Till Lindemann
Mehrere Frauen erheben neue Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann. Sie sollen auf After-Show-Partys gezielt für Sex mit ihm rekrutiert worden sein.
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Das Klischee von Sex, Drogen und Rock 'n' Roll als hedonistischem Olymp hatte immer schon eine Schattenseite. Da gab es unzählige Drogentote und der Sex war nicht immer einvernehmlich, das Alter dieser Groupies genannten Fans nicht immer im vom Gesetz festgeschriebenen Rahmen.

Aktuell sieht sich der Sänger der deutschen Band Rammstein, Till Lindemann, mit Vorwürfen konfrontiert, er habe das Machtgefälle zwischen Star und Fan zu seinen Gunsten ausgenutzt. Mehr noch: Nachgerade ein Anbahnungssystem für weibliche Fans soll in Betrieb sein, um Lindemann im Rahmen von Konzerten potenziell interessierte Frauen zuzuführen – ausgewählt nach gewissen Kriterien wie Alter und Aussehen.

Eine Reihe von Frauen erheben nun laut Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und der Süddeutschen Zeitung (SZ) neue Vorwürfe gegen Lindemann. Sie beschreiben, wie im Umfeld der Band junge Frauen offenbar gezielt für Sex mit dem Sänger rekrutiert werden. Zwei Frauen berichten von mutmaßlichen sexuellen Handlungen mit Lindemann, die nicht einvernehmlich gewesen sein sollen.

Den Stein ins Rollen brachte die Irin Shelby L.. Auf Twitter erhob sie vor wenigen Tagen erste Anschuldigungen gegen Lindemann. Sie habe ein Rammstein-Konzert in Vilnius besucht und sei davor bei einer Pre-Party in Anwesenheit Lindemanns gewesen.

L. vermutet, ihr seien dort Drogen in die Getränke gemischt worden. Bei einem Treffen mit Lindemann in einer Konzertpause sei dieser wütend geworden, weil sie keinen Sex mit ihm haben wollte. Tags darauf sei sie mit Erinnerungslücken und Blessuren aufgewacht.

Party gegen Sex

Ebenfalls auf Twitter reagierte Rammstein: "Zu den im Netz kursierenden Vorwürfen zu Vilnius können wir ausschließen, dass sich, was behauptet wird, in unserem Umfeld zugetragen hat. Uns sind keine behördlichen Ermittlungen dazu bekannt."

Die Recherchen von NDR und SZ stützen sich nun auf eine Reihe ähnlicher Aussagen, die Hinweise auf ein System ergeben. Mehrere Frauen berichten davon, wie sie aus dem Umfeld von Lindemann gezielt angesprochen und ausgewählt worden seien. Manchmal in den sozialen Netzwerken, manchmal auf den Konzerten selbst, um zu speziell für den Sänger organisierten Aftershowpartys zu kommen.

Immer ging es dabei um junge, hübsche Frauen. Im Zusammenhang mit dieser Anbahnungstätigkeit taucht wiederholt der Name Alena M. auf, die die Frauen rekrutiert und eigene Whatsapp-Gruppen dafür eingerichtet haben soll.

Eine von ihnen berichtet, dass ihr klargemacht worden sei, dass ihr der Zugang zum Konzert und der Party danach nur bei Interesse an Geschlechtsverkehr mit Lindemann gestattet sei. Begehrlichkeiten von anderen Mitgliedern der Band tauchen in den Recherchen nicht auf. Teilweise seien Dresscodes vereinbart worden – Cocktailkleid sei okay, Rammstein-T-Shirts tabu. Auf den Partys soll es gratis Alkohol und illegale Drogen gegeben haben.

Eine damals 21-jährige Frau berichtet, nach einer Aftershowparty Lindemanns besinnungslos auf einem Hotelbett gelegen zu sein. Ihren Erinnerungen nach habe Lindemann auf ihr gelegen, als sie wieder zu Bewusstsein gekommen sei. Er soll sie gefragt haben, ob er aufhören solle. "Und ich wusste nicht einmal, womit er aufhören will." Lindemann sei dann gegangen. Mitglieder seines Teams hätten ihr später Drogen angeboten.

Nicht zuständig

Nachdem Shelby L. ihre Vorwürfe bekanntgemacht hatte, meldeten sich mehrere Frauen, denen Ähnliches widerfahren sein soll. Zugleich soll laut den Recherchen seitens der Band Stimmung gegen diese in den sozialen Netzwerken gemacht worden sein. Doch manche Zeuginnen haben dazu eidesstattliche Erklärungen abgelegt, zahlreiche Screenshots von Whatsapp-Korrespondenzen, Chats und Fotos stützen ihre Aussagen.

Weder die Band noch ihr Management reagierten auf Anfragen von NDR und SZ, jene Personen, die die Kontakte mit den Frauen hergestellt haben sollen, reagierten ebenfalls nicht. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Gang und gäbe seien solche Partys nicht, sagen einige heimische Booker und Veranstalter, die namentlich nicht geannt werden wollen. Für sexuelle Begehrlichkeiten vonseiten irgendwelcher Bands fühle sich auf Veranstalterseite auch niemand zuständig. V0n mehreren vom Standard kontaktierten großen heimischen Bands gibt es dazu ebenfalls keine Kommentare.

Gernot Kremser ist Veranstalter im Linzer Posthof. Er erinnert sich an einen einzigen Zwischenfall in zwölf Jahren, bei dem ein Musiker aggressiv geworden sei. Der Grund sei Betrunkenheit und die Aggression eher gegen ihn selbst gerichtet gewesen.

Zwei Wien-Auftritte

"Es hat da eine starke Professionalisierung eingesetzt. Acts, die wochenlang jeden Abend eine Show abliefern müssen, egal ob große Namen oder kleine, die können sich Ausschweifungen gar nicht erlauben. Viel öfter sieht man Musiker und Musikerinnen beim Pilates und bei Dehnungsübungen, gesundes Essen ist ebenfalls wichtig. Und als Hort für ausbeuterische Systeme stünden wir auch gar nicht zur Verfügung."

Rammstein treten auf ihrer laufenden Tour im Juli zwei Mal in Wien auf, laut der deutschen Veranstaltungsagentur MCT finden alle geplanten Konzerte weiterhin statt. Indes hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch, wo Lindemann 2013 das Buch "In stillen Nächten" sowie 2020 den Gedichtband "100 Gedichte" veröffentlicht hat, die Zusammenarbeit mit dem Musiker "mit sofortiger Wirkung" beendet, "da unser Vertrauensverhältnis zum Autor unheilbar zerrüttet ist", wie er in einer Aussendung am Freitagnachmittag mitteilte.

"Im Zuge der aktuellen Berichterstattung haben wir Kenntnis erlangt von einem Pornovideo, in dem Till Lindemann sexuelle Gewalt gegen Frauen zelebriert und in dem das 2013 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienene Buch 'In stillen Nächten' eine Rolle spielt", heißt es in der Begründung des Verlags. In dem seit drei Jahren im Netz kursierenden Video zum Lindemann-Song "Till The End" ist der Sänger in zahlreichen pornografischen Szenen mit jungen Frauen zu sehen. In einigen Sequenzen wird ein Gedichtband dabei verwendet und ein Gedicht zitiert.

In letzterem Band fanden sich die Verse "Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht das Spaß) / Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen". Der Verlag verwies im Zuge der Aufregung damals darauf, dass das lyrische Ich und der Autor Lindemann nicht zu verwechseln seien. (Karl Fluch, 2.6.2023)