Schon wieder ein Video, das in der Innenpolitik für Furore sorgt: Vor drei Jahren schwadronierte Babler freimütig über das Wesen der EU.
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"Völlig überzogen und falsch": So nennt Nikolaus Kowall die berüchtigten Aussagen Andreas Bablers zur EU. Der Bezirksrat aus Wien-Alsergrund ist zwar nicht der Erste, der das tut, aber ein besonders bemerkenswerter Kritiker. Schließlich zählt der als "Parteirebell" bekannte Funktionär zu den engagiertesten Mitstreitern Bablers im Machtkampf in der SPÖ. Und er ist einer jener 609 Delegierten, die beim Parteitag am 3. Juni per Abstimmung die Entscheidung treffen.

Dass Babler im Endspurt in Argumentationsnotstand geraten ist, liegt an ein paar Sekunden Videomaterial aus dem Jahr 2020. Als "das aggressivste außenpolitische militärische Bündnis, das es je gegeben hat", bezeichnete er die EU in einem Podcast und sprach von "Beistandsverpflichtungen", die – soweit aus seinem unvollständigen Satz herauszuhören – an wirtschaftliche Interessen der Mitgliedsstaaten außerhalb der EU gebunden seien.

Gibt es derartige Vereinbarungen wirklich? Ralph Janik verneint. Er würde zwar nicht davon ausgehen, dass die EU bei ihren Auslandseinsätzen immer nur friedenspolitische Ziele und nie wirtschaftliche Interessen im Auge habe, sagt der Rechtsexperte von der Uni Wien. Doch die einzige Beistandsverpflichtung sei jene aus Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags, die ausschließlich bei einem bewaffneten Angriff auf einen Mitgliedsstaat gilt. Nur ein einziges Mal habe der Passus bisher Anwendung gefunden, erläutert Janik, und zwar beim Terroranschlag von 2015 in Paris.

Antiquiertes EU-Verständnis

Abgesehen von rechtlichen Fragen reiche ein Blick auf die realen Verhältnisse, ergänzt Kowall: "Die EU hat nicht nur kein Militär, sie ist das am wenigsten aggressive Staatenbündnis." Das "antiquierte" EU-Verständnis vieler Linker beschränke sich nicht auf das Thema Militär. Auch die in der letzten Finanzkrise noch höchst berechtigte Kritik am Neoliberalismus, wie sie Babler ebenso äußerte, sei überholt, sagt Kowall: "Die EU bewegt sich heute in die Gegenrichtung – von der Mindestlohnrichtlinie bis zu Mindeststeuersätzen für Unternehmen."

Geht es um die klassische linke Kritik am angeblich imperialistischen Westen, dann habe der Überfall Russlands auf die Ukraine allerdings vielen die Augen geöffnet, fügt er an: "Deshalb gestehe ich Babler einen Lernprozess seit damals zu. Er hat ja festgehalten, dass er das heute anders sieht."

Ob nun seine Stimme für Babler wackle? Keinesfalls, sagt Kowall: "Wenn ich mit ihm in einem von zehn Punkten nicht übereinstimme, bringt mich das noch lange nicht von meiner Entscheidung ab."

Ebenso wenig umschwenken will Florian Saurwein, ein weiterer Delegierte mit Babler-Präferenz. Bei aller legitimen Kritik an der EU würde er den Satz über das angeblich so aggressive Militärbündnis "definitiv nicht so sagen", schickt der Geschäftsführer der SPÖ im Wiener Bezirk Ottakring vor: "Ich teile diese Ansicht in keinster Weise und glaube, dass Babler seine Aussage in dieser Form bereut." Eine grundsätzliche Abneigung gegen die EU höre er aus Bablers Worten jedoch nicht heraus, und letztlich stelle sich eine Frage: "Gibt es den perfekten Parteivorsitzenden? Nein."

Böse Vorahnung

Allerdings schwant Saurwein, dass nicht alle potenziellen Wählerinnen und Wähler am Parteitag so verständnisvoll sind. "Die Causa wird Babler schon schaden", glaubt der Funktionär und rechnet mit einer Mehrheit für den Rivalen Hans Peter Doskozil: "Ich befürchte, dass sich viele vom wahltaktischen Argument einfangen lassen, wonach die SPÖ unter Doskozil mehr Stimmen der Mitte abholen könnte."

Entscheiden werde beim Showdown am Samstag, durch welche Brille die Delegierten die Kandidaten beurteilen, prophezeit ein anderer Babler-Wähler, der ungenannt bleiben will: "Suchen sie jemanden, der die SPÖ einigen kann, schafft Babler die Mehrheit. Geht es um den Spitzenkandidaten für die nächste Wahl, gewinnt Doskozil."

Natascha Strobl sieht die Hoffnung bereits schwinden. "Sie haben sich erfolgreich bemüht", sagt die Pro-Babler-Kämpferin und meint damit die Aktivitäten des gegnerischen Lagers: Eine "Masterclass in Dirty Campaigning" sei da veranstaltet worden, findet die Autorin.

Dumm, aber verständlich

Wieso das? Selbst wenn das Video mit Bablers Auftritt von Doskozil-Befürwortern an die Öffentlichkeit gespielt worden sein sollte: Niemand hat Aussagen verfälscht oder erfunden. Und thematisieren nicht auch Babler-Anhänger bestimmte Aussagen Doskozils, um diesen in ein schlechtes Licht zu rücken?

Da seien einzelne Zitate aus dem Kontext gerissen worden, hält Strobl entgegen. Niemand sehe sich die zwei Stunden Aufnahme davor an, in denen sich das Gespräch etwa um den schändlichen Umgang mit Flüchtlingen in der EU gedreht habe. Bablers inkriminierter Satz sei zwar "dumm, weil die EU kein Militärbündnis ist", sagt sie, aber im Zusammenhang "verständlich". (Gerald John, 1.6.2023)