Dominik Straub aus Rom

Das Wenige, das über den den tödlichen Unfall bei Sesto Calende am südlichen Ende des Lago Maggiore bisher offiziell bekanntgegeben wurde, stammt vom örtlichen Staatsanwalt in Busto Arsizio – dieser hat ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung gegen den Kapitän und Besitzer des Schiffs eröffnet. Das für 15 Personen zugelassene Hausboot, auf dem sich allerdings 23 Menschen befanden, ist laut den bisherigen Ermittlungsergebnissen am Abend des Pfingstsonntags in einen Gewittersturm geraten, gekentert und innerhalb kürzester Zeit gesunken. 19 der Passagiere konnten sich schwimmend an Land retten, vier von ihnen waren mutmaßlich in einer Kabine blockiert – und ertranken.

Ein Hubschrauber der italienischen Feuerwehr sucht am Pfingstsonntag nach Vermissten im Zusammenhang mit einem Bootsunfall auf dem Lago Maggiore, rund 59 Kilometer nordwestlich von Mailand.
AP / Vigili Del Fuoco

Was zunächst wie ein herkömmlicher, wenn auch tragischer Unfall aussah, entwickelte sich in der Folge zu einer immer mysteriöseren Spy-Story, die die italienischen Medien massiv beschäftigt. Denn bei den Passagieren soll es sich fast ausnahmslos um Geheimagenten gehandelt haben: 14 sollen Mitglieder des israelischen Mossad sein, die anderen sind den Berichten zufolge für den italienischen Auslandsgeheimdienst tätig.

Die Identität der Überlebenden ist unbekannt, von den Behörden wurden nur die Namen – oder Decknamen – der Toten bekanntgegeben. Unter den Opfern befindet sich auch die 50-jährige Frau des 60-jährigen Bootsführers, eine Russin, sowie der israelische Staatsbürger Erez Shimoni, ein – wie es hieß – pensionierter Mossad-Agent. Bei den anderen Todesopfern handelt es sich um Italiener.

Mossad- und italienische Agenten?

Die Überlebenden hatten es nach dem Unfall offenbar eilig, sich aus dem Staub zu machen. Sie haben, kaum an Land geschwommen, sofort aus ihren Hotels ausgecheckt und ihre Mietwagen zurückgegeben. Alle 13 überlebenden israelischen Mossad-Agenten wurden laut einem Bericht der römischen Zeitung "La Repubblica" schon am nächsten Morgen mit einem Sonderflugzeug von Mailand nach Israel ausgeflogen.

Nach Angaben des Mailänder "Corriere della Sera" habe es außerdem eine regelrechte "Exfiltrationsoperation" gegeben, also eine Aktion zur Verwischung allfälliger Spuren. Offizielle Stellungnahmen oder Bestätigungen gibt es dafür freilich nicht. Immerhin: Die israelische Zeitung "Haaretz" berichtete, dass der ertrunkene ehemalige Mossad-Agent Shimoni in Israel im Beisein des Mossad-Direktors David Barnea bereits bestattet worden sei.

Die große Frage, welche die italienischen Medien seit Tagen umtreibt, lautet: Was in aller Welt machen 21 italienische und israelische "007"-Agenten auf einem Hausboot auf dem Lago Maggiore? Offiziell sei das Schiff für eine Geburtstagsfeier gechartert worden, schreibt der "Corriere della Sera". Das sei freilich nicht sehr plausibel. Diente die Zusammenkunft auf dem Boot vielleicht einem Debriefing nach einer gelungenen Kommandoaktion? Oder sollten geheime Dokumente ausgetauscht oder eine neue Operation besprochen werden? Die Behörden schweigen eisern – der "Corriere della Sera" berichtete am Freitag von einer "Mauer des Schweigens", die die Behörden rund um den Unfall und die Beteiligten aufgezogen hätten.

Viele Spekulationen, wenige Fakten

In Ermangelung belastbarer Fakten lässt vor allem der sonst eigentlich seriöse "Corriere della Sera" seiner Fantasie freien Lauf. Das Blatt spekulierte schon am Donnerstag über "russische Oligarchen", die an den Gestaden des Lago Maggiore derzeit im großen Stil Villen aufkauften und dabei mit Unterstützung der Schweizer Banken im nahegelegenen Lugano ihre schmutzigen Millionen wüschen. Auch "orthodoxe Juden", die am See enge Kontakte mit einflussreichen US-Politikern pflegten, könnten das Interesse der "007"-Agenten geweckt haben. Der Bootsführer, gegen den ermittelt wird, sei ein alter Bekannter der Agenten und eine Schlüsselfigur, der schon öfter geheime Treffen organisiert habe: "Ein Mann, der es gewohnt ist, keine Spuren zu hinterlassen und der jedes Problem zu lösen vermag", schrieb der "Corriere della Sera" am Freitag.

Zu all diesen Spekulationen gibt es, wie erwähnt, weder offizielle Bestätigungen noch Dementis. Etwas Licht ins Dunkel könnte die vom Staatsanwalt angeordnete Bergung des Boots bringen, das erst noch an Land gebracht werden muss. "Werden die Ermittler an Bord Hinweise von allerhöchstem Interesse entdecken?", fragt der "Corriere della Sera". (Dominik Straub, 2.6.2023)