Die österreichische Sozialdemokratie hat 25 Jahre relativ erfolgloser Vorsitzender hinter sich. Franz Vranitzky war der letzte mit haltbarem politischem Erfolg. Nach über zehn Jahren wurde er 1997 von Viktor Klima abgelöst, der im Grunde unpolitisch war. Klima wurde nach den Wahlen 1999 von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider ausmanövriert, obwohl die SPÖ noch stärkste Partei war. Sein Nachfolger Alfred Gusenbauer, der für viele zu intellektuell und hedonistisch war, erzielte allerdings gegen Kanzler Schüssel 2006 einen Überraschungssieg. Gusenbauer wurde jedoch durch den Wiener Wohnbaustadtrat Werner Faymann schon 2008 abgelöst. Faymann blieb lange – bis 2016 – Kanzler, aber durch ihn dörrte die SPÖ talentmäßig und intellektuell aus.

Faymann wurde durch eine Aktion unzufriedener Bundesländer-Sozialdemokraten am 1. Mai 2016 gestürzt und durch Christian Kern ersetzt. Der vereinte (und vereint) wirtschaftspolitische Kompetenz mit gutem Auftreten, wählte sich aber die falschen Berater aus und scheint manchmal nicht genau zu wissen, was er will. Kern ließ sich als Kanzler von Sebastian Kurz ausmanövrieren und schmiss nach einer Wahlniederlage hin. Er brachte Pamela Rendi-Wagner in Stellung, die viele Attribute einer modernen Sozialdemokratin hat, aber keine politische Pranke.

Noch residiert die Parteispitze in der Wiener Löwelstraße. Wer das Chefzimmer bezieht, wird am Samstag beim Parteitag in Linz entschieden.
Heribert Corn

Was die SPÖ dann aufzubieten hatte, sind der burgenländische Machtmensch Hans Peter Doskozil und der für manche charismatische Altlinke Andreas Babler. Mancher Parteitagsdelegierte mag da in die Versuchung kommen, "keiner von beiden" auf den Zettel zu schreiben.

Bei den letzten größeren Zeitenwenden – der gesellschaftliche und wirtschaftliche Modernisierungsschub, die Veränderung zu einer sozial abgesicherten Industriegesellschaft, dann die Einbettung Österreichs in ein größeres Europa – hatte die SPÖ (und übrigens auch die ÖVP) noch etwas zu bieten. Dann kam der Populismus, der den Menschen, die sich vor Veränderung fürchten, erfolgreich einredete, dass sie nur anderen die Schuld geben brauchen.

Neue Zeitenwende

Das nagte an den "Volksparteien" SPÖ und ÖVP. Beide versäumten es aber, sich auf die neue Zeitenwende – Migration, Klimawandel, Krieg in Europa, Pandemie – intellektuell und personell einzustellen. Sie suchten im Gegenteil selbst ihr Heil im Populismus. Dafür werden aber staatstragende Parteien – und die Sozialdemokraten und die Christdemokraten sind immer noch solche – nicht gebraucht.

Von den beiden Wettbewerbern um den SPÖ-Vorsitz kam da auch nichts oder nur wenig. Doskozils obrigkeitlicher Staatsinterventionismus macht einen punktuellen, unüberlegten Eindruck. Babler sieht im Vereinten Europa ein "imperialistisches Konstrukt" und huldigt einem irrealen Pazifismus, während der wahre Imperialismus in der Ukraine wütet und ganz Europa bedroht.

"Gebraucht werden intelligente Leute mit internationalem Blick, die was beizutragen haben."

Was die SPÖ (und nebenbei: auch die ÖVP) braucht, wäre ein breiter, intensiver und vor allem freier Diskussionsprozess, der nach Lösungen für die Probleme der jetzigen Zeitenwende sucht. Gebraucht werden intelligente Leute mit internationalem Blick, die was beizutragen haben. Die SPÖ (und ja, auch die ÖVP) sollte aufhören mit dem lächerlichen Versuch, populistischer als die Populisten zu sein. "Die Menschen" honorieren es auch, wenn sie das Gefühl haben, dass da jemand seriös unterwegs ist, selbst wenn die Lösungen zunächst nicht so bequem sein mögen. Wie wär's – für den Anfang – mit einer überlegten, konzeptiv durchgedachten Abkehr vom Populismus? Mit echter Politik? Mit dem Beweis, dass man die Zeitenwende begriffen hat? (Hans Rauscher, 2.6.2023)