Der Maiaufmarsch der SPÖ am Rathausplatz.
Helena Lea Manhartsberger

1. Gemeinsam: Schluss mit den Eitelkeiten

Das wichtigste Signal nach innen und nach außen: In der SPÖ ziehen jetzt wieder alle an einem Strang. Nur mit demonstrativer Geschlossenheit lässt sich das Debakel der vergangenen Wochen und Monate überwinden. Wenn die Partei von ihren Wählerinnen und Wählern wieder ernst genommen werden will, muss sie sich breit aufstellen und die tiefen Gräben, die bis zuletzt geschürft wurden, schließen. Die Querschüsse, Intrigen und Gehässigkeiten der jüngsten Vergangenheit gehören abgestellt – und das nachhaltig. Hans Peter Doskozil hat das versprochen, jetzt muss er das umsetzen.

Das Aufeinanderzugehen muss sich auch personell abbilden: Hans Peter Doskozil muss Andreas Babler in sein Team holen, ebenso dessen wichtigste Vertraute. Dass es in der SPÖ unterschiedliche Strömungen gibt, kann auch ein Vorteil sein. Doskozil muss es gelingen, die Bandbreite der Partei von links nach rechts, von jung bis alt, von Eisenstadt bis Bregenz im Team abzubilden.

Entscheidend wird dabei sein, auch eine Aussöhnung zwischen den Ländern herbeizuführen. Die Wiener müssen ihre Selbstherrlichkeit überwinden, gleichzeitig müssen die anderen Länder ihre Ressentiments gegen die "Großkopferten" in der Bundeshauptstadt zurückschrauben. Wenn die SPÖ bei Wahlen wieder gewinnen will, und das ist ja das erklärte Ziel der neuen Parteiführung, wird das nur gemeinsam gelingen. Zentrales Vorhaben: Aussöhnung mit den Wienern. Da gehören jetzt ein paar Eitelkeiten zurückgestellt. Auf allen Seiten.

Auch wenn’s wehtut.

2. Neuorganisation: immer bereit für einen Wahlkampf

Der Bundesgeschäftsführer der SPÖ, Christian Deutsch, zieht sich zurück - bevor er hinauskomplimentiert worden wäre. Für viele in der SPÖ wurde Deutsch zum Gesicht des Problems: der steifen, starren Organisation. Ein Funktionär, wie er im Buche steht.

Doskozil muss die Parteizentrale komplett neu aufstellen – mit einem klaren Fokus auf die nächste Nationalratswahl. Geplant wird im Herbst 2024 gewählt, doch laufend gibt es Neuwahlspekulationen. Für die Opposition bedeutet das: Sie muss immer bereit sein, in einen Wahlkampf zu ziehen. In Parteizentralen gilt das ohnehin als Grundsatz: Eine gut aufgestellte Partei ist zu jeder Zeit kampagnenfähig. Das sagt sich allerdings einfacher, als es getan ist.

Die Parteizentrale muss neu besetzt werden, von der Organisation über die Kommunikation bis zur Verwaltung und den Finanzen. Das braucht neue, tüchtige Leute, die ihren Job verstehen, die mit Eifer dabei sein und die nicht nur einem Chef dienen, sondern für die Partei und deren Erfolg da sind.

Eine gute Kampagne braucht starke Personen, die sie transportieren, und klar Botschaften. Die SPÖ muss sich schnell neu organisieren.

3. Die Stimme der vielen: SPÖ steht vor einer erzwungenen Öffnung

Es gibt einen etwas dümmlichen Spruch in der österreichischen Innenpolitik, der zuweilen als alte linke Weisheit verbreitet wird. Er lautet: "Kummt was von der Basis, waaß I, dass ’s a Schas is." Besonders in der SPÖ galt bisher das Prinzip der repräsentativen Macht der Stärksten. Die wichtigsten Entscheidungen wurden zumeist von den mächtigsten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Hinterzimmer getroffen. Das wird sich ändern (müssen).

Doskozil wie auch Babler haben angekündigt, die Basis künftig deutlich mehr einzubinden. Damit muss Doskozil nun ernst machen. Über neue Parteivorsitzende soll fortan immer per Mitgliedervotum abgestimmt werden, auch zukünftige Regierungsabkommen könnte schon bald die rote Basis absegnen müssen. Das allein wird aber nicht reichen. Das muss auch in die Länder hineingehen, die Mitbestimmung muss für alle greifbar werden.

Die SPÖ muss sich öffnen, und das nicht nur, wenn es um die ganz großen Brocken geht. Die Parteispitze sollte regelmäßig Nachhilfe "von unten" bekommen. Ganz wichtig wird es auch sein, den neuen Parteimitgliedern ein glaubhaftes Signal zu senden, dass man sie schätzt und ernst nimmt. Die meisten von ihnen sind wohl weniger wegen Doskozil als vielmehr wegen Babler der Partei beigetreten.

4. Traumabewältigung: Auch alte Wunden gehören geheilt

Die österreichische Sozialdemokratie laboriert bis heute an einem kollektiven Trauma: dem 1. Mai 2016. An diesem Tag der Arbeit, dem höchsten Feiertag der Sozialdemokraten, wurde der damalige Kanzler und SPÖ-Chef Werner Faymann auf offener Bühne ausgebuht – von seinen eigenen Genossinnen und Genossen. Die Veranstalter taten damals ihr Bestes, um das Schlimmste zu verhindern. Am Vorabend des Events zogen sie eine Rolle Stacheldraht aus dem Gebüsch auf dem Rathausplatz, mit dem verärgerte Genossen Faymann samt Entourage auf dem Weg zur Tribüne einsperren wollten. Andere Sozialdemokraten hielten Schilder hoch, um Faymann ihre Unterstützung zu signalisieren. Die Maifeierlichkeiten 2016 wurden zum Sinnbild einer gespaltenen SPÖ.

Die damaligen Mitstreiter Faymanns firmieren in der SPÖ bis heute unter dem Namen "Liesinger Partie". Der Gruppe wird inzwischen auch Wiens Bürgermeister und Landesparteichef Michael Ludwig zugerechnet. Die "Liesinger" galten als größte Stütze von Pamela Rendi-Wagner. Doskozil ist kein Meister des Fraktionierens, entweder lernt er das noch oder er kann das überwinden. Die Liesinger Partie konnte sich zwar nicht durchsetzen, sie bleiben aber ein gewichtiger Teil der in der aktiven Parteistruktur.

Damit die SPÖ irgendwann wieder geeint auftreten kann, wird der neue Parteichef also auch auf diesen Parteiflügel zugehen müssen. Oder viel mehr: Gemeinsam müssen auch alte Verletzungen geheilt und das Trauma bewältigt werden, um nach vorne zu schauen.

5. Probleme ansprechen: Die richtigen Inhalte in den Vordergrund

Die SPÖ muss klarmachen, wofür sie steht und wofür sie kämpft. Für soziale Gerechtigkeit, für ein leistbares Leben, für Chancengleichheit. Die Menschen müssen wissen und verstehen, was ihnen die SPÖ bringt, womit sie rechnen können.

Die Themen liegen ohnedies in der Luft, sie wurden allesamt auch beim Parteitag angesprochen: ein vernünftiger Verdienst, leistbares Wohnen, Aufstiegschancen. Da gehört die Bildung wesentlich dazu. Problemfelder sind das Gesundheitswesen und der Pflegebereich.

Die SPÖ muss sich der Klimakrise widmen. Da gibt es erhebliche Defizite, Doskozil ist im Gegensatz zu Babler darauf gar nicht eingegangen. Das wird sich ändern müssen.

Und es gibt ein paar unangenehme Themen, von denen die SPÖ bisher die Finger gelassen hat: Migration, Asyl, Kriminalität. Die SPÖ muss diese Themen ansprechen, Position beziehen und machbare Lösungsvorschläge entwickeln, ohne Feindbilder zu bedienen. Wenn sie den Kopf in den Sand steckt, werden die Rechtsparteien diese Themen beherrschen und davon profitieren. Doskozil hat ohnedies keine Scheu davor, jetzt muss er auf diesem Weg noch die Partei mitnehmen, das ist auch eine schwierige Gratwanderung zwischen dem linken und dem rechten Flügel der Partei.

6. Auf den Punkt kommen: Kommunikation muss verständlich werden

Ein großes Manko der Vergangenheit war die verwaschene und zaghafte Kommunikation. Die neue Parteiführung muss wieder offensiv kommunizieren, nach innen wie nach außen. Sie muss mit den Menschen reden und mit den Medien. Und zwar gerne. Doskozil hat kein ganz einfaches Verhältnis zu den Medien, das hat er auch am Parteitag klargemacht. Da können ein paar offene und ehrliche Worte helfen - ohne Drohungen. Mit einem guten, aber distanzierten und fairen Verhältnis ist Politik und Medien gedient. 

Die Kommunikation ist entscheidend, und das ist nicht eine Frage der Stimme oder der Lautstärke. Es helfen die besten Inhalte nichts, wenn sich die Partei nicht verständlich machen kann. Die Themen müssen nachvollziehbar auf den Alltag heruntergebrochen werden. Schluss mit der Phrasendrescherei und dem lähmenden Geschwurbel. Die Partei muss wieder auf den Punkt kommen, muss die Dinge benennen können. Eine gewisse Zuspitzung ist durchaus erlaubt, wenn es dabei hilft, das Thema zu transportieren.

Kommunikation funktioniert auf vielen Wegen: im direkten Gespräch, über Pressekonferenzen und Interviews, im Parlament, auf Landes- und Bezirksebene, in sozialen Medien. Diese Orgel muss die Partei spielen können, wenn sie viele Menschen erreichen will - diejenigen, die jetzt schon hinhören und diejenigen, die sie noch für sie interessieren will. (Katharina Mittelstaedt, Michael Völker, 4.6.2023)