Im Community-Artikel gibt Irina Radu Einblicke in ein rumänisches Kunst- und Kulturfestival.

Die am Fuße der Karpaten in Zentralrumänien liegende Stadt Sibiu/Hermannstadt, die für ihre gut erhaltene mittelalterliche Architektur bekannt ist, wird ein Mal im Jahr zur Bühne einzigartiger Aufführungen im Rahmen des  Internationalen Theaterfestivals Sibiu (FITS) – angefangen von Tanz, Musik, Theater, Zirkus bis hin zu Straßenaufführungen.

Schauspieler:innen auf offener Straße
Sibiu wird ein Mal im Jahr zur Bühne für einzigartige Aufführungen im Rahmen des Internationalen Theaterfestivals Sibiu.
Foto: Marian Filip

Das Brukenthal-Museum, eines der ersten Museen in Europa, das Astra-Museum, das größte Freilichtmuseum Europas, die Festungen im Unesco-Weltkulturerbe, Piața Mare/Großer Ring, die Fußgängerzone, Piața Mică/Kleiner Ring, der Huet-Platz oder die Rituskirchen werden in diesem Jahr zu Schauplätzen für ein reichhaltiges künstlerisches Programm in Sibiu. Auch Gebiete von Mărginimea Sibiului/Hermannstädter Randgebiet wie Sălişte/Selischte, Gura Râului/Auendorf, sowie die Naturseen von Ocna Sibiului/Salzburg werden im Rahmen des vom 23. Juni bis zum 2. Juli dieses Jahres stattfindenden Internationalen Theaterfestivals Sibiu zu kulturellen und touristischen Anziehungspunkten.

Alte Häuser 
Die siebenbürgische Stadt Sibiu ist für ihre gut erhaltene mittelalterliche Architektur bekannt.
Foto: Irina Radu

Festival für eine jahrhundertalte Theatertradition

Im Jahr 1993 beschloss eine Theatergruppe unter der Leitung von Constantin Chiriac, einem Schauspieler des seit 1788 bestehenden Nationaltheaters "Radu Stanca" in Sibiu, der Stadt ein Theaterfestival zu schenken. Chiriac war damals auch Direktor des neu eingerichteten Studentenkulturhauses. Das Team war der Meinung, dass die Stadt Sibiu, die schon sehr lange ein professionelles Theater hatte, viel mehr verdient hätte. "Es ist eine Stadt mit einem Stern, die sich an der Kreuzung der wirtschaftlichen und touristischen Straßen Europas befindet, mit unzähligen Zielen, die im Laufe der Zeit den Vorrang auf nationaler, sogar europäischer Ebene bedeuteten", sagt Constantin Chiriac, Präsident des Festivals.

Personen hängen von Seilen herab, im Hintergrund ein Kirchturm
Straßenaufführungen sind in mehreren Festivalstätten in der Stadt zu sehen.
Foto: Gligor Nicolae

Rund um den Welttheatertag, den 27. März 1993, riefen Chiriac und das Team das Theaterfestival ins Leben. Es war kalt und es schneite, das Festival sollte vier Tage dauern. Drei Länder beteiligten sich und acht Aufführungen waren zu sehen. Das Festival hatte von Anfang an ein Freiwilligenprogramm, da mehrere Studentinnen und Studenten einbezogen wurden.

"Es war ein wahnsinniger Enthusiasmus, der die Entwicklung dieses Festivals begleitete und so viele Projekte und Strukturen hervorbrachte. Es war ein Moment der Gnade, der an die Entwicklung des Festivals von Avignon erinnerte, als Jean Vilar ein Volkstheater wollte, das für jede Art von Publikum verständlich und zugänglich war, aber mit einer Auswahl, die die Schöpfung, den Wert, das Wunder und die Schönheit verfolgt", sagt Chiriac, der Anfang Oktober 2023 seinen 63. Geburtstag feiert. Laut dem Schauspieler hat das Theaterfestival dazu beigetragen, dass Sibiu im Jahr 2007 zur Kulturhauptstadt Europas ernannt wurde – zusammen mit Luxemburg.

Schauspieler Constantin Chiriac bei einer Rede
Schauspieler Constantin Chiriac und das Team des Nationaltheaters Radu Stanca in Sibiu gründeten das Festival im Jahr 1993.
Foto: Constantin Chiriac

Stadtentwicklung durch Kultur

Sibiu sei eine der wenigen Städte mit einem Kulturprogramm, das das Leben vor Ort verändere. Die Stadt investiere rund 14 Prozent des kommunalen Haushalts in Kultur, schaffe es aber gleichzeitig, durch alle kulturellen Veranstaltungen rund 18 Prozent des kommunalen Haushalts zu finanzieren.

Musikant auf offener Straße
Kulturelle Veranstaltungen in Sibiu trugen zum städtischen Haushalt bei.
Foto: Grimm

"In diesem Jahr feiern wir das 30-jährige Bestehen des Festivals. Das Thema ist Wunder, weil es wirklich ein Wunder ist, in 30 Jahren ein Festival aufbauen zu können, das mit drei Ländern und acht Aufführungen begann, und in diesem Jahr über 800 Veranstaltungen in 75 Ländern der Welt in 80 Spielräumen mit mehr als 3.500 Künstlerinnen und Künstlern zu erreichen, die täglich rund 80.000 Zuschauerinnen und Zuschauer physisch versammeln werden", so der rumänische Intendant.

Alte Häuser
Farbenfrohe Fassaden sind überall in der Stadt zu betrachten.
Foto: Irina Radu

Vielfältiges Jubiläumsprogramm

In diesem Jahr wurden Programme mit Österreich, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Japan, Großbritannien, der Republik Moldau und Israel entwickelt. Der Klassiker "Dorian Gray" von Oscar Wilde mit dem Schauspieler Markus Meyer vom Wiener Burgtheater wird zweimal im Nationaltheater "Radu Stanca" in Sibiu gespielt. Dort wird auch das von Simon Mayer choreographierte österreichische Tanzstück "Sons of Sissy" inszeniert. Die Show  "Foley" des österreichischen, deutschen und französischen Zirkusteams ConTakt findet auf dem Habermannplatz statt – auf dem Gelände der ehemaligen, 1857 gegründeten Habermann-Brauerei.

Ausschnitt aus dem Theaterstück
"Dorian Gray" von Oscar Wilde vom Wiener Burgtheater wird im Nationaltheater Radu Stanca in Sibiu gespielt.
Foto: Reinhard Werner

Die Kulturfabrik – ein alternatives Zentrum für Kultur, Bildung und Forschung,  das in einer ehemaligen Fabrik entstanden ist – ist Schauplatz der berühmten Inszenierung von "Faust" des Nationaltheaters "Radu Stanca" in Sibiu oder des Gastspiels der Schaubühne Berlin mit dem Stück "(Kein) Weltuntergang" von Chris Bush.

Ausschnitt aus dem Theaterstück
Die Inszenierung von "Faust" des Nationaltheaters Radu Stanca in Sibiu steht auf dem diesjährigen Programm.
Foto: Sebastian Marcovici
Ausschnitt aus dem Theaterstück
Schaubühne Berlin betritt mit dem Stück "(Kein) Weltuntergang" von Chris Bush die Hermannstadt-Szene.
Foto: Gianmarco Bresadola

"Sibiu ist eine Stadt mit etwa 140.000 bis 150.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Die Tatsache, dass sich so viele Zuschauerinnen und Zuschauer bei einer einzigen Veranstaltung versammeln können, zeigt unseres Erachtens die echte Beteiligung der Gemeinschaft aus allen Blickwinkeln an der Bedeutung dieser großen Feier von Sibiu", meint Constantin Chiriac. (Irina Radu, 9.6.2023)