Sammlung Essl, Maria Lassnig
2018/2019 wechselten 150 Werke aus der Sammlung Essl zu Würth: darunter diese beiden nun im Leopold Museum gezeigten Gemälde "Tischgesellschaft II" (li.) und "Fahrzeug" (re.) von Maria Lassnig.
Leopold-Museum / Lisa Rastl, 2023

Allein an der Menge der seit den 1960er-Jahren erworbenen Kunstwerke bemessen, ist Reinhold Würth wohl einer der bei Galeristen, Kunsthändlern, Auktionshäusern und auch Künstlern besonders beliebten Klienten. Denn die Sammlung des deutschen Schraubenfabrikanten gehört mit etwa 19.000 Exponaten zu einer der umfangreichsten in europäischem Firmen- und damit Privatbesitz überhaupt.

Zu sehen sind die Kunstwerke sonst in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall sowie an den in Europa verteilten Unternehmensstandorten, wo er im Laufe der Jahre teils auch Museen gründete oder Ausstellungsräumlichkeiten schuf.

Ein Auszug seiner Kollektion gastiert seit April im Leopold-Museum, wo der Fokus auf Privatsammlungen in der Ära des seit Juni 2015 amtierenden Direktors Hans-Peter Wipplinger forciert wird: als Referenz an den passionierten Sammler Prof. Rudolf Leopold, wie es bei solchen Gelegenheiten heißt.

Neuer Fokus: Privatsammlungen

Die bislang prominenteste solcher Ausstellungen fand 2018 mit Wow! – The Heidi Horten Collection statt. Im Jahr darauf gab es Deutschen Expressionismus aus der Schweizer Sammlung Braglia und der deutschen Sammlung Johenning zu sehen. 2021 folgte die Sammlung Schedlmayer, quasi als Vorhut für die ein paar Monate später anberaumte Verwertung über das Dorotheum.

Das Auktionshaus fungiert zwischendurch immer wieder als Projektpartner des Museums. So auch für die Schau Amazing – The Würth Collection (bis 10. 9.), zu der bisher knapp 60.000 Besucherinnen und Besucher kamen. Rund 200 "Meisterwerke" wählte Wipplinger aus dem Würth’schen Fundus: eine "Selektion", die "chronologisch strukturiert" vom Impressionismus bis in die Gegenwart führt.

Damit blieb ein Segment unberücksichtigt, in dem der 1935 im baden-württembergischen Öhringen Geborene für spektakuläre Deals bekannt wurde: 2003 brachte er für ein Paket Alter Meister aus der Fürstlich Fürstenbergischen Sammlung knapp 50 Millionen Euro auf. Den gleichen Betrag soll er 2011 dem Adelshaus Hessen für die sogenannte Holbein-Madonna hingeblättert haben. Ein Ankauf, der auch von Kritik begleitet wurde.

Reinhold Würth
Der erfolgreiche Unternehmer Reinhold Würth (88 J) gilt mit einem geschätzten Vermögen von 19 Milliarden Dollar als einer der reichsten Menschen der Welt. Kunst sammelt er seit den 1960er-Jahren.
imago images/IPON

Alte Meister öffentlich zugänglich

Das bedeutende deutsche Tafelbild der Frührenaissance befand sich zu diesem Zeitpunkt noch als Leihgabe im Frankfurter Städel-Museum, das laut damaligen Medienberichten nur 40 Millionen Euro hätte aufbringen können. Den Verkäufern war das zu wenig. Der Kunstvermittler Christoph Graf Douglas versuchte daraufhin nach britischem Vorbild eine Public-private-Partnership zu initiieren, indem er den schwäbischen Großindustriellen und Kunstsammler ins Boot holte. Noch ehe aber die vertraglichen Bedingungen des gemeinsamen Erwerbs ausgehandelt waren, hatte Würth das Bild allein erworben.

Anders als die jüngere Kunst befindet sich der Großteil der Werke Alter Meister in der Privatsammlung des 88-Jährigen. Sie sind – bei freiem Eintritt – öffentlich zugänglich: in der Johanniterhalle, einem zum Museum umfunktionierten Kirchengebäude aus dem 12. Jahrhundert, nur einen Steinwurf von der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall entfernt.

Der Deal mit Karlheinz Essl

Reinhold Würth gilt als einer der reichsten Menschen der Welt. Forbes schätzt sein Vermögen auf 19 Milliarden Dollar (2022: Rang 84). Als Karlheinz Essl in massive wirtschaftliche Turbulenzen geriet und die Republik einen Ankauf seiner Sammlung ablehnte, kursierte hinter den Kulissen auch der Name des deutschen Kunstsammlers als potenzieller Retter. Es kam anders, zumindest vorerst.

Hans Peter Haselsteiner gewährte Essl einen Überbrückungskredit in der Höhe von 117 Millionen Euro und sicherte sich so einen 60-Prozent-Anteil an der Sammlung Essl bzw. der SE-Sammlung Essl GmbH. Zur Refinanzierung des Deals mussten Kunstwerke verkauft werden, teils über das Auktionshaus Christie’s, teils hinter den Kulissen.

Im April 2017 beliefen sich Essls Schulden an der Refinanzierungsfront noch auf etwa 40 Millionen Euro. In dieser Größenordnung soll auch der Ankauf von 150 Werken durch Reinhold Würth gelegen sein, der im Dezember 2017 bekannt wurde: In zwei Tranchen wechselten 2018 und 2019 etwa Kunst von Karel Appel, Georg Baselitz, Tony Cragg, Anselm Kiefer oder auch von Maria Lassnig und Arnulf Rainer den Besitzer.

Welche Werke das betraf, blieb ebenso ein Geheimnis wie die Höhe der Kaufsumme. Sechs dieser ehemaligen Essl-Schützlinge geben jetzt ein Gastspiel im Leopold-Museum: drei von Per Kirkeby, ein Gemälde von Georg Baselitz sowie Maria Lassnigs Fahrzeug (1993) und Tischgesellschaft II (1986). Ihre Gemeinsamkeit? Sie repräsentieren einen Deal, bei dem die beiden Sammler ein Schlupfloch in den Folgerechtsbestimmungen zu nutzen wussten.

Karlheinz Essl
Die einstige Sammlung von Karlheinz Essl (84 J) wurde ab 2014 filettiert: ein Teil wurde verkauft, darunter auch an Reinhold Würth, ein anderer gelangte als Schenkung an die Albertina. 60 Prozent behielt Hans-Peter Haselsteiner.
APA/ROLAND SCHLAGER

Lücken beim Folgerecht

Die EU-weit gültige Regelung sieht bekanntlich eine Gebühr vor, die bei jedem Weiterverkauf eines Kunstwerkes an dessen Urheber oder dessen Erben abzuführen ist. Ein gewisser Prozentsatz, der sich am Nettoverkaufspreis orientiert. Ausgenommen davon sind nur Erstverkäufe (z. B.: Atelier, Galerie) und Privatverkäufe.

STANDARD-Recherchen zufolge bezahlten weder Reinhold Würth noch die SE-Sammlung Essl GmbH auch nur einen Cent an Folgerecht, das sich bei diesem Deal wohl auf weit mehr als 500.000 Euro summiert haben dürfte. Auf Anfrage beruft man sich darauf, dass "an der Veräußerung kein Vertreter des Kunstmarktes beteiligt" gewesen sei, wie Sylvia Weber, Geschäftsbereichsleiterin Kunst und Kultur in der Würth-Gruppe, erläutert.

Rechtsanwalt Alfred Noll sieht das völlig anders. Der Deal sei jedenfalls folgerechtspflichtig. Denn wer marktrelevante Ankäufe und Verkäufe tätigt, gelte als ein "Vertreter des Kunstmarktes", womit die gesetzliche Voraussetzung erfüllt sei. Hinzu kommt, dass im Gesetz von "Veräußerung" die Rede ist. Die Übertragung des Eigentumsrechts ist bekanntlich nicht an einen Verkauf gebunden, sondern kann auch über eine Schenkung erfolgen, womit auch Essls Gabe an die Albertina im Wert von 84,5 Millionen Euro dem Folgerecht unterliegen würde. Theoretisch, denn praktisch müsste das wohl ausjudiziert werden. (Olga Kronsteiner, 3.6.2023)