Embraer KC-390
Embraers KC-390 ist eines der beiden Modelle, die für die Hercules-Nachfolge infrage kommen.
Embraer

Im Hangar sind Fotos verboten. Davor und daneben auch. Selbst der mattgrau lackierte, mächtige Militärtransporter, der für den kleinen Rundgang keine ganz unwichtige Rolle spielt, darf nicht abgelichtet werden. Darauf besteht die Pressebeauftragte. Draußen knallt die Sonne auf die Asphaltwüste des weitläufigen Betriebsgeländes. Drinnen glänzt die makellose Hülle des fast fertigen Passagierjets. Auf dem Lufteinlass der Triebwerke klebt noch die orange Kunststoffabdeckung, die die Turbinen vor Insekten, Staub und den Vögeln schützen soll, die von der Dachkonstruktion der Fabrikhalle zwitschern.

Im nächsten Hangar dann ein Déjà-vu: der große Militärtransporter von draußen, gleich in vierfacher Ausführung. Aber diesmal mit unverkleideten Flügeln, halben Triebwerken, fehlenden Schnauzen und Plastikfolie über den Cockpit-Fenstern. "Não fumar", nicht rauchen, steht mit roter Farbe an die Wände gepinselt. Und aus den Katakomben des gigantischen Hangars hallt das Hämmern und Schrauben am Metall der Flugzeuge.

Konkurrent im eigenen Hangar

Es gibt da eine kleine Ironie betreffend den Spaziergang über das Betriebsgelände. Die mattgrauen Transportmaschinen, die im Hangar gewartet werden, stammen nämlich nicht aus der Produktion der Firma Embraer, die hier in Alverca bei Lissabon etliche ihrer Flugzeuge zusammenbauen lässt. Sondern ausgerechnet vom größten Konkurrenten für Embraers neuen Militärtransporter, von dem sich der brasilianische Konzern künftig entscheidenden Umsatz erhofft. Aktuell vor allem von Österreich. Aber wie das?

Der Grund ist: Die Republik Österreich geht einkaufen. Und das möglicherweise auch bei Embraer. Denn das Verteidigungsministerium unter Ressortchefin Klaudia Tanner (ÖVP) will – und kann – bis 2032 mehr als 16 Milliarden Euro für das Bundesheer ausgeben. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde das heimische Heeresbudget hochgeschraubt wie noch nie in der Geschichte der kleinen Alpenrepublik. Und an den neuerdings sprudelnden österreichischen Wehretats würde auch der brasilianische Flugzeugbauer gern mitnaschen. Denn für die nächste anstehende Großbeschaffung hat er ein Angebot, zu dem es nur einen einzigen Konkurrenten gibt: die großen grauen Militärtransporter, die man ironischerweise auf seinem eigenen Betriebsgelände bei Lissabon wartet.

Transporter für Panzer

Das Verteidigungsressort muss nämlich seine drei in die Jahre gekommenen Hercules C-130 von 1967 ersetzen. In der Öffentlichkeit kennt man die großen Transportflugzeuge vor allem, weil mit ihnen österreichische Staatsbürger und manch andere aus Kriegs- und Krisengebieten evakuiert werden – zuletzt etwa nach dem neuerlichen Einmarsch der Taliban in Afghanistan. Verwendet werden sie aber hauptsächlich, um österreichische Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz mit Gütern zu versorgen, die dort nicht erhältlich sind. Rund ein bis zweimal pro Woche fliegt einer der Flieger in den Kosovo oder nach Bosnien-Herzegowina.

Auch die Nachfolger sollen ein ähnliches Einsatzprofil erfüllen. Dazu gehören bei Bedarf auch Transporte des Jagdkommandos mit seinen geländegängigen Sandviper-Fahrzeugen, der Fallschirmspringer des Jägerbataillons 25 oder etwa von Sanitätscontainern – alles per Beladung über die Heckklappe.

Dreistelliger Millionenbetrag

Vier bis fünf neue Transporter dürften es werden, die letztendliche Zahl ist noch nicht fix. Auch die genauen Preisdimensionen sind noch unbekannt – wobei klar ist, dass es um einen dreistelligen Millionenbetrag gehen wird. Denn das Ministerium kommuniziert vor Abschluss eines Rüstungsgeschäfts grundsätzlich keine Größenordnungen von Summen, die es veranschlagt. Aus gutem Grund: Rüstungshersteller scannen auch internationale Medienberichte auf das Vorkommen ihres Markennamens. Würden dort Summen kolportiert, lägen die Angebote der Firmen mit Sicherheit nicht darunter.

Wohl auch deshalb hält sich das Ressort sehr zurück, Präferenzen für das eine oder das andere für die Hercules-Nachfolge infrage kommende Modell erkennen zu lassen. Das Wissen um den eigenen Favoritenstatus würde Konzerne nämlich ebenso dazu motivieren, einen höheren Preis für seine Produkte zu verlangen. Realistischerweise kommen nur zwei Modelle infrage, die das Anforderungsprofil ausreichend erfüllen: die KC-390 von Embraer und die aktuellste Version der Hercules des US-Konkurrenten Lockheed, dessen nicht mehr ganz taufrische Vorgänger in den portugiesischen Hangars von Embraer gewartet werden.

Neu versus bewährt

Der technologische Vorteil dürfte dabei recht klar aufseiten der Brasilianer sein. Die KC-390 ist ein neu entwickeltes und sehr modernes Flugzeug, der Erstflug fand erst 2015 statt. Die seit ihrem Produktionsstart mehrfach upgedatete Hercules basiert dagegen letztlich auf dem ersten Modell, das 1954 seinen Jungfernflug absolvierte. Ein praktischer Vorteil für das Bundesheer ist zudem, dass die brasilianische Maschine über ein etwas größeres Transportvolumen und vor allem eine größere Ladeluke verfügt als der US-Konkurrent. Damit kann etwa auch ein Pandur-Panzer des Heers über die Rampe ins Flugzeug verladen werden.

Der vielleicht größte Nachteil des brasilianischen Jets: Es gibt noch keine Langzeiterfahrungen. Bisher sind erst fünf KC-390 im Einsatz – in Brasilien, das insgesamt 19 Stück bestellt hat. Portugal und die Niederlande haben je fünf Exemplare geordert, Ungarn zwei. Bisher ist noch keines dieser Flugzeuge ausgeliefert. Ganz anders die Lage bei der Hercules, die aktuell in rund 70 Ländern rund um den Globus im Einsatz ist. Inklusive der Updates mehr als sechs Jahrzehnte in Produktion machen das US-Flugzeug zu einem der am längsten gebauten der Welt. Mit bisher rund 2.500 produzierten Exemplaren ist es außerdem eines der meistgebauten. Und: Auch im österreichischen Bundesheer kennt man die US-Maschine schon und hat jahrzehntelange Erfahrung mit ihrer Benutzung.

Schmiergeld und Lobbyisten

Die Wartung geht dagegen beim neuen brasilianischen Transporter deutlich einfacher und schneller. Was man bei Embraer wenig überraschend als entscheidenden Vorteil anpreist. "Die Hercules C-130 steht zur Wartung oft sechs Monate in unseren Hangars", sagt Bosco Da Costa Junior, Präsident und Geschäftsführer der militärischen Sparte Embraers, dem STANDARD. "Bei der KC-390 sind es normalerweise 15 Tage."

Militärs wünschen sich üblicherweise das modernste Gerät, wenn sie die Wahl haben. Technische Spezifikationen und Leistungsparameter sind allerdings nicht alles. Schon gar nicht bei Rüstungsdeals. Gerade, weil das Volumen bei militärischen Beschaffungen so groß ist, spielen ökonomische und politische Faktoren eine entscheidende Rolle – Kooperationen zwischen Streitkräften, mögliche Gegengeschäfte für Staaten und Unternehmen. Allzu oft auch persönliche Interessen Einzelner, wie man seit der Eurofighter-Affäre auch in Österreich recht genau weiß: Skandale um Lobbyisten, Verdacht auf Schmiergeldzahlungen von bis zu 100 Millionen Euro – wo es um viel Geld geht, wollen auch viele mitschneiden. Deshalb sind Rüstungsdeals besonders anfällig für Korruption.

Persönliches Marketing

In São Paolo, wo Embraers Konzernsitz liegt, hat man die Lunte eines österreichischen Auftrags jedenfalls offenkundig gerochen. Wohl deshalb streckt das Unternehmen die Fühler für seinen jährlichen "Media Day" auch nach Österreich aus. Und um die Vorzüge der eigenen Produkte zu bewerben, legt sich der nach Boeing, Airbus und Bombardier viertgrößte Flugzeugbauer der Welt mit Hard wie Soft Power ins Zeug.

Im Vergleich zu den dominierenden Platzhirschen sind die Brasilianer, die hauptsächlich Passagierflugzeuge und Privatjets, aber eben auch Militärmaschinen bauen, der Underdog unter den großen Herstellern. Umso mehr Wert legt man beim Marketing auf persönliche Gespräche und Begegnungen. Dass etwa der CEO des Konzerns auf einer nicht allzu großen Veranstaltung für Medienvertreter persönlich anwesend ist, ist für die Branche eher ungewöhnlich.

Journalistinnen und Journalisten aus den USA und Brasilien, aus Indien und Rumänien, aus England und Deutschland sind Ende Mai aufs Fabriksgelände bei Lissabon gekommen. Die Nachrichtenagentur Reuters hat ebenso jemanden geschickt wie das weltweit wichtigste Branchenmedium "Aviation Week". DER STANDARD ist als einziges Medium aus Österreich vor Ort.

"Fit for Growth"

Die Vorträge auf der Veranstaltung tragen Titel wie "Fit For Growth Presentation" und "Global Procurement Update", es geht um "Financial Highlights" und "Executive Jets". Nach den pandemiebedingten Einbrüchen sei Embraer wieder in einer Phase der "Recovery" angekommen, sagt CEO Francisco Gomes Neto. In den kommenden zwei bis fünf Jahren wolle man stark wachsen.

In weiteren Präsentationen ist die Rede von Fokus auf Produktivität und höhere Gewinnen durch mehr Effizienz. Und natürlich von Nachhaltigkeit, Förderung von Frauen im Unternehmen und "Corporate Social Responsibility". Das kleine Einmaleins heutiger Unternehmenskommunikation also. Dazwischen werden Werbevideos für die diversen Produktsparten mit emotionaler Musik und glücklichen Menschen gezeigt.

Das Bundesheer wird sich für diese Marketingmaßnahmen wohl weniger interessieren als für die genauen Rahmenbedingungen und den letzten Preis des brasilianischen Angebots. Bis zum Sommer soll die Entscheidung für einen der beiden Bewerber fallen. Bislang ist sie offen – oder jedenfalls noch nicht öffentlich kommuniziert. Aber es gibt da das Zitat eines früheren Embraer-Vorstandsvorsitzenden, das im Unternehmen zu einer Art Running Gag wurde und auch gegenüber dem STANDARD witzelnd rezitiert wird: "If they wanna buy, we wanna sell." Wenn Österreich sich für den Deal mit den Brasilianern entscheidet, werden diese ihn mit Sicherheit nicht ablehnen. (Martin Tschiderer, 5.6.2023)