Klaus Salhofer, Professor für Volkswirtschaftslehre, Wirtschaftspolitik und Agrarpolitik, schreibt in seinem Gastkommentar über die Pläne der Regierung, die Lebensmittelpreise in den Griff zu bekommen. 

Die hohen Lebensmittelpreise sind für Menschen mit geringem Einkommen eine große Herausforderung. Ihnen zu helfen ist Aufgabe der Sozialpolitik. Die Bundesregierung jedoch setzt auf erhöhte Transparenz und Kontrolle des Lebensmitteleinzelhandels, als hätten die "gierigen" Unternehmen die Hauptschuld an der galoppierenden Inflation bei Lebensmitteln. Aber so einfach ist es nicht.

Unumstritten ist, dass wir im Lebensmitteleinzelhandel eine starke Marktkonzentration haben. 95 Prozent des Umsatzes teilen sich vier Unternehmen. Marktkonzentration kann zu Marktmacht auf den Beschaffungsmärkten führen – gegenüber Lieferanten wie Molkereien, Fleisch- und Wursterzeugern –, aber auch zu Marktmacht auf den Produktmärkten. Nur Letztere hat für Konsumentinnen und Konsumenten einen preissteigernden Einfluss.

Teuerung Lebensmittel
Rund fünf Liter Milch braucht man für 250 Gramm Butter. Wird der Rohstoff teurer, verteuert sich auch das Produkt.
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Einen funktionierenden Wettbewerb kann es aber auch in einem Markt mit wenigen Unternehmen geben, nämlich dann, wenn diese um Marktanteile kämpfen. Das ist die Situation in Österreich. Die einzelnen Unternehmen wollen mehr Kundinnen und Kunden und versuchen diese mit günstigeren Preisen – auch wenn sie absolut gesehen derzeit hoch sind – als die Konkurrenz in die Geschäfte zu locken. Auch das dichte Filialnetz spricht für einen starken Wettbewerb.

Richtung Kartell

Es gibt allerdings das Phänomen der "stillschweigenden" Absprachen. Davon wird gesprochen, wenn sich Unternehmen gegenseitig genau beobachten können, wenn es also eine hohe Markt- und Preistransparenz gibt. So wurden beispielsweise in Deutschland die Preise für Rohmilch bis vor zehn Jahren monatlich von einer Marktberichtsstelle veröffentlicht. Die Landwirtinnen und Landwirte waren der Meinung, diese Transparenz erzeuge mehr Wettbewerb zwischen den Molkereien und helfe ihnen, höhere Preise für ihre Milch zu bekommen. Das Bundeskartellamt hat diese Praxis dennoch verboten, mit der Begründung, dies könne den Molkereien bei Preiskoordination helfen. Informationen, insbesondere auf Unternehmensebene, helfen demnach den konzentrierten Unternehmen und schaden der anderen Marktseite. Auf die Situation in Österreich umgelegt heißt das: Preistransparenz hilft den Supermarktketten, sich zu kartellieren.

Bevor man die Marktkonzentration als Auslöser und Hauptverantwortlichen für hohe Lebensmittelpreise benennt, sollte man noch zwei andere Dinge bedenken. Die Marktkonzentration ist nicht plötzlich passiert. Bereits vor 25 Jahren hatten die größten vier Handelsketten einen Marktanteil von fast 80 Prozent. Als eine Art Beweis, dass in Österreich etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, wird auch oft darauf hingewiesen, dass die Preise in Deutschland niedriger seien. Unerwähnt bleibt, dass die Marktstruktur fast genauso konzentriert ist. Die vier größten Unternehmen teilen sich 85 Prozent des Umsatzes.

Abhängigkeit der Erzeuger

Die Marktmacht des Handels gegenüber den Erzeugern ist meiner Meinung nach das ernstere Problem. Dass viele Lebensmittelerzeuger aufgrund ihrer Abhängigkeit von den großen Handelsketten in Verhandlungen im Nachteil sind, wurde für Österreich bereits 2007 in einem Bericht der Bundeswettbewerbsbehörde und für Deutschland in noch viel umfangreicherer Form in einem Bericht des Bundeskartellamts 2014 festgestellt. Verstärkt hat sich die Verhandlungsmacht des Handels noch durch den Ausbau verschiedener Eigenmarken.

Aber auch Nachfragemarktmacht führt nicht automatisch zu höheren Konsumentenpreisen. Im Gegenteil, die Konsumentinnen und Konsumenten profitieren davon, dass der Handel die Einkaufsbedingungen bestimmen kann und mit günstig eingekauften Markenprodukten und/oder mit günstigen Eigenmarken versucht, unterschiedliche Kundensegmente an sich zu binden.

40 %
Der Preis für Rohmilch hat sich von Beginn bis Ende des Jahres 2022 stark erhöht.

Wo kommen also die Preissteigerungen der letzten Monate her? So wie meistens von den Marktrealitäten. Auf der Angebotsseite sind Kosten in der Produktion drastisch gestiegen. Das beginnt bei der Landwirtschaft. Der Rohmilchpreis hat sich von Beginn bis Ende 2022 um fast 20 Cent je Kilogramm oder 40 Prozent erhöht. Hauptursache dafür sind die gestiegenen Energiekosten und die starken Preissteigerungen bei Futtermitteln aufgrund der Verkürzungen des Angebots durch den Krieg in der Ukraine. Die Milch muss dann auch erst energieintensiv verarbeitet werden, und auch der Handel hat erhöhte Energie- und Personalkosten zu stemmen. Die Nachfrage nach Lebensmitteln jedoch ist unelastisch, sprich, sie bleibt trotz gestiegener Preise hoch.

All diese Argumente sollen nicht heißen, dass der Handel nicht teilweise höhere Margen einstreift, als dies in einem Markt mit mehr Wettbewerb der Fall wäre, aber die schon lange hohe Konzentration ist nicht plötzlich die Ursache der hohen Lebensmittelpreise. Die angekündigte erhöhte Transparenz und die schärfere Kontrolle des Lebensmitteleinzelhandels werden aus den dargelegten Gründen auch nichts an den Preisen ändern. Wenn der Handel, um einer unliebsamen Publicity entgegenzuwirken, nach dem nächsten Lebensmittelgipfel mit der Regierung vielleicht doch medienwirksam einige Preise senkt, dann werden dies in erster Linie die Wertschöpfungsstufen davor – die Lebensmittelerzeuger und die Landwirtinnen und Landwirte – durch höheren Preisdruck zu spüren bekommen.

Einkommen stützen

Es kann trotzdem passieren, dass in den nächsten Wochen und Monaten die Preise sinken. Wenn das der Fall ist, dann wohl deshalb, weil auf vielen landwirtschaftlichen Rohstoffmärkten derzeit die Preise nach unten zeigen. Abhängig ist die weitere Preisentwicklung aber auch von der Entwicklung der Energiepreise, den Lohnkosten, dem Wetter für die nächste Ernte und der Geopolitik – man denke nur an das Schwarzmeer-Getreideabkommen.

Was muss man also tun, um jene zu unterstützen, die sich Lebensmittel kaum mehr leisten können? Diese Frage ist aus ökonomischer Sicht gut zu beantworten: deren Einkommen und Sozialhilfe stützen, jedoch nicht die Gesamtbevölkerung durch Mehrwertsteuersenkungen oder Geldgeschenke. Einkommenstransfers sind effiziente Sozialpolitik – eine Transparenzoffensive im Lebensmitteleinzelhandel ist es hingegen nicht. (Klaus Salhofer, 2.6.2023)