Lily-Rose Depp in der skandalträchtigen Serie "The Idol".
HBO / Sky

Jennie Kim ist ein Idol. So werden K-Pop-Stars bezeichnet, und die 27-Jährige Kim ist Teil der erfolgreichen südkoreanischen Girlband Blackpink, die eine riesige weltweite Fangemeinde zählt. Und die ist aufgescheucht, denn in der Miniserie The Idol über ein Popstarlet gibt Jennie Kim in einer Nebenrolle ihr Schauspieldebüt.

"You better work, bitch!"

Wer sich nun einen Blick hinter die Kulissen der K-Pop-Maschinerie erwartet, wird enttäuscht. Jennie Kim ist nur Werbegimmick in Sam Levinsons und Abel 'The Weeknd' Tesfayes Miniserie, deren erste zwei Folgen am Filmfestival in Cannes Premiere feierten. Frei nach Britney Spears, auf die sich The Idol offensichtlich bezieht, wird stattdessen ein altbekannter US-Showbusiness-Topos bemüht: "You better work, bitch!"

Tonangebend beginnt die erste Folge mit einem sexy Fotoshooting, in dem Starlet Jocelyn (Lily-Rose Depp) ihr Oberteil verliert, was den Intimacy-Coordinator auf den Plan ruft. Jocelyns aufgescheuchte Entourage ist mit einem ständigen Drahtseilakt betraut: Sie ermutigen die Sängerin, die nach dem Tod ihrer Mutter und einem Nervenzusammenbruch ein Comeback anstrebt, die Grenzen des Zeigbaren auszuloten, ohne jedoch ins Pornografische zu kippen, um die Teenie-Fans nicht zu verschrecken.

Bedenken wegen Jocelyns oben-ohne-Fotos werden da schon mal von der mit Terry-Richardson-Brille ausgestatteten Managerin Nikki (Jane Adams) mit einem zynischen Stehsatz im Keim erstickt: "Stop cockblocking America!"

"Wild und ekelhaft aus der Bahn geworfen"

Etwa so könnte man sich die Diskussionskultur am Set von The Idol vorstellen, zumindest wenn man dem im März erschienenen Artikel im Rolling Stone Glauben schenkt. Darin sagten rund ein Dutzend der Crewmitglieder aus, dass die Show nach dem plötzlichen Ausscheiden der Regisseurin Amy Seimetz "wild und ekelhaft aus der Bahn geworfen" worden sei. Da Seimetz die weibliche Perspektive zu stark betont habe, seien Tesfaye und Levinson eingeschritten, um den Manipulator Tedros (Tesfaye) und seine sadomasochistische Beziehung zu Jocelyn stärker ins Zentrum zu rücken – inklusive Sexszenen und Drehbuchanpassungen, die aus Sicht der Crewmitglieder den kritisch-satirischen Gestus der Show zunichte gemacht hätten.

Abel 'The Weeknd' Tesfaye und Liliy-Rose Depp in "The Idol"
HBO / Sky

Levinson bestätigt damit seinen Ruf als Grenzgänger. Seine überaus erfolgreiche Jugendserie Euphoria wurde weithin wegen der Ästhetisierung und Verharmlosung von Drogenkonsum und Sexualität kritisiert. Doch wo Euphoria ebendas aus den unterschiedlichen Perspektiven eines charakterstarken Figurenensembles zeigt, setzt The Idol – zumindest in den ersten zwei Folgen – auf Eindimensionalität.

Exhibitionistisches System

Nicht die Perspektive, sondern die 35-mm-Kamera liegt stets auf der spärlich bekleideten Jocelyn. Bei all der anfänglichen Körperschau gelingt es kaum, ihrem fragilen Charakter etwas abzugewinnen. Auch die sich in der ersten Folge anbahnende Beziehung zum Nachtklubbesitzer Tedros wirkt wie die Impulshandlung eines Teenies, der im Sex mit einem Ungustl – der als "rapey" charakterisiert wird – das ultimative Transgressionspotenzial vermutet. Und wenn Tedros Jocelyn musikalisch aus der Reserve locken möchte, indem er sie mit Stöhnen ihre Single aufsexen lässt, dann kommt das allzu bekannt vor.

The Idol | Official Trailer | Sky Atlantic
Tedros. Jocelyn. 5 June. #THEIDOL. From the creator of Euphoria, starring Abel “The Weeknd” Tesfaye and Lily-Rose Depp, coming to Sky Atlantic 5 June. Subscribe for more: http://www.youtube.com/skytv Find #skytv on: 👉Twitter: https://twitter.com/skytv 👉
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Die Fragen, die The Idol anstößt, sind ebenso alt wie relevant: Wo beginnt die Kritik an der, wie The Weeknd es genannt hat, dunklen Seiten der Musikindustrie und wo die exploitative Überhöhung desselben? Ist das Zeigen des eigenen weiblichen Körpers Ausdruck von Selbstermächtigung oder ein Andienen an das Prinzip "Sex sells"? Und gibt es wirklich keinen anderen Weg als Exhibitionismus, um ein exhibitionistisches System auszustellen?

Darauf liefern die ersten beiden Folgen keine spannenden Antworten. Spannend bleibt lediglich, ob sich The Idol noch hinauswinden wird aus der selbstgestellten Sexploitation-Falle. (Valerie Dirk, 4.6.2023)