 Minuten, Ärztinnen und Ärzte hätten in der Praxis oft deutlich weniger Zeit. Die Patientin wird sowohl im Liegen als auch im Sitzen abgetastet. Vorab werden Orientierungsstreifen auf die Brust geklebt, so kann die MTU im Anschluss dem Arzt oder der Ärztin genau sagen, an welcher Stelle sie etwas erspürt hat. Mittels Ultraschall oder Mammografie können Mediziner und Medizinerinnen dann feststellen, ob eine Brustkrebserkrankung vorliegt.

"Diese Tastuntersuchung kann eine Mammografie nicht ersetzen, ist aber eine wichtige zusätzliche Maßnahme", sagt Bramböck. Sie sieht das Potenzial dieser Art der Untersuchung deshalb auch vor allem bei jungen Frauen, die noch nicht in das Früherkennungsprogramm hineinfallen: "Sie konnten bisher kaum etwas in Sachen Brustkrebsvorsorge unternehmen, die taktile Untersuchung unserer MTUs ändert das." Aber auch für ältere Frauen sei die Hürde geringer, zu einer Tastuntersuchung zu gehen, als zur Mammografie. Bramböck hofft, mit dem Angebot also auch jene Frauen abzuholen, die bisher keine Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen haben. (poem, 2.6.2023)