Wasserstoff als Perspektive beim Lkw benötigt eine aufwendige Infrastruktur zum Verteilen.
BMW

Das Internationale Wiener Motorensymposium, so etwas wie der Kardiologenkongress der Automobilbranche und eine der ganz großen Veranstaltungen weltweit dieser Art, erwuchs heuer zum ersten Mal seit Pandemiebeginn wieder zu seiner vollen Größe.

Die Zahl derer, die dem Elektroantrieb schlechte Chancen für die Zukunft einräumen, wird immer geringer. Nur im Publikum regen sich noch vereinzelt Stimmen, die mit seltsamen Statistiken beweisen wollen, dass die Masse der Menschen ohnehin keine Elektroautos kaufen wolle – und deshalb alle Bemühungen in diese Richtung vergebens wären. Für die Industrie ist längst klar: Die Zukunft ist mit nur ganz wenigen denkbaren Ausnahmen elektrisch, jedenfalls im Bereich der Personenwagen.

Bei Nutzfahrzeugen ist die Sache schon diffiziler. Hohe Lasten und Dauerleistungen, große Reichweiten, damit tut sich der batterieelektrische Antrieb schwer. Doch dafür gibt es einen ganzen Strauß von anderen Lösungsvorschlägen. Die Wortschöpfung Technologieoffenheit wird in alle Richtungen für Einzelinteressen verzerrt, vor allem aber, um für den Einsatz von E-Fuels zu argumentieren.

Plug-in-Hybrid: bereits ein Auslaufmodell.
BMW

Aufholbedarf

In der Stimmung schwingt ganz deutlich mit: Die Europäer, allen voran die deutsche Autoindustrie, haben sich lange Zeit zu sehr auf ihre Kernkompetenz mit Unschlagbarkeitsnimbus verlassen: den Verbrennungsmotor. Jetzt herrscht gigantischer Aufholbedarf, um nicht von asiatischen und US-amerikanischen Herstellern gänzlich abgehängt zu werden. Die Stärke der Chinesen bei den Elektroautos ist Fakt, mit dem amerikanischen Inflation Reduction Act droht weiteres Ungemach für den alten Kontinent.

In den USA werden gerade Unsummen in Forschung und Entwicklung von Zukunftstechnologien gesteckt: IT, Elektronik, Elektrotechnik, Elektrochemie, Verfahrenstechnik. Der Verbrennungsmotor ist nicht mehr dabei. Binnen weniger Monate haben sich US-Unternehmen in Sachen E-Auto vom hinterherhinkenden Technologieniveau der Europäer auf das Niveau der besten Asiaten hinaufgearbeitet, inklusive Batterietechnologie.

Die Koreaner sind am breitesten aufgestellt. Beim Elektroantrieb und bei den Batterien ganz vorne, beim Wasserstoff und Brennstoffzelle ebenso, auch bei allen anderen Ansätzen zur CO2-Minderung sind sie dabei.

Die Automatisierung des Autofahrens ist mit Elektroantrieb am leichtesten zu realisieren.
Audi

Herausforderung und Chance

Kampflos räumen die Europäer trotzdem nicht das Feld. Aber die Aufgabe, weiterhin als hochindustrialisierter Kontinent eine führende Rolle zu spielen, erfordert gewaltige Anstrengungen und Neuorientierung für die bisher so erfolgsverwöhnten europäischen Autobauer. Manche, vor allem die wenigen jüngeren Ingenieure auf dem Motorensymposium, sind darüber gar nicht traurig. Sie sehen ihre große Chance. Die so viel beschworene Technologieoffenheit, um die bestmögliche Technik zur Problemlösung bereitzustellen, macht aber auch Kopfzerbrechen. Große Unternehmen müssen bei praktisch allen Forschungsideen irgendwie mitmachen, um nur ja keinen Zug zu versäumen, der sich am Ende als großer Erfolg herausstellen könnte. Dabei wird auch unheimlich viel Forschungskapazität samt Fördergeldern in Sackgassen manövriert. Sieht fast wie Technologielotto aus.

Im Grunde stehen aber alle vor der gleichen Kernaufgabe: kein fossiles CO2 mehr auszustoßen, sowohl im Betrieb als auch bei der Herstellung ihrer Produkte. Dabei schimmern aber immer auch firmenspezifische Interessenslagen durch. Zuerst möchte jeder das weitermachen, was er am besten kann. Die Grazer AVL zum Beispiel, einer der größten Fahrzeug-Entwicklungsdienstleister weltweit, ist in der Lage, sich über weite Aufgabenbereiche zu strecken. So befindet sich gerade eine Pilotanlage zur Herstellung von E-Fuels in Entwicklung. Entwicklungsaufgaben in Zusammenhang mit Wasserstoff und Brennstoffzelle gehören inzwischen zur Kernkompetenz des Unternehmens. Besonders bei den Nutzfahrzeugen sieht man für die Zukunft eine Vielzahl an Antriebslösungen je nach Einsatzzweck.

E-Fuels sollen das Leben des Verbrennungsmotors verlängern.
Porsche

Zauberwort Skalierung

Klare Konsequenz aus dem Versäumnis in Sachen Batteriezellenentwicklung und -produktion in Europa: VW will sich ganz breit aufstellen, hat eine eigene Aktiengesellschaft namens PowerCo SE gegründet und will nach Salzgitter und Valencia noch weitere Batterie-Zellfabriken bauen – und nicht nur Speicher für Autos, sondern auch für die Energiewirtschaft herstellen. Skalierung lautet das Zauberwort, um günstige Preise darzustellen, deshalb bietet man auch der Konkurrenz Komponenten an, von einzelnen Teilen bis zu ganzen Baukästen (siehe Ford).

Die wesentlichen Entscheidungen über Zukunftstechnologien sind vom Einsatzbereich des Antriebs und von der Abgasgesetzgebung getrieben. Beim abgasfreien Batterieantrieb lassen sich durch unterschiedliche Reaktionsmaterialien sehr unterschiedliche Eigenschaften erreichen, sodass unter bestimmten Bedingungen sogar der Einsatz bei Schwerlastwagen möglich ist. Natürlich drängen sich in der Diskussion immer wieder Wasserstoff und E-Fuels erfolgreich dazwischen. Wobei sich die Versorgungsinfrastruktur für E-Fuels sehr einfach darstellt (wie Diesel) und bei Wasserstoff sehr schwierig (tiefgekühlt oder Hochdruck, beides in Extremen (minus 253 Grad oder 350 bis 700 bar).

Wasserstoff im Spannungsfeld

Beim Wasserstoff bieten sich außerdem zwei Richtungen an: der Verbrennungsmotor und die Brennstoffzelle. Auf bestimmte Einsatzzwecke optimiert, konnte man beide Funktionsprinzipien im Wirkungsgrad verbessern. Die Brennstoffzelle ist bei mittlerer Last am besten, der Verbrenner bei Volllast. Der Verbrenner hat ein Abgasproblem, nämlich Stickoxide, die Brennstoffzelle ein Problem mit der Wärmeabfuhr. Während die Brennstoffzelle hochreinen Wasserstoff benötigt, schluckt der Wasserstoff-Verbrennungsmotor auch problemlos Verunreinigungen. In diesem Spannungsfeld verläuft das Match gegen den Batterieantrieb.

Der Circulus virtuosus lautet: Je größer die Stückzahl, umso günstiger der Preis, umso leichter lassen sich auch neue Technologien ausrollen. Aber die Masse macht wiederum den Umweltschaden. Und damit kommen wir schnell noch zum Recycling: Der Rohstoffbedarf ist in Zusammenhang mit Batterieelektrizität besonders hoch. Das bedeutet eine gewaltige Ausweitung der Bergbauaktivitäten. Und es gibt sogar Datenmaterial, dass nach einem Peak durch konsequente Wiederverwertung sogar Bergwerke wieder geschlossen werden können. Der größte Ansporn in dieser Richtung: Europa hat weder die Voraussetzungen, massenhaft Rohstoffe zu fördern, noch den Willen, sich komplett den Lieferanten auszuliefern. Bleibt also gar nichts anderes übrig, als Rohstoffe, die einmal im Land sind, nie mehr wieder herzugeben. (Rudolf Skarics, 1.6.2023)