Im Mai 2022 landete im Hamburger Hafen eine heikle Fracht: 954 Packungen mit brasilianischem Rindfleisch, tiefgefroren, knochenfrei. Diese Sendung, es sind mehr als 26 Tonnen, ist nur eine von mehreren im Jahr 2022, die deklariert sind für: Tönnies Lebensmittel GmbH in Rheda-Wiedenbrück. Tönnies ist Deutschlands größter Fleischkonzern – und Lieferant unter anderem für Aldi, Lidl und Netto. Zeitweise gehen Tönnies-Produkte auch nach Österreich. Dazu befragt, ist man bei Tönnies bemüht zu betonen, dass diese Lieferung ein Einzelfall sei. Der Anteil von Fleischprodukten mit Herkunft Südamerika tendiere gegen null, heißt es, Rindfleisch aus Brasilien importiere man lediglich für "ausgewählte Nischenmärkte im europäischen Ausland". Doch bis Anfang 2022 belieferte Tönnies damit auch den deutschen Markt – und das Fleisch landete etwa in den Kühltheken von Aldi oder Lidl. Insgesamt hat Tönnies 2022 mindestens 190 Tonnen Rindfleisch aus Brasilien nach Hamburg liefern lassen, darunter Lende und Rinderoberschale.

Das geht aus Exportdaten hervor, die DER STANDARD mit Partnern für diese Recherche ausgewertet hat. Auch seit Beginn dieses Jahres wurden demnach bereits wieder mindestens 470 Tonnen verschifft, Zielort: das Tönnies-Werk in Italien. Es gibt einen guten Grund für die defensive Haltung von Tönnies: Die Rinderzucht ist die Hauptursache für die Entwaldung im Amazonasgebiet, auf etwa achtzig Prozent aller dort abgeholzten Flächen weiden heute Rinder. Zwar werden auch Wälder für Soja- oder Zuckerrohrplantagen gerodet, jedoch in weit geringerem Maße. Das Hauptproblem bleibt weiterhin der riesige weltweite Hunger auf Rindfleisch, der dem Klima starken Schaden zufügt – und Entspannung ist nicht in Sicht. So heißt es auch in einem internen Auswertungsbericht der deutschen Botschaft aus dem vergangenen Jahr: "Alle vorliegenden Daten weisen darauf hin, dass sich ein dynamischer, außer Kontrolle geratener Anstieg der Entwaldung in Brasilien weiter fortsetzt."

Die Fleischindustrie als Umweltzerstörer

Die drei größten brasilianischen Fleischunternehmen, JBS, Marfrig und Minerva, stehen dafür seit Jahren in der Kritik. Sie decken etwa zwei Drittel aller Rindfleischexporte des Landes ab. JBS schlachtet nach eigenen Angaben weltweit 75.000 Rinder pro Tag und ist damit der größte Rindfleischproduzent der Welt. Zum Vergleich: In ganz Österreich werden täglich weniger als 2.000 Rinder geschlachtet.

Diese Recherche belegt nun: In den vergangenen sechs Jahren ist im brasilianischen Regenwald das Äquivalent von 800 Millionen Bäumen für die Viehzucht gerodet worden – und das nur in Gebieten, aus denen unter anderem 22 Schlachthäuser von Marfrig, JBS und Minerva ihr Vieh beziehen. Das zeigt eine Datenanalyse der Non-Profit-Beratungsagentur Aid Environment.

Amazonasgebiet
Tiere grasen auf gerodetem Gebiet.
Google Earth/ Maxar

Insgesamt verschwand eine Fläche von mehr als 17.000 Quadratkilometern, also größer als die gesamte Steiermark. Auch die Tönnies-Lieferungen kommen aus dem Gebiet: aus dem Schlachthaus Tangará da Serra im Bundesstaat Mato Grosso. Tönnies räumt ein, Lieferungen aus dem Schlachthof erhalten zu haben, in dem nach STANDARD-Recherchen wiederum Vieh aus entwaldeten Gebieten verarbeitet wurde. Das Unternehmen betont aber, dass die Waren via Hafen Hamburg nach Italien für den dortigen Markt verbracht wurden. Auf mehrmalige Nachfrage erklärt ein Sprecher, dass Importe aus Brasilien für den deutschen Markt inzwischen eingestellt worden seien. Aber auch für Italien dulde man keine Produkte aus Entwaldungsgebieten, sichergestellt werde das durch "Inspektoren vor Ort". Genauere Informationen zu diesen Inspektoren gab Tönnies auf Nachfrage nicht an.

Die Spurensuche ist Teil des Rechercheprojekts "Bruno und Dom": Nachdem der britische Journalist Dom Phillips und der Indigenenexperte Bruno Pereira vor einem Jahr bei Recherchen im Amazonasgebiet ermordet worden waren, beschlossen 16 Medien aus zehn Ländern, ihre Arbeit fortzusetzen. Die Anstrengungen wurden von der Pariser Non-Profit-Redaktion Forbidden Stories koordiniert, die seit mehr als fünf Jahren Recherchen getöteter oder bedrohter Journalisten übernimmt.

Neben dem Fleischriesen Tönnies sind es in Deutschland etwa ein Dutzend Fleischhändler, die zwischen 2017 und 2022 Produkte ins Land holten, die mit Abholzung in Verbindung gebracht werden könnten. Das geht aus den Exportdaten hervor, die für diese Recherche ausgewertet werden konnten. Insgesamt mindestens 5.455 Tonnen aus möglicherweise problematischer Herkunft.

Abgebrannter Regenwald
Oft wird mittels Brandrodung Platz für die Viehzucht geschaffen.
JOAO LAET / AFP / picturedesk.co

Auch der Schweizer Nahrungsmittelgigant Nestlé bezog laut einer von dem Konzern selbst 2021 veröffentlichten Lieferantenliste Fleisch aus Marfrig- und Minerva-Schlachthäusern, die mit Entwaldung in Verbindung stehen könnten. Einem Unternehmenssprecher zufolge verwendete Nestlé zumindest bis März 2023 in einigen Maggi-Produkten für den deutschen Markt Rindfleischextrakt aus Brasilien. Nestlé teilte aber nicht mit, ob das Rindfleischextrakt aus jenen Schlachthäusern kam oder aber von anderen Lieferanten aus Brasilien. Die Lieferantenliste sei nicht aktuell, erklärt der Unternehmenssprecher, ohne jedoch eine aktuellere Version vorlegen zu können.

Dementis aus Brasilien

Die Exporte und – noch entscheidender – die der Aufzucht vorangehenden, meist illegalen Rodungen sind kritisch, weil der Regenwald eine entscheidende Rolle für die Speicherung von Kohlenstoff und im Kampf gegen den Klimawandel spielt. Der Amazonas-Regenwald ist fast so groß wie Australien und fungiert eigentlich als zuverlässige "Kohlenstoffsenke" – das heißt, er bindet mehr CO2, als er freisetzt. Doch durch die Brandrodung und den Klimawandel schwindet dieser Effekt: Ein schrumpfender Regenwald verliert seine CO2-Aufnahmefähigkeit, und die Brände setzen zusätzlich das in Form von Kohlenstoff bislang gebundene Treibhausgas in großen Mengen frei. Der brasilianische Rindfleischkonzern JBS zweifelt in seiner Antwort die Datenbasis der Recherche an. Er gibt außerdem an, Verstöße von Lieferanten gegen Vorgaben bei Bekanntwerden konsequent zu ahnden. Der Konzern wirbt damit, bis 2040 klimaneutral zu werden.

Ein Ziel, das in weiten Teilen erreicht werden könnte, wenn das Unternehmen die Abholzung der Wälder durch seine Lieferanten im Amazonasgebiet beenden würde – so schrieb es Dom Phillips in einem seiner letzten Artikel für den "Guardian". Minerva weist die Vorwürfe zurück, in seiner Lieferkette gebe es Produkte, die aus illegal gerodeten Flächen stammen, und Marfrig erklärt, es dulde keine Abholzung. Beide Unternehmen betonen in ihren Antworten ihren Einsatz für Nachhaltigkeit und Umwelt sowie gegen sklavenähnliche Arbeitsbedingungen. Sie erklären zudem, sie würden ihre Zulieferer in Brasilien überwachen, teils sogar per Geodaten.

Fleischfabrik
Eine Fleischfabrik des Frigol-Konzerns in São Félix do Xingu.
AFP

Wegen der seit Jahren anhaltenden Vorwürfe gegen die Fleischkonzerne haben einige Supermärkte nach eigenen Angaben inzwischen brasilianisches Rindfleisch ganz oder teilweise aus dem Sortiment genommen, Aldi Süd etwa, ebenso Lidl. Generell landet auch nur ein Bruchteil des brasilianischen Rindfleischs in der EU, ein Großteil der Exporte des Landes geht nach China. Doch 2022 waren es trotzdem rund 110.000 Tonnen, die in der EU und in Großbritannien ankamen. Auf wessen Teller das Fleisch schlussendlich landet, ist schwer zu sagen, denn weder die Importeure noch die Supermärkte geben Auskunft über vollständige Lieferketten.

Und es gibt einen weiteren Grund, der die Lieferketten schwer nachvollziehbar macht: die Tricks der indirekten Zulieferer, also jener Viehzüchter, die den Schlachthäusern die Tiere liefern. Im Jahr 2020 berichtete ein Team um Dom Phillips über einen der ersten möglichen Fälle eines Verfahrens, das mit "cattle laundering", also "Rinderwäsche", gut beschrieben ist. Angelehnt an den Begriff der Geldwäsche werden hier Tiere von einer "schmutzigen" Ranch, die wegen Abholzungsvorwürfen sanktioniert worden ist, zu einer vermeintlich "sauberen" Farm – frei von Abholzung – transportiert, bevor sie geschlachtet werden.

Mehr Transparenz nötig

So wird ihre wahre Herkunft verschleiert. Der betroffene Betrieb ist auch heute noch im Geschäft – und beliefert nach STANDARD-Recherchen nun den Marfrig-Schlachthof, von dem auch Tönnies kauft. Tönnies betont, dass die brasilianischen Betriebe jedes Jahr viele Tausend Tiere verarbeiteten und dass es am Ende also nicht nachvollziehbar sei, ob wirklich Tiere aus Entwaldungsgebieten bei Tönnies landeten. Das Unternehmen argumentiert außerdem, dass die brasilianischen Schlachthäuser bei der EU für den Import zugelassen seien. Die zuständigen Veterinäre überprüfen jedoch lediglich die Schlachtbedingungen und den Gesundheitszustand der Tiere, nicht ob sie von einem Betrieb kommen, der mit Entwaldung in Verbindung steht. Andere Fleischhändler betonen hingegen, sie würden die "komplette Rückverfolgbarkeit" sicherstellen oder dass eine lückenlose Rückverfolgung "problemlos möglich" sei.

Mehr Transparenz wird aber bald nötig sein, denn: Die EU hat eine neue Verordnung zur Bekämpfung der Entwaldung verabschiedet, die im Juni in Kraft treten soll. Die Vorschriften sehen den 31. Dezember 2020 als Stichtag für Produkte vor, die von EU-Unternehmen bezogen werden. Jedes Fleisch, das nach diesem Datum nachweislich mit Abholzung in Verbindung gebracht wird, könnte zu Geldbußen für die Importeure führen. Delara Burkhardt, die für die SPD im Europaparlament sitzt und die Verordnung vorangetrieben hat, sagte mit Blick auf die Forbidden-Stories-Recherche, "die Zerstörung des Amazonas-Regenwalds" sei "nicht nur eine brasilianische Angelegenheit". Es müsse verhindert werden, "dass Betriebe, die an der Abholzung von Wäldern beteiligt sind, einfach den Kunden wechseln können". (Julius Bretzel, Dajana Kollig, Carina Huppertz, Bastian Obermayer, 2.6.2023)