Martin Parr
Martin Parr fotografierte 1995 Badeurlauber in Jalta auf der Krim. Knappe Höschen, ungesund orange Bräune und von der Sonne erschlaffte Körper prägen die Bilder.
©Martin Parr / Magnum Photos

Evgeniy Maloletka hat gleich nach den russischen Angriffen vergangenen Februar in Mariupol zu fotografieren begonnen. Vollgepackte Kofferräume Flüchtender, aus Gebäuden berstende Feuerbälle, Gräber. Elena Subach dokumentierte zeitgleich die Flucht an der Westgrenze der Ukraine, etwa mit Bildern von allerlei Sitzgelegenheiten, vom Hocker bis zum Rollstuhl, aufgenommen konsequent von schräg oben und bepackt mit Getränkebechern oder Decken.

Der Ukrainekrieg hat die diesmalige Hauptausstellung Crossing Lines. Politics of Images der Foto Wien inspiriert. Zum zehnten Mal findet das Festival statt, zuletzt wurde es vom Kunsthaus Wien ausgerichtet. Weil das neu gegründete Foto-Arsenal Wien künftig aber Stätte der zeitgenössischen Fotografie sein soll, liegt die Aufgabe nun bei jenem und dessen Leiter Felix Hoffmann.

110 Standorte

Maloletka und Subach stehen am Ende der Schau im temporären Foto-Arsenal-Standort im Freiraum des Wiener Museumsquartiers, die sich ausgehend von Aufnahmen aus der Ukraine nach dem Zweiten Weltkrieg voranarbeitet. 1947 bereisten etwa Robert Capa und John Steinbeck die "Wodka-Route" von Moskau über Kiew bis Georgien. Es geht aber auch um Gewalt und die Region an sich: Größer könnte der Kontrast zu Obdachlosen in Charkiw nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht sein als in sich zeitgleich sonnenden Krim-Urlaubern (Martin Parr).

Robert Capa
Eine Aufnahme aus dem vom Zweiten Weltkrieg gezeichneten Kiew von 1947 von Robert Capa in der Schau "Crossing Lines".
©Robert Capa © International C

110 Standorte in Wien machen bei dem einmonatigen Festival mit eigens kuratierten oder schon laufenden Fotoschauen mit, vom Jüdischen Museum (die 1937 in die Niederlande emigrierte Fotografin Maria Austria, ab 21. 6.) bis zur Schule Friedl Kubelka. Ausstellungen in der Galerie Gans, der Charim-Galerie oder der Albertina eröffnen im Lauf des Juni. 350 Künstlerinnen und Künstler werden insgesamt gezeigt.

Gespräche zum Start

Dieses Wochenende wird man von einem dichten Diskursprogramm gefordert, das dem diesmaligen Festivalmotto folgt: Neben der Rolle von Fotos als Mittel zu gezielter Desinformation und Manipulation von Weltwahrnehmung spielt Photography lies – Die Lügen der Fotografie auf die Verunsicherungen durch KI-generierte Bilder an. Bis Sonntag stehen zu dem Themenkomplex zahlreiche Gespräche, etwa mit Florian Ebner, dem Leiter der fotografischen Sammlung des Pariser Centre Pompidou, auf dem Programm.

Weniger ums Dokumentarisch-Politische und mehr ums Künstlerische geht es in Talks mit Künstlerin Renate Bertlmann oder Buchdrucker und Verleger Gerhard Steidl. Der Superstar der Zunft, um den sich international Künstler reißen, zeigt im MQ die kleine Schau How to Make a Book with Steidl rund ums Materielle zum Fotobuch. Er hat auch den Katalog zum Festival gedruckt. (Michael Wurmitzer, 1.6.2023)