Die Schriftstellerin Milena Michiko Flašar liebt alles Japanische und bringt das auch in ihren Büchern zum Ausdruck. In ihrem jüngsten Roman geht es um "Kodokushi", den einsamen Tod in Wohnungen.

"Die kleine japanische Nische im Wohnzimmer entstand zur Corona-Zeit, als wir nicht nach Japan reisen konnten. Das Fernweh war groß, also haben wir Japan kurzerhand zu uns geholt. Die Tatami-Matten haben wir in Wien gekauft, die restlichen Möbel, darunter das Teeschränkchen, stammen von einem Tischler am Chiemsee, der japanische Antiquitäten vertreibt.

Milena Michiko Flašar in ihrem japanischen "Zimmer im Zimmer" in Wien-Währing.
Lisi Specht

Das Wohnzimmer unserer Altbauwohnung im 18. Bezirk hat sich dadurch komplett verändert. Davor stand an der Stelle ein Sofa, aber wir haben keinen Fernseher, das klassische Sofa-Setting war also unnötig. In diesem ‚Zimmer im Zimmer‘ findet jetzt unser Familienleben statt, hier macht unser zehnjähriger Sohn seine Hausübungen, und wenn im Winter der Kachelofen an ist, dann hat der Raum, auch weil er an der Längsseite kein Fenster hat, etwas angenehm Höhlenartiges.

Schon in meiner Kindheit war ich regelmäßig in Japan, die Großeltern besuchen. So wie es bei ihnen in Kajimachi ausgesehen hat, habe ich mich auch hier einzurichten versucht. Der eine oder andere Gegenstand stammt sogar noch von ihnen. Die Krähen auf dem Bild hinter mir fand ich als Kind zugegebenermaßen etwas bedrohlich, als Erwachsene sehe ich nun aber die Schönheit, die in der Schlichtheit steckt: schwarze Vögel auf weißem Hintergrund. Mittlerweile haben wir eine kleine Holzschnittsammlung angelegt. Unser liebstes Stück ist der Samurai von Kuniyoshi. Er war der Beginn der Sammlung.

Die Böden stammen teilweise noch aus der Zeit der Jahrhundertwende, manche wurden aber neu gemacht. In der Küche wurden marokkanische Fliesen verlegt.
Lisi Specht

Von Japan handeln auch meine Bücher. In Oben Erde, unten Himmel geht es um ‚Kodokushi‘. Das Wort bezeichnet den einsamen Tod von Menschen, die in ihren Wohnungen sterben und deren Leichen dann lange Zeit unentdeckt bleiben. Im Deutschen spricht man von ‚Fundleichen‘, aber das ist nur ein unzureichendes Wort. ‚Kodokushi‘ beschreibt auch das Leben, das davor stattgefunden hat. Es ist ein warmes Wort, es erzählt eine Geschichte. Jedenfalls habe ich es so empfunden, als ich darauf gestoßen bin. Mit dem Wort hatte ich sofort eine Reihe von Geschichten im Kopf.

Ich schreibe großteils nicht hier in der Wohnung, auch wenn es ein klitzekleines ehemaliges Dienstbotenzimmer gibt, das ich ursprünglich dafür im Auge hatte. Ein lieber Freund hat gleich ums Eck ein Atelier, das braucht er am Vormittag nicht, da darf ich rein. Dort herrscht kreatives Chaos, was mir beim Schreiben entgegenkommt. Außerdem tut die Trennung gut. Ich gehe um neun ins Atelier wie ein anderer ins Büro.

Ansonsten gibt es auch außerhalb der Japan-Nische viele Bezüge zu Nippon.
Lisi Specht

Die sanierungsbedürftige Wohnung haben wir 2017 gekauft. Der Preis kam uns damals hoch vor, war aus heutiger Sicht aber günstig. Die Böden haben wir teilweise neu verlegt, manche sind noch original aus der Zeit um die Jahrhundertwende, und die haben auch eine gewisse Schräge, das finde ich charmant. Für Küche, Bad und WC haben wir marokkanische Fliesen ausgewählt, die strahlen etwas von Süden aus. Den Balkon bekamen wir im Nachhinein bewilligt. Ich habe mal gelesen, jeder Mensch sollte von seinem Fenster aus mindestens drei Bäume sehen dürfen, hier sind es immerhin fünf. Im Sommer hat man das Gefühl, man sitzt im Baum. Im Winter, wenn die Blätter zu Boden gefallen sind, sieht man bis zur Kirche am Kutschkermarkt.

Unser Wohntraum? Na ja, wir haben die Erfahrung gemacht, dass es immer ein Zimmer mehr sein könnte. Immer träumt man von etwas Größerem – aber eigentlich passt es so, wie man’s gerade hat, am besten. Wir sind sehr glücklich hier.

Biedermeier auf Japanisch.
Lisi Specht

Wenn wir reich wären? Dann würden wir uns vielleicht den Traum von einem japanischen Haus erfüllen, eins mit viel Glas, Treppenkästen und Schiebetüren, die sich weit aufmachen lassen. Allerdings stünde das Haus hier in Österreich, irgendwo an einem bewaldeten Hügel. Das eine mit dem anderen verbinden – Altes mit Neuem, Japanisches mit Österreichischem –, das gefällt mir. Wohnen hat für mich viel mit der Harmonie zu tun, die im Verbinden liegt." (PROTOKOLL: Martin Putschögl, 5.6.2023)