Spider-Man
Die Spider-Man-Animationsfilmreihe wird aufgrund der Verwendung verschiedener Zeichenstile geschätzt.
Sony

Als der Vorgänger Spider-Man: A New Universe 2018 erschien, begeisterte er Kritiker und Publikum. Die bahnbrechende Animation, die sich verschiedener Zeichenstile und eines reichen, psychedelisch wirkenden Bouquets an Farben bediente, erweckte beim Zuseher den Eindruck, direkt in einen Comic gestiegen zu sein. Es gelang, eine tiefgründige Geschichte über Identität, Selbstermächtigung und Freundschaft zu erzählen und zugleich nie den Spaß an der Sache zu verlieren.

Anders zu sein in der homogenen Masse an Superheldenfilmen ist, in den Worten des Spider-Man-Mottos, eine Macht, die mit großer Verantwortung kommt. Spider-Man: A New Universe führte nicht nur auf geschicktere Weise als das Marvel Cinematic Universe ein Multiversum voller Spider-Man-Alter-Egos ein. Es verstand sich auch darauf, liebevoll den Comic-Kanon zu persiflieren und gleichzeitig eine Hommage an alle Spideys und ihre Fans zu schaffen. Die Belohnung dafür war nicht nur der erste Platz in sämtlichen Rankings der besten Spider-Man-Filme. Der Film schnappte Dauersieger Disney auch den Oscar für den besten Animationsfilm weg.

Die Handlung von Across the Spider-Verse setzt ein Jahr nach dem Vorgänger ein. In diesem wurde der Afro-Latino Miles Morales (Shameik Moore) zu Spider-Man, nachdem er von einer Spinne gebissen worden war. Lange in dem Glauben, der "einzige wahre Spider-Man" zu sein, wurde er bald von einer Gruppe an Spider-Man-Inkarnationen, darunter Spider-Gwen, heimgesucht, die seine Hilfe brauchten, um das Multiversum vor dem Chaos zu retten. Doch auch wenn Miles inzwischen seine Bestimmung als Spider-Man akzeptiert hat, so hadert er doch mit den Konsequenzen. Seine Eltern verstehen ihn nicht, und er vermisst seine Alter Egos.

Mythos und Multiversum

Seine Verlorenheit spiegelt sich in Gwen wider, die in ihrem Universum mit ihrem Vater bricht, nachdem dieser von ihrer Identität erfahren hat. Doch ungleich Miles, der weiter isoliert bleibt, wird Gwen in die Spider-Man-Society aufgenommen, eine das Multiversum umspannende Elite-Gruppierung von Spider-Inkarnationen. Als sie bei einem Auftrag Miles besucht, folgt dieser ihr heimlich in das Multiversum. Doch diesmal kommt die Bedrohung nicht allein von einem interdimensionalen Superschurken. Es ist der Mythos von Spider-Man selbst, mit seinem das Multiversum übergreifenden festgezurrten Kanon, der für Miles zur größten Herausforderung wird.

Was ist deine Geschichte? Diese Frage, die die Beratungslehrerin Miles zu Beginn stellt, wird zum übergreifenden Thema. Wer ist Miles Morales? Welche Erfahrungen, welche Umstände prägen ihn, machen ihn zu dem, der er ist in einer Welt voller Spider-Men, die so unterschiedlich sind und doch so viele biografische Eckpunkte mit ihm teilen? Wo andere Franchises das Konzept eines Multiversums als Rettungsanker nutzen, um noch ein paar Jahre relevant zu bleiben, ist es für die Autoren Phil Lord und Christopher Miller ein Spielball der Ideen.

War A New Universe bereits beeindruckend, so fühlt er sich im Vergleich doch wie eine Fingerübung an. Und dennoch: Die metaphorische Suche nach dem Selbst wird in dieser Fortsetzung von der eigenen Ambition, sich in das große Zahnrad der Superheldenfilme einzufügen, ad absurdum geführt. Die Schwächen in diesem zunächst im positiven Sinn Zuviel an Film liegen in der Tatsache, dass er an denselben Problemen kränkelt wie seine Vorgänger. So versucht er gegen Ende die MCU-Struktur einer Fortsetzungsgeschichte zu kopieren, und leidet auch an einem Zuviel an Bösewichten.

Im Kern möchte Across the Spider-Verse eine Geschichte über Freunde, Familie und Selbstermächtigung sein. Es geht nicht darum, den nächsten großen Bösewicht oder Superhelden durch die Hintertür einzuführen. Der Fokus bleibt auf Miles. Seiner Geschichte. Man wünscht sich nur, das Ganze wäre etwas fokussierter und mit weniger Inspiration von generischer Superheldenware entstanden. (Susanne Gottlieb, 2.6.2023)