In dem Community-Artikel erzählt Andrea Reven-Holzmann von ihrer Liebe zu dem Fußballverein Rapid Wien.

Es begann mit der Frage eines schüchternen jungen Verwandten an mich, ob ich mal mitkommen wolle in dein Stadion. Ich sagte zu, nichtsahnend, worauf ich mich einließ. Den ersten emotionalen Moment mit dir hatte ich am Ticketschalter. "Ah, der M. aus S.", sagte die junge Frau, als gäbe es nur eine Handvoll Fans, die man selbstverständlich alle kennt.

Das erste Spiel. Sonne, blauer Himmel. Karawanen in Richtung Stadion. Auf den Rängen Väter und Kinder, junge Paare, ältere Männer, ein paar grauhaarige Frauen, vor der ersten Reihe Menschen in Rollstühlen. Bier, Spritzer, Würstel, Wiesenfeststimmung. Deine Hardcore-Fans im Süd-Sektor, den sie hartnäckig Westtribüne nennen. Ein riesiges Transparent, unter dem der ganze Block für ein paar Minuten verschwindet, bis er unter Getrommel und Gesängen wieder zum Vorschein kommt. Ein Fahnenmeer, dazwischen Spruchbänder mit Botschaften. Schlachtgesänge von der ersten bis zur letzten Minute. Wie eine Messe, denke ich belustigt. Für die wilden Burschen und Mädchen, die sich heiser schreien, empfinde ich spontan Sympathie.

Fan-Choreografie von Rapid-Fans
Ein Fan sagt über dich: Andere Beziehungen sind auf Zeit, die mit dir sei ewig.
Foto: APA/EXPA/THOMAS HAUMER

Dann deine Hymne. Die Menschen stehen auf, halten ihre Schals in die Höhe und grölen mit. Der Text lässt mir die Haare zu Berge stehen, doch es ist auch von Einheit und Zusammenhalten die Rede, und davon, dass es dich immer geben wird. Das rührt mich.

Pfeifkonzerte und Höflichkeit

Die Mannschaften laufen aufs Feld. Pfeifkonzert für die Gegner. Die eigenen Spieler werden einzeln begrüßt, niemand hat ein Problem mit fremdsprachigen Namen. Um mich herum Wienerisch wie früher, ohne Anklänge aus Schönbrunn oder dem deutschen TV. "Ihr Bauern, wir sind eure Hauptstadt", tönt es in Richtung des Provinzteams am Rasen.

Die gegnerischen Fans abgeschirmt im Auswärtssektor. Meist ein kleines Häufchen, selten sind es ihrer viele, die stimmgewaltig in deine Richtung höhnen. Die vielen schwingen dann eine riesige Fahne mit dem Konterfei ihres verstorbenen Gentleman-Philosophen-Trainers, der sie vor zwanzig Jahren zu ungeahnten Erfolgen geführt hat. Fans sind treu, und nicht nur deine.

Höflicher Dialog zwischen Platzsprecher und Publikum zum Spielstand. "Eins, Zwei oder Drei" für uns, beim Gegner heißt es immer "Null", egal wie es steht. "Danke", sagt der Platzsprecher. "Bitte" schallt es im Chor zurück. Im Westblock jede Woche Choreografien voll Herzblut und Symbolik. Zum Tod von Kurt Ostbahn entrollt man ein Transparent exakt in der 57. Minute.

Das erste Spiel endet mit einem Sieg. Die Spieler lassen sich feiern, haben ihre Babys oder Kleinkinder im Arm. Eitel Wonne, Festtagsstimmung, nichts Furchteinflößendes, wie man es dir zuweilen nachsagt.

Fans erkennen einander

Nach dem Spiel gehe ich, den Fan-Schal um den Hals, beschwingt nach Hause. Menschen stehen vor den Lokalen. Wie es ausgegangen sei, fragen sie, und prosten mir zu. Der junge Verwandte schreibt, das Schiedsrichterteam habe ihm unterwegs zum Sieg gratuliert. Ich öffne eine Bierflasche und finde plötzlich die ganze Welt schwer in Ordnung.

Ich beschließe, dein Mitglied zu werden, dem jungen Verwandten zuliebe. "Lebenssinn" steht auf der Karte. Wir erleben Niederlagen, aber auch viele Siege, glorreiche und mühsam herbeigezitterte. Als einmal beide Teams am Feld jubeln, auch das geschlagene, weil es in der Liga bleiben darf, freue ich mich sehr.

Auf den Rängen sind wir in illustrer Gesellschaft. Ein rot-grünes Politikerpaar, ein Ex-Staatssekretär, ein Kabarettist. Du bist wer in dieser Stadt! Dein Name steht auf Häuserwänden, deine Fahne hängt von Balkonen. Dein Emblem auf der Corona-Maske öffnet Herzen. Mein Dialekt passe nicht zu meiner Maske, spöttelt der Bierverkäufer. Ich spreche wie unser Kapitän, antworte ich und bekomme zwei Flaschen geschenkt. Der Augenarzt outet sich als Fan, der Ohrenarzt auch. Auch ohne sichtbare Attribute erkennen deine Fans einander wie Spürhunde. Ein tastender Satz beim Smalltalk, das Gegenüber nimmt den Ball auf, und schon dreht sich das Gespräch die nächste halbe Stunde um dich.

Eine Beziehung auf ewig

Es macht zunehmend Spaß. Ich besitze Schals in deinen Farben, T-Shirts, Jacken, eine Haube, Kugeln für den Weihnachtsbaum. Ob wir in einer Sekte seien, fragt die Nichte milde lächelnd. Meine Umgebung verweist politisch korrekt auf die unschönen Machenschaften im Profifußball. Korruption, Oligarchen, Ablösesummen, Hooligans.

Ja eh. Auch bei dir gibt es Schattenseiten oder, sagen wir, Ambivalenzen. Deine Fans sorgen mitunter ordentlich für Zoff. Du hast das Nachsehen gegenüber Clubs, die auf Geldsäcken sitzen, weil du ein Mitgliederverein bleiben willst. Die "Familie" geht über alles, auch wenn das im Profifußball nicht mehr zeitgemäß zu sein scheint. Doch davon lebt dein Nimbus. Stolz zeigt ein Fan nach deiner größten Schmach im vergangenen Herbst bei ein paar Frustspritzern die Karte seiner lebenslangen Mitgliedschaft her. Andere Beziehungen sind auf Zeit, sagt er, die mit dir sei ewig.

Bei einem Spiel in der Provinz gerate ich in deinen Fanblock. Fahnen, hochgehaltene Tafeln und Rauch verstellen uns die Sicht, den Spielstand erfahre ich durch den Platzsprecher. Meine Friseurin erklärt mir die Sache. Das Spiel ist nicht so wichtig, sagt sie. Es geht ums Dazugehören. Das findet auch der junge Verwandte, der längst im Westblock gelandet und unter den bösen Buben glücklich ist.

Zugeschnappte Falle

Zu Weihnachten bitte ich dein Management um einen Tipp für ein Geschenk für den jungen Verwandten. Die Antwort lässt mein Herz springen wie einst der erste Liebesbrief. Man sei eine Familie und mache dem jungen Fan gerne eine Freude, schreibt man und schickt ein von deiner Nummer 27 signiertes Dress. Damit schnappt deine Falle endgültig zu.

Warm wird mir ums Herz, wenn ich irgendwo deine Farben erblicke, wenn ich deine Profis in den Wiener Parks mit den Kindern kicken sehe und wenn ich in grün-weißer Gesellschaft in Richtung deines Stadions wandere, um dort zu jubeln und zu leiden und dabei immer wieder eine Auszeit zu erleben, wie sie besser nicht sein kann. (Andrea Reven-Holzmann, 6.6.2023)