Erdoğan
Erdoğan wurde Ende Mai erneut zum türkischen Präsidenten gewählt.
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Wien/Ankara – Das Team des Complexity Science Hub (CSH) Wien hat Anzeichen für Manipulation beim ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl in der Türkei am 14. Mai gefunden. In 2,4 Prozent der Wahlkreise traten demnach statistisch äußerst unwahrscheinliche positive Ergebnisse für den Amtsinhaber auf, schreiben die Forscher in einem neuen "Policy Brief".

Die Wiener Wissenschafter beschäftigen sich seit Jahren mit Methoden zum statistischen Nachweis von unlauterem Druck auf Wähler ("Voter Rigging") und illegalem Mehrfachwählen ("Ballot Stuffing"). Bei ersterem werden Wahlberechtigte etwa durch Androhung körperlicher Gewalt oder durch Drohung mit Arbeitsplatzverlust zu einer bestimmten Stimmentscheidung genötigt.

Hinweise auf Wählermanipulation

Zum Nachweis dieser Art der Wählermanipulation haben Komplexitätsforscher um Peter Klimek vom CSH und der Medizinischen Universität Wien einen Schnelltest entwickelt. Im Kern suchen die Forscher mit ihren forensischen statistischen Tests nach extrem unwahrscheinlichen und deutlich aus dem Gesamtbild fallenden Einzelergebnissen in Wahlkreisen.

Bereits 2017 und 2018 wiesen Wiener Komplexitätsforscher Wahlbetrug zugunsten des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan nach. Derartige Ergebnisse waren der neuen Analyse zufolge gegenüber der türkischen Präsidentenwahl im Jahr 2018 allerdings deutlich seltener. Damals fanden sich Hinweise auf Irregularitäten in 8,5 Prozent der Wahlkreise. Nun erschienen 2,4 Prozent höchst verdächtig, dass es dort zu "Ballot Stuffing" gekommen ist, schreiben die Wissenschafter.

Zudem fanden sie "kleine, aber statistisch signifikante Hinweise" auf Wählermanipulation. Vor allem in Gebieten mit wenigen und kleineren Wahllokalen gab es zum Teil deutlich erhöhte Wahlbeteiligungszahlen und ebenso hohe Stimmenanteile pro Erdoğan, was zum Beispiel auf Einschüchterungsstrategien hinweist.

Erdoğan lädt Nehammer ein

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat nach teils nationalistischen Erdoğan-Siegesfeiern in Wien in einem Telefonat mit dem wiedergewählten türkischen Präsidenten "Respekt gegenüber dem Gastland" eingemahnt. "Das ist eine Frage des Anstandes und der Wertschätzung wechselseitig, und das habe ich auch gegenüber den Türken, die in Österreich leben, eingefordert", sagte Nehammer nach dem Moldau-Gipfel der APA.

Erdoğan habe ihn bei dem Gespräch zu einem möglichst baldigen Besuch in die Türkei eingeladen, sagte Nehammer. Das Telefonat fand am Rande des Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Moldau statt. Der Anruf habe auch Gelegenheit geboten, "darauf hinzuweisen, dass wenn türkische Staatsbürger in Österreich auf den Straßen feiern, der Respekt gegenüber dem Gastgeberland nicht verloren gehen darf". In dem Telefonat habe er sowohl sich selbst als auch Erdoğan als "Patrioten" bezeichnet, aber dies von Nationalismus und Hass gegenüber anderen abgegrenzt, sagte Nehammer. (APA, 2.6.2023)